Wohin mit dem Atommüll?

Bloß weg damit

Die Bundesregierung sucht dringend nach einem Endlager für nukleare Abfälle. Doch als wirklich sicher kann kaum ein Standort gelten. Ob Salz, Granit oder Tonstein, jedes Gestein hat seine ganz speziellen Nachteile.

Wo genau der Atommüll landen soll, ist immer noch unklar. Am Donnerstag vorvergangener Woche einigten sich Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Ländern bei einem Treffen in Berlin immerhin darauf, bis zum Sommer einen Gesetzentwurf zur Endlagersuche vorzulegen. Der erste Schritt ist laut Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) die Gründung eines neuen Bundesinstituts für Endlagerung, das die Suche steuern soll. Kritik an dieser Idee äußerte unter anderem Wolfram König (Grüne), der Leiter des Bundesamtes für Strahlenschutz, der die Kompetenzen seiner Behörde dadurch beschnitten sah und davor warnte, das Suchverfahren von den laufenden Endlagerprojekten zu trennen.
Kritikerinnen und Kritiker, etwa von der Umweltorganisation Greenpeace, bemängeln, dass der Salzstock Gorleben immer noch als Referenz­standort für Endlager gilt. Bereits im November vergangenen Jahres hatten sich Bund und Länder bei der Suche nach einem Endlager darauf geeinigt, neben Gorleben weitere Standorte und andere Gesteine wie Tonstein und Granit ins Auge zu fassen. Die Bevölkerung soll beim neuesten Gesetzesvorhaben auch mitreden dürfen, in welchem Ausmaß, wird noch diskutiert. Wägt man die Vor- und Nachteile der verschiedenen Möglichkeiten für Endlager ab, dürfte eine Entscheidung aber äußerst schwer fallen.

In einem Endlager soll strahlender Müll über geologische Zeiträume hinweg isoliert gelagert werden, so dass er möglichst keine negativen Auswirkungen auf menschliches Leben hat. Im Fall von abgebrannten Brennstäben dauert es eine Million Jahre, bis die Strahlung auf ein niedriges Niveau gefallen ist. Für diesen Zeitraum sollten die Auswirkungen von tektonischen Bewegungen, Ero­sion, dem Aufstieg eines Salzstocks oder gar von Eiszeiten in Erwägung gezogen werden. Außerdem entwickelt der atomare Abfall durch radioaktiven Zerfall Wärme: Temperaturen um die 100 oder 200 Grad sind möglich, die sich negativ auf die Barrieren auswirken, den Porendruck in der Umgebung erhöhen und die Diffusion beschleunigen – beispielsweise aus dem Glas, in das die Stoffe eingeschlossen sind. Ein weiteres Problem ist die Strahlung, da sie die Struktur der Stoffe zerstört, die das Austreten radioaktiver Nuk­lide verhindern sollen.
Die sogenannten schwach- und mittelradioaktiven Abfälle sind nicht ganz so problematisch, sie strahlen weniger, die Halbwertszeit ist kürzer und sie entwickeln keine Wärme. Dafür bergen sie ein anderes Problem: Die organischen Bestandteile, etwa Textilien, zersetzen sich zu Gasen wie Methan, Kohlendioxid und Wasserstoff. Die Gase enthalten C14 und sind daher selbst radioaktiv. Wenn der Gasdruck steigt, können sich Risse bilden, aus denen das Gas entweicht.
In geringerem Maß setzen auch hochradio­aktive Abfälle Gase frei. Außerdem entsteht bei der anaeroben Korrosion der Stahlbehälter Wasserstoff. Das Entstehen und Entweichen von Gasen dürfte die größte Herausforderung bei der Endlagerung sein, das andere große Problem ist die Lösung in Wasser. Manche radioaktive Stoffe wie Chlor, Jod oder Selen sind leicht löslich, andere wie Uran sind als Komplexe löslich, wenn der pH-Wert stimmt und die entsprechenden Komplexbildner vorhanden sind, zum Beispiel Hydrogenkarbonat oder Salz.
In Deutschland galt ausgerechnet Salz bis zum Herbst vergangenen Jahres als am besten geeignetes Gestein für die Endlagerung. Salzstöcke sind in der Regel trocken und gut verformbar, weshalb angenommen wird, dass sich Hohlräume durch weitere Verformung schließen und die Fässer wie von selbst fest eingeschlossen werden. Allerdings ist Salz auch wasserlöslich und ein Salzstock nicht homogen. Er besteht aus unterschiedlichen, meist wild verfalteten Schichten: neben Kochsalz zum Beispiel aus Kalisalz, sehr gut löslichem Magnesiumsalz oder dem Sulfat Anhydrit, das kaum löslich, dafür rissig und wasserdurchlässig ist. Trocken ist das Innere des Salzstocks nur, weil Wasser Salz löst, bis es gesättigt ist und dann nicht weiter vordringen kann. Übrigens korrodiert Stahl im Salz sehr schnell, die Fässer dienen also nur dem Transport und nicht als Barriere.
Wie problematisch es ist, ausgerechnet ein wasserlösliches Gestein zu verwenden, zeigt das »Forschungsendlager« Asse. Dieser Salzstock ist durch den früheren Abbau durchlöchert wie ein Emmentaler Käse, zum Teil trennen nur wenige Meter Salz die Kavernen vom Nebengestein. Daher kommt es zu Einbrüchen von Frischwasser, das weiteres Salz löst und die Hohlräume vergrößert. Im schlimmsten Fall könnte sich der halbe Salzstock in eine Art Salzschlamm verwandeln. Gesättigtes Salzwasser beschleunigt die Korrosion der Stahlfässer und erhöht die Löslichkeit radioaktiver Stoffe. Schon jetzt wurde außerhalb der Einlagerungskammern belastetes Salzwasser gefunden. Normalerweise steigt dieses Salzwasser nicht auf, da es eine höhere Dichte hat, nur verschließt eine fortgesetzte Verformung des Gesteins nicht nur Hohlräume, sondern presst auch belastetes Salzwasser nach oben. Daher wurde beschlossen, die Fässer in einer aufwendigen Operation zurückzuholen. Hinzu kommt, dass die verbliebenen Wände und Decken zwischen den großen Hohlräumen durch Verformung inzwischen derart beansprucht sind, dass ein Einsturz droht. Um genug Zeit für die Rückholaktion zu haben, müssen einige der Kammern wieder mit Salz gefüllt werden.

Asse ist ein gutes Beispiel dafür, welche katastrophalen Folgen unvorhergesehene Faktoren haben können. Auf den Salzstock Gorleben sind diese Erfahrungen nicht direkt übertragbar, da er kaum durchlöchert ist. Allerdings hat die Tonschicht, die ihn abdeckt und von oben vor Wasser schützen soll, offensichtlich Löcher. Als noch größeres Problem dürfte sich das eingeschlossene Erdgas herausstellen, das dort entdeckt wurde. Welche Auswirkungen der heiße Atommüll in unmittelbarer Nähe haben könnte, ist unbekannt – ebenso die Langzeitfolgen der Radiolyse, bei der das Salz durch die Strahlung in seine Bestand­teile Chlor und Natrium aufgespalten wird. Angeblich bildet sich diese explosive Mischung nur in vernachlässigbaren Mengen, aber diese Annahme ist umstritten.
Während man in Deutschland trotzig am Salzstock als Endlagerstandort festgehalten hat, schwört man in Skandinavien auf Granit. In Finnland wird bereits das weltweit erste Endlager für hochradioaktive Abfälle in Olkiluoto gebaut, in Schweden ist eines in Forsmark in Planung. Granit ist eigentlich keine gute Barriere, da er Klüfte hat, durch die Wasser aufsteigen kann. Als wichtigste Abschirmung sollen fünf Zentimeter dicke Kupferbehälter dienen – was beim derzeitigen Kupferpreis teuer wird. Diese sollen mit Bentonit umgeben werden, einem zähflüssigen Tonschlamm, der als mechanische Stütze und chemischer Puffer fungiert. Man geht davon aus, dass durch die Wirkung von aeroben Bakterien der Sauerstoff nach der Verschließung aus dem Endlager verschwindet und die Kupferbehälter 100 000 Jahre brauchen, bis sie aufgelöst sind, vor allem durch im Wasser gelöstes Sulfid. Im Bentonit lebende, Sulfat reduzierende Bakterien könnten dies aber beschleunigen. Manche Forscherinnen und Forscher vermuten, dass auch Wasser selbst Kupfer lösen kann, was die Haltbarkeit stark verringern würde. Ebenso ungelöst ist die Frage, wie zukünftige Generationen davon abgehalten werden sollen, das Endlager mit einer Kupferlagerstätte zu verwechseln.
Für Deutschland kommen Granite als Endlagerungsort nicht in Frage, da sie wesentlich stärker zerklüftet sind. In der Schweiz, in Frankreich und in Belgien ist die Endlagerung in Tonstein geplant. Dieser hat den Vorteil, dass er wasserdicht ist und Risse sogar selbst verheilen: Dringt Wasser ein, schwellen die Tonminerale auf beiden Seiten an und verschließen den Riss wieder. Ein Nachteil ist, dass Tonstein sehr weich ist, die Stollen müssen aufwendig abgestützt werden. Außerdem darf Tonstein nicht heiß werden: Die vom Müll entwickelte Wärme reicht in der unmittel­baren Umgebung für metamorphe Reaktionen aus, wodurch die positiven Eigenschaften verloren gehen. Das gilt übrigens ebenso für Bentonit, der auch hier zum Einsatz kommen soll. Die Fässer müssen in großem Abstand eingelagert werden, um das Problem zu minimieren, und der überlagernde Tonstein muss relativ dick sein. Ein weiteres Problem sind die freigesetzten Gase. Der Müll soll in Stahlbehälter verpackt werden, die wesentlich schneller als Kupfer korrodieren, wobei Wasserstoff entsteht.

Im Schacht Konrad bei Salzgitter sollen schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Gesteine unterhalb einer 400 Meter dicken Schicht aus Tonstein einlagert werden. Langfristig wird tiefes Grundwasser die Stoffe lösen und wegtransportieren. Wenn die Modellberechnungen stimmen, tritt es in 300 000 Jahren erstmals an der Erdoberfläche auf – für schwach- und mittelradioaktive Abfälle noch akzeptabel, da ihre Radioaktivität dann weitgehend abgeklungen wäre.
Die USA waren das einzige Land, in dem eine Endlagerung oberhalb des Grundwasserspiegels geplant war, in flachen Stollen im Tuffgestein des Yucca Mountain in der Wüste von Nevada. Dort gäbe es weniger Probleme mit der Korrosion der Behälter. Allerdings ist die ganze Region für starke tektonische Bewegungen, Erdbeben und kleine Vulkane bekannt. Daher wurde das Vorhaben wieder gestoppt.
Die Atomlobby glaubt an die technische Machbarkeit einer sicheren Endlagerung, aber allzu viele Fragen sind noch nicht gelöst, so dass dies zu bezweifeln ist. Sicher ist nur, dass Endlagerung teuer wird, was die Behauptung, Atomstrom sei billig, als Lüge entlarvt. Der Müll ist jedoch da und seine Menge steigt mit jedem Tag. Da es keine gute Idee ist, ihn langfristig in einer Lagerhalle abzustellen, muss trotz aller Zweifel eine halbwegs sichere Lösung gefunden werden. Bei der Auswahl sollten weniger politische Gründe (wie im Fall von Gorleben), sondern vor allem wissenschaftliche Kriterien im Vordergrund stehen. Während in Deutschland bisher alles hinter verschlossenen Türen ablief, wird sich zeigen, wie ernst der jüngste Beschluss gemeint ist, die Bevölkerung in die Entscheidung mit einzubeziehen. In der Schweiz darf sie immerhin aus mehreren Standortvorschlägen auswählen – die sich übrigens alle in der Nähe der deutsch-schweizerischen Grenze befinden.