David J. Peterson im Gespräch über künstliche Sprachen

»Schmetterlinge sind in jeder Sprache schön«

Der Linguist David J. Peterson über die Erfindung des Dothraki, die Schwierigkeiten beim Konstruieren von Verbsystemen und die wunderbaren Worte der Hawaiianer.

Künstliche Sprachen, sogenannte Conlangs, wurden bereits im Altertum als geheimes Mittel zur Verständigung benutzt. Heutzutage werden Conlangs eigens für Filme und Fantasy- oder Science Fiction-Werke entwickelt. Beispiele sind die Sprachen der Klingonen und der Vulkanier in »Star Trek«, das Ancient der Stargate-Erbauer oder Eldarin und diverse andere Idiome, die Tolkien für seine Protagonisten in »Herr der Ringe« erfand. Viele Filmfans lernen entsprechende Sprachen und verbreiten sie weiter. Klingonisch wurde 2006 als meistgesprochene künstliche Sprache der Welt ins Guiness-Buch aufgenommen und verfügt über ein eigenes Sprachinstitut.
David J. Peterson, 1981 in Long Beach/Kalifornien geboren, studierte an der Universität Berkeley englische Literatur und Linguistik und entwickelt seit 2009 für die Serie »Game of Thrones« die Sprache des Volks der Dothraki. Die Serie basiert auf dem Buch »A Song of Ice and Fire« von George R. R. Martin, in dem die Grundzüge des Dothraki bereits angelegt sind.

Die Fantasy-Serie »Game of Thrones« ist in den USA ein Hit geworden. Können Sie noch auf Partys gehen, ohne dass Sie in der Sprache der Dothraki angesprochen werden?
Ich kann auf viele Partys gehen, ohne ein einziges Wort Dothraki zu hören, aber es gibt keine Party, auf der ich nicht nach meiner Arbeit für die Serie gefragt werde. Und das ist auch okay. Schließlich ist »Game of Thrones« immer noch sehr populär, ich erwarte eigentlich, noch viele Jahre auf Dothraki angesprochen zu werden.
Wie lange haben Sie gebraucht, um Dothraki zu entwickeln?
Dothraki wird niemals fertig werden. Bei konstruierten Sprachen können immer Vokabeln hinzugefügt werden. Es ist mein Ziel, so lange neue Verben, Adjektive und Substantive hinzuzufügen, bis Dothraki aus mindestens sieben- bis achttausend Wörtern besteht. Um erstmal zu einer stabilen Basis zu kommen, habe ich acht Monate gebraucht. Manche Grammatiken wurden auch noch nach dieser Periode hinzugefügt. Sie haben die Sprache wieder leicht verändert. Aber die Hauptstruktur war nach acht Monaten ziemlich stabil.
In einem Interview in dem Magazin Slate sagten Sie: »Eine neue Sprache zu lernen, bedeutet, die Welt aus einem anderen Blickwinkel kennenzulernen. Eine neue Sprache zu erfinden, bedeutet, einen neuen Blickwinkel auf die Welt zu erfinden.« Wie hat Dothraki Ihre Sicht auf die Welt verändert? Mögen Sie den Stamm der Dothraki überhaupt?
Um die dothrakische Sprache zu entwickeln, musste ich komplett umdenken und erstmal vergessen, wie ich die Welt sehe. Ich bin völlig anders als die Dothraki: Aufgewachsen bin ich an der Küste, ich habe auch immer so weit wie möglich von der Wildnis entfernt gelebt. Außerdem geben mir Pferde nicht besonders viel, auch wenn sie feine Tiere zu sein scheinen. Um die Sprache der Dothraki zu entwickeln, musste ich mir vorstellen, wie wohl ein Leben ohne Bücher aussehen würde. Ich musste mir eine Welt vorstellen, in der der Einzelne sich tagtäglich um Leben und Tod Sorgen machen muss. Es ist wirklich gut, das aus einem gemütlichen Raum in der eigenen Wohnung heraus machen zu können.
Wann wurde Ihr Interesse geweckt, Sprachen zu erfinden?
Mein Interesse an konstruierten Sprachen stammt noch aus meiner College-Zeit in Berkeley. Ich besuchte dort im Jahr 2000 gerade meinen ersten Kurs in Linguistik, dazu belegte ich noch Kurse in Arabisch, Russisch und Esperanto. Dass es jemanden geben könnte, der Sprachen zum Spaß erfindet, hatte ich damals noch nie gehört, also habe ich es versucht. Kurz darauf fand ich heraus, dass es Hunderte oder gar Tausende Menschen überall auf der Welt gibt, die genau das Gleiche wie ich machen, was ich ernüchternd, aber auch spannend fand.
Welche besonderen Schwierigkeiten tauchen bei der Entwicklung einer Sprache auf?
Für mich sind es die Verben. Verbysteme sind immer ziemlich schwierig, egal, ob es darum geht, sie zu erfinden oder zu erlernen. Aber trotzdem ist so ein System ab einem bestimmten Punkt fertig, also besteht die wirkliche Herausforderung darin, Vokabeln hinzuzufügen. Die meisten natürlichen Sprachen bestehen aus über 100 000 Wörtern – man benötigt Jahre, um auch nur ein Zehntel davon für eine konstruierte Sprache zu entwickeln.
Mittlerweile leben Sie davon, Sprachen zu entwickeln. Wie sehen denn normalerweise die Vorgaben Ihrer Kunden aus?
Das hängt von dem Projekt ab. Manchmal sind die Rahmenbedingungen eindeutig. Beim Doth­raki war es das Ziel, eine Sprache zu entwickeln, die zwar erdacht ist, deren Charakter und Struktur aber bereits durch den Schriftsteller George R. R. Martin in seiner Serie »A Song of Ice and Fire« vorgegeben war. Im Prinzip kann aber jeder Kundenwunsch umgesetzt werden. Meistens sind diese Vorgaben ganz vage, etwa dass es scharf klingen soll, dass bestimmte Laute vermieden werden sollen oder dass das Vokabular Worte für bestimmte Dinge beinhalten muss. Daher ist es kein Problem, solche Vorschläge einzubauen.
Womit fangen Sie beim Erfinden einer Sprache an – bei einem Wort oder mit den Gram­matik­regeln?
Es kommt auf die Art der Sprache an und ob schon Material existiert, mit dem man arbeiten kann oder muss. Normalerweise aber beginne ich mit dem Klang, danach folgen die Grammatik und das Vokabular. Allerdings unternimmt man auch eine Menge Schritte vor und zurück. Man kann nicht einfach den Klang, die Grammatik und die Vokabeln nacheinander konstruieren, ohne dabei immer mal wieder ganz an den Anfang zurückzukehren und bestimmte Änderungen vorzunehmen. Änderungen wirken sich in allen Bereichen aus und erfordern dadurch wieder Änderungen in anderen Bereichen. Im Grunde genommen ist es eine Evolution der Sprache.
Entwickeln Sie Sprachen in aufeinanderfolgenden Entwicklungszyklen oder beginnen Sie mit verschiedenen Konzepten, aus denen Sie oder Ihre Kunden dann auswählen können?
Das hängt von dem Projekt ab, aber die Sprachen sind während des Entwicklungsprozesses normalerweise einer ständigen Veränderung unterworfen – basieren also darauf, was ich mache und welche Rückmeldungen ich bekomme.
Verwenden Sie zum Beispiel bestimmte Formeln für die Grammatik?
Komischerweise erinnert mich der Entwicklungsvorgang an eine Runde des Spiels »Civilization« von Sid Meier. In »Civilization« beginnt man mit einer Stadt und baut mit kleinen Schritten seine Zivilisation über einen Zeitraum von etwa 6 000 Jahren aus. Manches von dem, was passiert, ist geplant, anderes nicht. Manche Ideen am Anfang der Runde funktionieren nicht und manche gebauten Strukturen enden schon als Relikte, bevor die Zivilisation voll entwickelt ist. Das Konstruieren einer Sprache läuft sehr ähnlich ab.
Träumen Sie manchmal in einer von Ihnen erfundenen Sprache?
Nein, ich habe noch nie in einer meiner Sprachen geträumt, aber manchmal tauchen kurze Szenen auf, in denen in einer Kunstsprache gesprochen wird. In einem Traum wurde zum Beispiel ein Baseballspieler interviewt, und als er gefragt wurde, woher er stamme, antwortete er in einer konstruierten Sprache. Ich versuche immer, solche Träume aufzuschreiben, wenn ich sie habe.
Haben Sie eine Lieblingssprache?
Unter den natürlichen Sprachen ist Hawaiianisch meine Lieblingssprache. Unter den konstruierten Sprachen sind dies ea-luna, das von Mia Soderquist erfunden wurde, Skerre von Doug Ball, Okuna von Matt Pearson sowie das 1970 von dem ghanaischen Historiker K. A. Kumi Attobrah konstruierte Afrihili, das als eine gemeinsame afrikanische Sprache gedacht war.
Welche Sprachen würden Sie in den nächsten Jahren gerne lernen?
Türkisch, Finnisch, Estnisch, Tagalogisch und irgendeine der in Australien gesprochenen Sprachen.
Glauben Sie, dass die Welt eine bessere wäre, wenn wir alle dieselbe Sprache sprechen würden?
Ja, ich denke, es wäre vieles leichter, wenn wir dieselbe Sprache sprächen. Fast sind wir ja schon so weit, denn Englisch ist im Grunde die Sprache des Internet geworden. Allerdings wäre es wichtig, dass Gemeinschaften ihre Sprache beibehielten.
Welches von Ihnen erfundene Wort mögen Sie am meisten, und gibt es ein Wort, das Sie in allen Sprachen der Welt schön finden?
Das Wort für Schmetterling scheint mir immer einzigartig zu sein: butterfly im Englischen, papillon im Französischen, mariposa im Spanischen, faraasha im Arabischen und farfalla im Italienischen. Außerdem mag ich das Zeichen für »seltsam« in der Gestensprache. Eines der interessantesten Worte ist das hawaiianische mania, es beschreibt das Gefühl, das man im Bauch spürt, wenn man auf einer hohen Klippe steht. In Doth­raki mag ich vezhen sehr, das übersetzt »perfekt« oder »ausgezeichnet« bedeutet und den Wortstamm von dem dothrakischen Wort für »Hengst« hat, was, wie ich denke, ziemlich cool ist.