Home Story

Finger sind das wichtigste Arbeitsinstrument eines Redakteurs. Einige unserer Kolleginnen und Kollegen beherrschen das »Zehn-Finger-System«, doch viele hauen mit zwei, vier, sechs oder sieben Fingern in die Tasten. Im Durchschnitt, so hat eine Umfrage ergeben, benutzen Jungle-Word-Redakteure 5,8 Finger. In der Geschäftsführung sind es weniger – aber: Den Zahlenblock, den beherrschen die Kollegen dort »mit der ganzen Hand«, wie sie sagen, meinen aber doch nur vier Finger. Der Daumen lungert ungenutzt in der Luft herum, wird gar nicht als echter Finger angesehen. Er wird, vielleicht weil er nur zwei Glieder hat, diskriminiert und auch nicht mit Ringen geschmückt.
Im deutschen Kinderreim »Alle meine Fingerlein wollen heute Tiere sein« werden alle Finger lustigen Tierchen zugeordnet (»Der Mittelfinger ist das stolze Pferd« usw.). Aber zum Daumen singen die Kinder: »Dieser Daumen ist das Schwein, dick und fett und ganz allein.« Und in »Das ist der Daumen. Der schüttelt die Pflaumen …« hat der Daumen keine Funktion, keinen Sinn. Schon das Pflaumenschütteln ist dem Zeigefinger zugeordnet. Alle Finger tragen etwas zur gemeinschaftlichen Pflaumenernte bei und Aufessen darf’s am Ende der Klitzekleine. Nur der Daumen ist im Reim der unproduktive Außenseiter – oder der böse Besitzer der Pflaumenbaumplantage, der Spekulant, der nur zuguckt, wie die anderen schuften.
Dabei war er einst der wichtigste Finger. Der Daumen konnte sogar sprechen. Im Alten Rom entschied er über Leben und Tod. Heutzutage sagt er nur noch unverbindlich »gefällt mir« – schon Missfallen auszusprechen, traut man ihm nicht mehr zu. Er wurde über Jahrhunderte nicht gewürdigt, er war halt da, war auch ganz nützlich, das »fette Schwein«, als Gegendruck zu den anderen grazilen Fingern, aber das war’s auch schon. Kein Dank, kein Respekt. Auch bei uns: Im besten Fall darf er die Leertaste (!) bedienen.
Doch der Daumen steht vor einem Comeback. Schon mit den SMS auf unseren Mobiltelefonen ging es los. Plötzlich benutzten einige Menschen den Daumen zum Schreiben. Nicht nur in Neukölln soll es junge Leute geben, die nur noch mit dem Daumen schreiben. Und die Entwicklung geht weiter: Inzwischen sind es beide Daumen, und sie zu benutzen, ist kein Unterschichtenphänomen mehr, im Gegenteil. In Ländern, in denen die technologische Entwicklung weiter ist als im rückständigen Deutschland, kann man diese Zukunft schon bewundern. Da stehen in der U-Bahn Junge und Alte und beschäftigen sich allesamt mit ihren mobilen Endgeräten. Das Smartphone will dabei von acht Fingern gehalten werden, unten als Gegendruck, als bloße Auflage, während die beiden Daumen nun die wichtigsten Akteure sind, yeah, die kreativen und gelenkigen Macher, die eifrig chatten, posten und spielen. Daher: Daumen hoch dem Daumen!