Ein Dokumentarfilm über den linken Anwalt Andreas Beuth

Liebling Schanzenviertel

Der Film »Das hat mit Gerechtigkeit wenig zu tun« über den linken Hamburger Anwalt Andreas Beuth ist auch eine Dokumentation über die Proteste der autonomen Szene der Stadt in drei Jahrzehnten.

Jetzt stehen wir vor der Roten Flora. Da war mal ein Kino drin, dann das Geschäft ›1 000 Töpfe‹, Ende der Achtziger sollte dort ein Kommerz-Musicaltheater rein«, erzählt Andreas Beuth vor laufender Kamera. »Dagegen gab es Protest, das Gebäude wurde besetzt. Das ist es bis heute: die Rote Flora. Dort gibt es Raum für Veranstaltungen, Treffen, Konzerte und günstiges Essen.« Der Mann spaziert so lässig durch das Schanzenviertel, dass man sofort weiß: Der kennt sich hier aus. Entspannt schlendert er an der Filiale der Hamburger Sparkasse vorbei, die regelmäßig in der Nacht zum 1. Mai attackiert wird. Hinter dickem Panzerglas und schweren Rollläden werden die Geldgeschäfte abgewickelt. Vor den Geldautomaten heißt es immer: Schlange stehen. Die bettelnden Obdachlosen gehen meist leer aus. Beuth kennt die Nachbarschaft noch aus der Zeit, als es hier keine Latte-Macchiato-Szene gab. Das Anwaltsbüro seines Kollektivs liegt gleich um die Ecke. Mit seinem an die Kleiderordnung der Autonomen in den Achtzigern erinnernden Outfit fällt er in dem mittlerweile gentrifizierten Viertel auf: schwarze Bomber­jacke, schwarzes Lederkäppi. In den Zeiten der autonomen Stadtteilkämpfe und Hausbesetzungen hat er sein erstes Büro eröffnet. Das war 1982. »Wir waren zu viert, ganz frisch aus dem Studium. Alles war provisorisch. Aber wir hatten einen Riesenspaß. Das war genau unser Ding«, sagt er.
Schnell wurde das Büro zu einer beliebten Anlaufstelle. Als 1985 bei Protesten gegen eine Veranstaltung der NPD im Frankfurter Gallus-Viertel der Antifaschist Günter Sare von einem Wasserwerfer überfahren wurde und starb, kam es zu Ausschreitungen. Vier Personen wurden inhaftiert und wegen Totschlags angeklagt. Beuth übernahm zusammen mit drei Kollegen die Verteidigung. Als junger Anwalt war er unsicher, ob er dem Fall gewachsen sein würde. Inzwischen war Andreas Beuth schon in vielen Konflikten anwaltlich tätig und hat viele Menschen verteidigt, denen ihr Widerstand gegen die herrschenden gesellschaftlichen Zustände eine Kriminalisierung, Observationen durch den Staatsschutz bis hin zu Anklagen durch die Staatsanwaltschaft eingebracht hat.
Als ein »Dokulebensmusikporträt« bezeichnen Frank Brennecke und Andreas Grützner den Film, den sie in ihrer Freizeit gedreht und auch selbst finanziert haben. Sie kauften sich eine Digitalkamera und legten los. Drei Jahre lang haben die beiden Beuth mit der Kamera begleitet. In sehr persönlichen Interviews, die sie in seiner Kanzlei, seiner Wohnung und während der Aktionswoche gegen den G-8-Gipfel 2007 geführt haben, erzählt der 1953 geborene Beuth aus seinem Leben. Wenn er von seiner Kindheit in Norderstedt spricht, geht es um Erfahrungen von Ausgrenzung und jugendlichem Aufbegehren im Reihenhaus. »Warum geht es mir so dreckig« lautet der Titel eines Klassikers von Ton Steine Scherben. Das Lied passt zur Geschichte des Anwalts, der zunächst auf Druck seiner Eltern eine Lehre als Verwaltungsbeamter im Finanzamt beginnt. Er vereinsamt, als er seine erste eigene Wohnung bezieht, und wird psychisch krank. Er sucht sich Hilfe, macht eine Therapie: »Das erste Mal hörte mir jemand mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu, der nicht meine Mutter war.« Die Lehre bricht er ab, überwindet seine Unsicherheit, lernt Leute kennen, beteiligt sich an den Debatten in radikalen, linken Gruppen sowie an Aktionen – und ist nicht mehr allein.
Beuth spricht vor der Kamera wie mit einem engen Freund. Er schildert, was ihn geprägt hat im Leben, was ihm wichtig ist. Während des Jurastudiums hat er in einem Anwaltskollektiv ein Praktikum bei Peter Tode absolviert, der Sigurd Debus vertreten hat. Debus war seit 1974 in Haft, weil er eine sozialrevolutionäre Hamburger Stadtguerrilla aufbauen wollte und Bomben gelegt sowie am Haus der Arbeitgeberverbände Sachschaden angerichtet hatte. 1981 schloss er sich dem Hungerstreik der RAF an, um einen Status als politischer Gefangener zu erkämpfen. Er wehrte sich dagegen, zwangsernährt zu werden, und wurde dabei so schwer verletzt, dass er ins Koma fiel. Beuth ist sichtlich bewegt, wenn er schildert, wie Anwalt Tode von den Besuchen bei seinem im Sterben liegenden Mandanten zurückkehrte. Im Büro hätten sie gemeinsam geweint, als die Nachricht von Debus’ Tod eintraf: »So geht man doch mit einem Menschen nicht um. Das ist eine Frage von … Menschlichkeit«.
Ausführlich beschäftigt sich der Film mit dem »Plattenlegerprozess«. 1991 wurden zwei bekannte Aktivisten der Roten Flora als Terroristen angeklagt, weil sie Steinplatten auf Bahngleise bei Pinneberg gelegt haben sollten. Ein abstruser Vorwurf, sagt Beuth: Warum sollten autonome Aktivisten versuchen, willkürlich Menschen zu ermorden, die in irgendeinem Zug fahren? Dies widerspreche dem autonomen Selbstverständnis von militanter, aber nie menschengefährdender oder gar blindwütiger Politik. Unterstützung fanden die Inhaftierten durch die Initiatoren der Kampagne »Freiheit für Ralf und Knud«. Erst nach einem zähen Prozess mit 56 Verhandlungstagen waren die Vorwürfe ausgeräumt. Beuth, dem sein Anwaltskollege Manfred Getzmann bescheinigt, er habe eine »hohe Bearbeitungstiefe«, weil er sich in Akten »reinfresse«, rieb sich in dem Prozess persönlich auf. Nach einer Auszeit, in der Beuth als Taxifahrer gearbeitet hatte, nahm er seine Tätigkeit als linker Anwalt wieder auf, in einem Anwaltskollektiv, das aus den juristischen Auseinandersetzungen um die radikale, linke Bewegung in Hamburg nicht wegzudenken ist.
Als der Rechtspopulist und »Richter Gnadenlos« genannte Ronald Barnabas Schill 2001 in der Regierung sitzt, wird Beuth zu seinem juristischen Gegenspieler. Schill deckte Polizisten, die am Rande der Rechtsstaatlichkeit operierten. Er betrieb die Kriminalisierung des bekanntesten Bauwagenplatzes Hamburgs weiter, den schon die SPD räumen lassen wollte: Bambule. Nach der Räumung im November 2002 kam es in Hamburg über Wochen zu Protestaktionen. Es gab zahlreiche Verhaftungen. In der Dokumentation erzählt Schills Staatsekretär Walter Wellinghausen, wie er in dieser politisch schwierigen Situation mit Beuth als Rechtsvertreter der Bauwagenbewohner verhandelte. Anerkennend sagt er, in der Sache sei Andreas Beuth immer menschlich fair gewesen.
Die Stärke des Films, seine Nähe zum Protagonisten, ist zugleich seine Schwäche: An keiner Stelle wird das, was Beuth sagt oder tut, kritisch reflektiert. So wird ein Stereotyp über den autonomen Lebenswandel reproduziert. Schließlich ist der Anwalt auch weiterhin politisch aktiver Teil der Szene. »Manchmal ist er mir zu radikal«, sagt Beuths Ehefrau Maren Falck an einer Stelle. Diese Radikalität bedeutet für Beuth, auf der einen Seite niemanden zu verteidigen, der gegen die sexuelle Selbstbestimmung anderer verstößt, keine Hausbesitzer und keine Arbeitgeber. Und sich auf der anderen Seite für Benachteiligte sowie für Linke einzusetzen, die Opfer staatlicher Repression sind. Soviel Schwarzweiß muss sein.

»Das hat mit Gerechtigkeit wenig zu tun«. Regie: Frank Brennecke/Andreas Grützner, Deutschland 2011. 88 Minuten