Hetze gegen Osteuropäer in den Niederlanden

Der Muslim wird zum Polen

Die niederländische Freiheitspartei hat zur Online-Denunziation von Osteuropäern aufgerufen. Anscheinend benötigt die europäische Rechte in der Schuldenkrise neue Feindbilder.

Das Formular ist kurz und knapp: Lärmbelästigung, Falschparken, Trunkenheit oder »Verlotterung«, alles Vergehen, mit denen Osteuropäerinnen und Osteuropäer in den Niederlanden nach Meinung der »Partij voor de Vrijheid« (PVV) häufig auffällig werden. Beschwerden, die in keine dieser Kategorien passen, können unter »Sonstiges« vorgebracht werden. Abschließend folgt noch die Frage, ob man seinen Job an einen Polen, Rumänen oder Bulgaren verloren habe – fertig ist das Online-Beschwerdeformular, das an die eigens zu diesem Zweck gegründete »Meldestelle Mittelosteuropäer« gesendet werden kann. 14 000 dieser Denunziationen sollen nach Angaben der Initiatoren am ersten Tag eingegangen sein, nachdem die Website Anfang Februar online gegangen war. Wenig später sollen es schon 40 000 gewesen sein. Diese Zahlen gäben der Initiative Recht, finden die Mitglieder der Freiheitspartei, die mit einer ähnlichen Aktion schon einmal die »Kosten der Masseneinwanderung« erfassen wollten.

Außerhalb der PVV sah man das deutlich anders. Botschafter zehn osteuropäischer Staaten beschwerten sich in einem Brief an das niederländische Parlament über die »negative Meinungsbildung über eine Gruppe EU-Bürger«, die »unverkennbar diskriminierend« sei. Auch andere niederländische Parteien äußerten harsche Kritik. Premierminister Mark Rutte, dessen Minderheitenkoalition von der PVV toleriert wird, wurde aufgefordert, die Initiative zu verurteilen. Auch die EU-Kommission äußerte Empörung, das europäische Parlament forderte Rutte auf, sich im März in Straßburg zu erklären.
Die Reaktionen der EU kommen der PVV nicht ungelegen. Im Ausland vor allem für ihre antiislamische Politik bekannt, steht sie in den Niederlanden seit jeher auch für »Euro-Skepsis«. Ihr Vorsitzender Geert Wilders war 2005, noch vor der Gründung der PVV, eine treibende Kraft hinter der Ablehnung des EU-Vertrags. In den vergangenen Monaten verstärkte die Partei mit Slogans wie »kein Cent für Griechenland« ihre antieuropäische Rhetorik und beschimpfte andere Parteien als »europhil«. Dass sich das vielgeschmähte »Brüssel« nun in die vermeintlichen inneren Angelegenheiten der Niederlande einmischt, scheint das Bild vom alles kontrollierenden Superstaat zu bestätigen.

Im Zuge dieser gegen die EU gerichteten Strategie werden nun osteuropäische Arbeitsmigrantinnen und -migranten zum Feindbild. Die PVV macht die Öffnung des niederländischen Arbeitsmarkts, die 2007 im Rahmen der EU-Freizügigkeitsregelung erfolgt war, für »Belästigung, Verschmutzung, Verdrängung vom Arbeitsmarkt und Integrationsprobleme« verantwortlich. Dass 2014 auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Rumänien und Bulgarien Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt bekommen sollen, ist aus ihrer Sicht eine weitere Bedrohung. Dabei bedient die PVV unverhohlen fremdenfeindliche und rassistische Stereotype.
Bemerkenswert ist dies aus mehreren Gründen. Der PVV-Vorsitzende Wilders wurde im vergangenen Sommer vom Vorwurf freigesprochen, zu Hass und Diskriminierung von Muslimen aufgerufen zu haben. Wilders habe sich auf den Islam oder Koran, nicht aber auf Muslime selbst bezogen, lautete die Begründung. Diese Einschätzung trifft nicht auf alle, aber viele und die bekanntesten seiner umstrittenen Aussagen zu. Offensichtlich ist die Zeit solcher Unterscheidungen in der PVV nun vorbei.
Dies wirft wiederum eine andere Frage auf. Bis vor kurzem genoss die Partei, vor allem Wilders als Kritiker totalitärer Tendenzen im politischen Islam, auch in liberalen und manchen ehemals linksradikalen Kreisen durchaus Anerkennung. Hat die Partei nun ihre Politik grundlegend geändert oder verbirgt sie die stets latent vorhandene Fremdenfeindlichkeit einfach nur nicht mehr?
Sicher ist, dass sich die politischen Inhalte der europäischen Rechten mit der fortdauernden Schuldenkrise verändern und Schwerpunkte neu gesetzt werden. Das Beispiel der PVV zeigt, dass der Islam dabei erstmals seit Jahren nicht mehr das dominierende Thema ist. Angesichts Wilders’ erwiesener Qualitäten, Themen zu bestimmen, wäre es nicht verwunderlich, wenn osteuropäische Migrantinnen und -Migranten auch in anderen Ländern ins Blickfeld rücken. Der rechtsextreme belgische »Vlaams Belang« veröffentlichte beispielsweise kürzlich eine Stellungnahme, die die »Polen-Meldestelle« ausdrücklich verteidigte.