Assad schafft den Sozialismus ab

Das Ende des Familiensozialismus

Der syrische Präsident will in einem Referendum über eine neue Verfassung abstimmen lassen. Aus dem neuen Entwurf ist die Bezeichnung Syriens als »sozialistische arabische Republik« gestrichen worden. Über den Sozialismus der arabischen Ba’ath-Parteien und ihre europäischen Vorbilder.

Das Ende kommt nun wohl doch etwas schneller als gedacht, zumindest was die ewige Herrschaft der Ba’ath-Partei in Syrien und ihren »Sozialismus« angeht. In dem gerade hervorgezauberten Verfassungsentwurf, über den Bashar al-Assad noch im Februar abstimmen lassen will, wurde nichts von dem alten Artikel 8 der seit 1973 gültigen Verfassung belassen, in dem der Ba’ath-Partei die führende Rolle in Staat und Gesellschaft verbrieft worden war. Im neuen Entwurf wurde auch der Hinweis gestrichen, die syrische arabische Republik sei »sozialistisch«, ebenso wie Artikel 13, der eine sozialistische Planwirtschaft festlegt, deren Ziel es sei, jede Form von Ausbeutung abzuschaffen. Ganz zu schweigen von der Streichung des bedeutenden Satzes in der Präambel, der Vormarsch hin zu einer »sozialistischen Ordnung« entspringe nicht nur den Bedürfnissen der arabischen Gesellschaft, sondern er sei auch notwendig für die Mobilisierung der arabischen Massen in ihrem Kampf gegen Imperialismus und Zionismus. In der modifizierten Form ist nur noch die Rede von Syrien als dem »Herz der arabischen Welt«, dem Mittelpunkt »der Konfrontationslinie mit dem zionistischen Feind« und der »Widerstandsbasis gegen die Vorherrschaft über die arabische Welt, ihren Wohlstand und ihre Ressourcen«. Ohne Antizionismus geht es also immer noch nicht, die beste Garantie für die eigene Identität bleibt der Erbfeind.
Ansonsten stehen in Assads neuer Verfassung wohlklingende Begrifflichkeiten wie »Rule of Law«, Wahlen, Demokratie, Freiheit, Pluralismus. Angesichts der strikten Präsidialverfassung, in der weiterhin viel von einem starken Präsidenten, aber wenig von parlamentarischer Kontrolle die Rede ist, fragt man sich, ab wann die Begrenzung der Amtszeit eines Präsidenten auf insgesamt 14 Jahren für Assad gelten soll. Der Mann ist seit zwölf Jahren im Amt, und es ist vermutlich kein Zufall, dass in dem Entwurf die Amtszeit des Präsidenten nicht etwa auf zweimal fünf oder zweimal sechs Jahre festgelegt wird. Wichtiger noch ist die Frage, wie denn über diesen Verfassungsentwurf, der ohne öffentliche Diskussion zustande kam, innerhalb von zwei Wochen abgestimmt werden soll, während die Armee ganze Wohnviertel unter Dauerbeschuss hält und Teile des Landes der Kontrolle des Regimes bereits entglitten sind.

Der Verfassungsentwurf ist allerdings bereits jetzt als historisch zu betrachten, nämlich als Abgesang auf die von der Ba’ath-Partei vertretene Ideologie des »Arabischen Sozialismus«. Mit diesem »Sozialismus« war es sowieso nie besonders weit her, die Ursprünge des Ba’athismus liegen vielmehr in den Abgründen der totalitären Ideologien im Europa des 20. Jahrhunderts. Zuerst bewunderten nationalistisch und antikolonial motivierte arabische Studenten in Frankreich vor dem Zweiten Weltkrieg den italienischen Faschismus, dann nahm sie der Siegeszug der Nazis für den Führerstaat ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb als autoritäres Vorbild nur die Sowjetunion unter Stalin. Diese Mischung aus Nationalismus, Militarismus, Pan-Ideologie, antiimperialistischer Rhetorik und Führerkult verbreitete sich schnell im Nahen Osten. Junge, schneidige Offiziere, die sich am alles überstrahlenden Vorbild des Nationalisten Gamal Abd al-Nasser in Ägypten orientierten, galten damals als politische Akteure, die ihren Ländern eine unabhängige, »progressive« Entwicklung garantieren konnten.
Die Schaffung demokratischer Institutionen war keiner politischen Strömung ein Anliegen. Auf der einen Seite standen die vom Westen unterstützten, undynamischen und reaktionären Monarchien, auf der anderen die jungen antiimperialistischen Nationalisten, die Unterstützung bei der Sowjetunion fanden. Syrien war in dieser Zeit das beste Beispiel für die instabile Entwicklung der jungen Staaten im Nahen Osten. Nach der Unabhängigkeit von Frankreich 1945 war Syrien das Land in der Region, in dem am häufigsten geputscht wurde. Es folgte die dauerhafte, gerade jetzt noch einmal erkennbare Verbundenheit zwischen Syrien und Russland. Nach der ersten Machtübernahme Anfang der sechziger Jahre wurde in der syrischen Ba’ath-Partei der »linksradikale« Parteiflügel beseitigt, es folgte – ähnlich wie im Irak – die stabilisierende Übernahme der Partei durch einen Führer. Hafez al-Assad, der Vater des derzeitigen Präsidenten, wurde im Jahr 1970 Anführer der Partei. Wegen der Feindschaft zum Führer der irakischen Ba’ath-Partei, Saddam Hussein, unterstützten die syrischen Ba’athisten nach 1979 den »revolutionären Iran«, verdarben es sich aber gleichzeitig mit den Ölmonarchien am Golf. Vom Westen wurden sie dagegen belohnt, etwa für die Unterstützung des Golfkrieges 1991. Die Rolle der syrischen Ba’ath-Partei als Bürgerkriegspartei im Libanon war ein weiterer entscheidender Kostenfaktor für den Einkauf der Assads durch den Westen.

Das politische System Syriens war schon immer in faszinierendem Maß wandlungsfähig, blieb dabei aber angeblich immer sozialistisch. Ohne eigene größere Ressourcen wurden dort in den sechziger Jahren die rudimentären Industrien tapfer verstaatlicht, dann allerdings auch wieder schnell privatwirtschaftliche Initiativen gefördert, vor allem in Form von umfassender Korruption und Schmuggel aus dem Libanon. Als Staat hat Syrien in den vergangenen 40 Jahren allein von seiner Rolle als mächtige Schnittstelle im Nahen Osten gelebt. Die Ökonomie hat die Politik unter der Herrschaft der Assads nie wirklich interessiert. Syrien verfügt weder über eigene bedeutende Ressourcen noch über eine nennenswerte Industrieproduktion. »Sozialismus« bedeutete all die Jahre die Herrschaft der Familie Assad, die sich wiederum auf die von außen bezahlte Subvention von Grundbedürfnissen verließ, um die innenpolische Lage ruhig zu halten.
Mit diesem System ist es nun vorbei. Die so technokratisch-neutral formulierten EU-Papiere der vergangenen Jahre über »Industrial Growth« kann man ebenso getrost vergessen wie Assads große Reden über »Reformen«. Die einzigen Profiteure der von allen Seiten geforderten »Privatisierung« in Syrien seit den neunziger Jahren waren aus naheliegenden Gründen Verwandte der Präsidentenfamilie, insbesondere Assads Cousin, Rami Makhlouf. Nicht umsonst richteten sich die Proteste gleich zu Anfang gegen ihn, denn er ist der Inhaber der einträchtigsten Mobilfunklizenzen des Landes, der legendäre »Mister Fünf Prozent« des Regimes. Sozialismus heißt hier bloß noch Familienabgabe. Nun stellt sich heraus, daß einzelne Milliardäre nicht das Überleben des Regimes garantieren können.
Weder die Installation einer Börse in Damaskus vor drei Jahren noch die Einführung von Gesetzen zur »Investitionsförderung«, die mit viel gutem Willen von der EU beworben wurden, haben geholfen, genauso wenig wird nun die Streichung des Sozialismus und der Ba’ath-Partei aus der Verfassung helfen. Die einzige Hilfe für Assad kommt derzeit aus Russland in Form von Patronen für die Kalaschnikows – und zwar gegen Bargeld.