Ein Dokumentarfilm über die Punk- und Rockmusikszene im südlichen Afrika

Free Punk

Ein Dokumentarfilm widmet sich der Geschichte der Punk- und Rockmusikszene im südlichen Afrika.

Dass Afrika und insbesondere Südafrika popmusikalisch viel zu bieten haben, ist bekannt. An Rockmusik denkt dabei jedoch kaum jemand, und an Punk erst recht nicht. Dennoch gibt es auf dem afrikanischen Kontinent etliche Bands, die Punk in einer seiner vielen Ausprägungen spielen. Die marokkanische Band ZMB macht Skatepunk, die algerische Gruppe Demokhratia, die dieses Jahr durch Europa tourt, spielt Crust, in Kenia sorgen This Year’s Tragedy für Metalcore. Auch auf Madagaskar und Réunion gibt es ein paar Bands, vor allem aber im südlichen Afrika.
Mit der Geschichte und Gegenwart von Punk in Südafrika, Zimbabwe und Mosambik beschäftigt sich jetzt eine Filmdokumentation, die vor einigen Wochen beim Internationalen Filmfestival in Rotterdam ihre Europapremiere hatte. Der Film »Punk in Africa« von Keith Jones und Deon Maas geht chronologisch vor. Er beginnt im Südafrika der Apartheid und endet in der Gegenwart. Damals, Anfang der Achtziger, als die Punkwelle Südafrika erreichte, wurde das rassistische Regime der weißen Minderheit bereits international kritisiert. Südafrika war in den blutigen Bürgerkrieg in Angola verwickelt, und im Land kam es immer wieder zu gewaltsamen Protesten schwarzer Südafrikaner gegen das Regime. Auch viele weiße Jugendliche waren nicht einverstanden mit der Regierung. Sie solidarisierten sich mit dem schwarzen Widerstand und protestierten gegen die Wehrpflicht, die sie zwang, an einem Krieg teilzunehmen, den sie nicht wollten. Dennoch war ihre Position in der Apartheidsgesellschaft eine privilegierte. Zwar traf die Repression auch weiße Jugendliche, doch niemals erfuhren sie die brutale Gewalt, mit der Polizei und Armee in den Townships wüteten.
Der frühe südafrikanische Punk lebte vom Protest gegen die Apartheid. Bands wie Wild Youth, deren Verehrung für The Clash in jedem Akkord hörbar ist, oder Power Age, die eher an The Crass erinnern, begriffen sich politisch.Wichtig waren vor allem gemischte Bands wie National Wake. Bereits der Umstand, dass Schwarze und Weiße gemeinsam auf der Bühne standen und für ein gemischtes Publikum spielten, war zu viel für die Obrigkeit. »Die Polizei kam manchmal zwei oder drei Mal am Tag bei uns vorbei und durchstöberte unsere Sachen«, erinnert sich Gitarrist Ivan Kadey. Die andauernden Schikanen waren einer der Hauptgründe für das frühe Ende der Band. Ein weiterer Grund war, dass im Apartheidssystem einfach kein Platz war für eine Band, die weder weiß noch schwarz war. Die Gruppe erhielt kaum Auftrittsmöglichkeiten, an einen Vertrag mit einer großen Plattenfirma war nicht zu denken. Allein die Existenz der Band stellte alles in Frage, wofür die Apartheid stand.
Der Kampf gegen die Apartheid war es auch, der den US-amerikanischen Filmemacher Keith Jones zum ersten Mal mit Südafrika in Berührung brachte. In den achtziger Jahren war die Punkszene in seiner Heimatstadt Washington DC eng mit der Antiapartheidsbewegung verbunden. Als er einen Film über Theatergruppen in Südafrika drehte, stieß er dort immer wieder auf das Thema Punk und dessen politische Bedeutung. So versteht er auch sein jüngstes Filmprojekt als ein explizit politisches: »Punk war schon immer politisch, aber in Afrika war er wirklich revolutionär orientiert, und es war gefährlich, ein Teil davon zu sein. Von daher ist der Film auf jeden Fall ein politisches Statement.«
Der Film beschäftigt sich auch mit dem Punk in Mosambik, wo die Szene ihren Anfang in der Zeit des Bürgerkrieges nahm, sowie mit der Szene in Simbabwe, wo Präsident Robert Mugabe seit Jahrzehnten autoritär herrscht. In Harare treffen Jones und sein Team die Band Eviction. Einige ihrer Mitglieder gehören der kleinen weißen Minderheit an, die Mugabe seit Jahren zum Sündenbock für die Probleme des Landes stilisiert, obgleich es seine Politik ist, die das Land zu einem der zehn ärmsten der Welt gemacht hat. »Die wirtschaftliche Situation ist schwierig. Es ist oft nicht einfach, etwas zu essen aufzutreiben, und dass es die Hälfte der Zeit keinen Strom gibt, ist auch nicht wirklich hilfreich«, erzählt Schlagzeuger Nick Newbery, »aber das hier ist unser Land, unser Zuhause. Wir lieben es und wir lieben die Menschen hier.«
Ähnlich äußert sich auch Lee Thomson, Trompeter der Skapunkband Hog Hoggidy Hog aus Kapstadt: »Ich werde mich nicht hinstellen und sagen, ich sei nicht afrikanisch, denn weißt du was? Ich bin es nämlich!« In beiden Aussagen spiegelt sich der Identitätskonflikt der Generation junger Weißer wider, die einerseits froh sind, die rassistischen und kolonialen Regimes der Vergangenheit überwunden zu haben, gleichzeitig aber noch immer von den wirtschaftlichen und sozialen Privilegien profitieren, die Generationen von Weißen vor ihnen sich gewaltsam angeeignet haben. Selbst wenn sie wollten, könnten sie diese Privilegien nicht ohne weiteres abtreten. Sie werden von Generation zu Generation durch ein segregiertes Schulwesen und die Konzentration ökonomischer wie politischer Macht nach ethnischen Gesichtspunkten tradiert. Beide Bands versuchen ihren Konflikt auch in ihrer Musik zu verarbeiten, indem sie lokale Musiktraditionen in ihr Songwriting einfließen lassen. Neben bestimmten Formen von Melodieführung und Vokalharmonien spielen dabei vor allem die typischen Rhythmen örtlicher Tanzmusiken wie Marabi oder Marrabenta eine Rolle.
Der Punk in Afrika hat damit eine ähnliche Transformation erlebt wie zuvor der HipHop. Auch hier hat es zahlreiche lokale Adaptionen gegeben, die jeweils die kulturellen Einflüsse aus Übersee mit lokalen Poptraditionen vermischten. Hiplife in Ghana mischt HipHop mit Highlife, Kwaito in Südafrika bezieht seine Energie nicht nur aus HipHop und House, sondern auch aus dem Mbaqanga der Zulu, während am anderen Ende des Kontinents der Raï Algeriens mit US-amerikanischem R’n’B angereichert zu Raï’n’B verarbeitet worden ist. Dass Punk einen ganz ähnlichen Weg geht, scheint nur logisch.
Es wäre es ein Fehler, Punk in Afrika als Kuriosum abzutun, wie es einst die Mitglieder der Band NoFX taten, was sie zu allem Überfluss auch noch in der Fernsehserie »Backstage Pass­port« in Bild und Ton festhielten. Die Mitglieder der amerikanischen Punkband taten dabei so, als seien sie die ersten Punks am Kap der Guten Hoffnung. »Was mir da einige Leute für Geschichten erzählt haben, mag ich gar nicht weitererzählen«, meint Keith Jones, als er darauf angesprochen wird. »Manche Menschen werden es wohl einfach nie kapieren. Sie verbringen eine Woche in einem Land und denken, sie wissen alles.« Vielleicht sollte er ihnen eine DVD seines Films schicken, wenn diese wie geplant im Herbst erscheint.

Punk in Afrika. Regie: Keith Jones, Deon Maas.
Südafrika/Tschechien 2011, 80 Minuten.
www.punkinafrica.co.za