Die Folgen der arabischen Aufstände für den Iran

Looking from the outside in

Ist ein »Frühling« nach ägyptischem oder tunesischem Vorbild im Iran überhaupt möglich und welche Auswirkungen hätte dort ein regime change? Über die Folgen der arabischen Aufstände für die Islamische Republik Iran und die Haltung der westlichen Staaten gegenüber dem Regime der Mullahs.

Oft wurde mir in den vergangenen Wochen die Frage nach der Situation im Iran ein Jahr nach den arabischen Aufständen gestellt: Wie stabil ist das Regime der Mullahs? Wo bleibt der »iranische Nelson Mandela«? Und wie können die westlichen Staaten die iranische Opposition überhaupt unterstützen? Wann das islamische Regime gestürzt werden wird, ist schwer abzusehen, fest steht jedoch: Die Mehrheit der iranischen Bevölkerung hat sich unmissverständlich gegen dieses Regime entschieden. Ich lebe seit 26 Jahren im Exil in Deutschland und bin in dieser Zeit niemals in den Iran gereist.
Die deutsche Außenpolitik und das Verhalten der westlichen Staaten zum Iran sagen viel über den Zustand der Islamischen Republik und die Aussichten auf das Ende des Mullah-Regimes aus. Um die derzeitige Konstellation des iranischen Verhältnisses zum Westen einzuordnen, muss kurz seine Vorgeschichte skizziert werden. 1988 führte der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher bei einem Staatsbesuch in Teheran Gespräche über den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Iran und der Bundesrepublik. Begleitet wurde er von 80 Vertretern der deutschen Industrie. Erst wenige Monate zuvor hatte die Islamische Republik ihre Gefängnisse von politischen Gefangenen »säubern« und mindestens 5 000 Insassen – aber wahrscheinlich waren es Zehntausende – ermorden lassen.

Wer auch immer heutzutage das Zeug zu einem »iranischen Nelson Mandela« hätte, der oder die könnte kaum darauf hoffen, aus dem Gefängnis heraus irgendetwas zu bewegen. Exil oder Tod wären realistischer. Das haben Genscher und die ihm folgenden deutschen Politiker schon damals verstanden. Die Fähigkeit des iranischen Regimes, mit grenzenlosem Terror für »Stabilität« zu sorgen, wurde hierzulande auch immer toleriert: In den neunziger Jahren ließ das iranische Regime durch eine Serie von Morden, die als »Kettenmorde« bekannt wurden, kritische Intellektuelle beseitigen und die Studentenbewegung von 1999 niederschlagen. Deutschland reagierte darauf mit der Einladung von Präsident Mohammed Khatami, dessen Staatsbesuch im Sommer 2000 von der sogenannten »Berliner Konferenz« der Heinrich-Böll-Stiftung vorbereitet worden war. Der offizielle Titel der Konferenz lautete: »Iran nach den Parlamentswahlen. Die Reformdynamik in der Islamischen Republik«. Iranische Exil­oppositionelle, die damals gegen die Einladung sogenannter Reformislamisten protestierten, ließ man von deutschen Polizisten zusammenschlagen.

Hofiert werden in Europa dagegen Kritikerinnen und Kritiker des iranischen Regimes wie Shirin Ebadi oder Akbar Ganji. Sie sind Oppositionelle, die dem Geschmack der Europäer eher entsprechen, und gelten als lebendige Bestätigungen für die in den westlichen Staaten verbreitete Überzeugung, im Iran gebe es Islamisten auf der einen Seite und »Reformislamisten« auf der anderen, die Politik auf der Basis der wunderbaren Verfassung der Islamischen Republik betreiben wollten. Dabei gibt es im Iran Kritikerinnen und Kritiker für jeden politischen Geschmack, die für Demokratie und für die Trennung von Staat und Religion eintreten. Amir Entezam zum Beispiel, der als am längsten inhaftierter politischer Gefangener der Islamischen Republik wundersamerweise überlebt hat, obwohl er kein islamistischer »Reformer« ist. Oder Iraj Mesdaghi, ein ehema­liger politischer Gefangener, der mit seiner hervorragenden vierbändigen Darstellung des Gefängnissystems der Islamischen Republik bekannt geworden ist. Solche Bücher entstehen normalerweise erst nach dem Sturz von Diktaturen, wenn die Geheimarchive der Henker geöffnet werden. Prinz Reza Pahlavi, der Sohn des gestürzten Shahs, engagiert sich für Menschenrechte im Iran. Aber auch »richtige« Linke fehlen unter den Oppositionellen nicht. Die Kommunistin Mina Ahadi etwa, die Vorsitzende des »Internationalen Komitees gegen Steinigung« (Jungle World 47/10), hat wesentlich dazu beigetragen, die zur Steinigung verurteilte Sakineh Mohammadi Ashtiani vor dem Tod zu retten.
Sogar ein Mullah wie Ayatollah Boroujerdi sitzt wegen seines Eintretens für die Trennung von Staat und Religion im Gefängnis. Noch strafverschärfend wirkt bei ihm der Protest gegen die antisemitische Hetze des iranischen Regimes.
Auf die Frage nach den »iranischen Nelson Mandelas« könnte man also mit diesen Beispielen antworten, die Frage ist, ob die westlichen Staaten etwas mit diesen Personen anfangen können oder wollen. Jüngst hat sich das Europäische Parlament dazu entschlossen, Sanktionen gegen die iranischen Ölexporte sowie gegen die iranische Zentralbank zu verhängen. Dies ist begrüßenswert. Doch solange diese Maßnahmen nicht von einer Anerkennung der iranischen Exilopposition und der säkularen Opposition im Iran begleitet werden, zielen sie ins Leere. Als Beispiel mag hier der Umgang der USA und Europas mit der wichtigsten iranischen Oppositionsgruppe, den Volksmudjahedin (MEK) dienen. Sie wurden 1997 auf die US-Terrorliste gesetzt, um eine Verbesserung der Beziehungen zum vermeintlichen Reformer Khatami anzubahnen, die europäischen Regierungen folgten dem Beispiel wenige Jahre später. Man kann die Ideologie der Volksmudjahedin beurteilen, wie man will, dass sie sich gegen aus der europäischen Terrorliste gestrichen wurden, ist nur ihrem politischen Kampf auf der Basis jener »Rule of Law« zu verdanken, die der Westen im Umgang mit Despotien wie der Islamischen Republik gerne beiseite legt. Die Dämonisierung der MEK als »Terroristen« war ein Gottesgeschenk an die Mullahs und ein Signal an alle ernsthaften Oppositionellen, dass die westlichen Staaten keinen regime change im Iran wünschen. Das Ende der Listung in den USA wird die Frage nach dem Schicksal des Iran zurück in die Hände der Gegner der Islamischen Republik legen.

Im Iran wurde vor mehr als 30 Jahren der erste Sharia-Staat der Neuzeit gegründet, die Iranerinnen und Iraner haben eine jahrzehntelange Erfahrung mit dieser historischen Katastrophe hinter sich. Die blutige Geschichte des Aufstiegs der Islamisten im Iran, Algerien oder Afghanistan scheint in den arabischen Ländern, in denen im vergangenen Jahr Revolten stattfanden, nur bedingt abschreckend zu wirken. Die politischen Konstellationen dort ähneln derzeit teilweise denen im Iran im Jahr 1979, und trotzdem ist überall von »moderaten Islamisten« die Rede. Die Iranerinnen und Iraner haben diese Illusion bereits hinter sich. Der politische Konflikt im Iran ist eine Aus­einandersetzung mit der grausamen Diktatur, aber auch mit der historischen Rolle der Religion in der Gesellschaft. Man könnte von einer Art nachholender Säkularisierung sprechen. Die Aufgabe der Revolutionäre gestaltet sich dort umso schwieriger, denn ein Sturz des Mullah-Regimes hätte dramatische Folgen für die gesamte islamische Welt.
Doch zurück zur Iran-Politik Deutschlands und der westlichen Staaten, deren Ziel ein vom Westen kontrollierbarer Islamismus ist. Als das iranische Regime im Konflikt um das Atomprogramm im Januar drohte, die Straße von Hormus zu sperren, da verstummte plötzlich in Deutschland die altbekannte Rhetorik gegen die angeblich kriegslüsternen Amerikaner. Wenn die Energieversorgung des europäischen Exportweltmeisters gefährdet ist, hört nämlich der Spaß ganz schnell auf. Und in der Tat: Es war ein deutliches Zeichen der Schwäche, dass die iranischen Führer, anstatt souverän das Doppelspiel von Terror und Diplomatie in Szene zu setzen, den Konflikt so weit getrieben haben, dass auch Deutschland sich gezwungen sah, Maßnahmen gegen das Mullah-Regime zu ergreifen.
Als im Dezember 1953 anlässlich des Besuchs des damaligen US-Vizepräsidenten Richard Nixon im Iran drei linke Studenten von der Polizei des Shahs erschossen wurden, war die Empörung groß, der Jahrestag dieses Ereignisses wurde zum Anlass von Studentenprotesten in den folgenden Jahrzehnten. Doch die Brutalität der Pahlavi-Dynastie wurde von Khomeinis Schreckensherrschaft übertroffen. Es gab fortan nicht etwa einzelne Morde, die das Grauen der Islamischen Republik symbolisierten, sondern der Terror wurde allgegenwärtig und prägte den Alltag der Ira­nerinnen und Iraner von Anfang an. Die Zerstörung elementarster Grundlagen von Vernunft und Moral trieb auch im Westen seltsame Blüten. Deutsche Akademikerinnen verteidigen das Kopftuch als Mittel feministischer Ermächtigung, berühmte Theoretikerinnen wie Judith Butler verstehen die Hamas und die Hizbollah als linke Organisationen, einige vermeint­liche Freunde Israels in der Linken wiederum meinen, der orientalische Antisemitismus stelle die Verbrechen Nazideutschlands in den Schatten.
Als ich vor Jahren den Leiter des persischen Rundfunks bei Radio Israel besuchte, fragte er mich nach den ausbleibenden Reaktionen in Deutschland auf Ahmadinejads Versuch, der deutschen und österreichischen Jugend den Holocaust als »Mythos der Zionisten« zu verkaufen. »In Israel hatten wir gedacht,in Deutschland würden viele junge Menschen auf die Straße gehen, um gegen diese Vereinnahmung und die Verleugnung historischer Fakten zu protestieren. Warum ist nichts passiert?«. Diese Frage bleibt bis heute offen.