Die deutsch-ungarischen Beziehungen

Solange die Pferde frei sind

Deutschland ist nicht nur der wichtigste Handelspartner Ungarns. Die dortige Rechtsregierung erhält auch Unterstützung aus der deutschen Politik.

»Ich fühle mich so frei wie die Pferde in der Puszta, in mir fließt ungarisches Blut«, heißt es in einem aktuellen deutschen Schlager. Warum die Sängerin Laura Wilde gerade bei Ungarn an »die Freiheit, das Leben und die Liebe« denkt, bleibt ihr Geheimnis. Mit der fast durchgängig autoritären Geschichte des Landes hat dieses romantisierte Ungarn-Bild zumindest genauso wenig zu tun wie mit der Gegenwart. Seit Monaten wird das Land wegen seiner autoritär-nationalistischen Entwicklung international kritisch beäugt. Auch die deutschen Medien machten diese zuletzt zum Thema, wenn auch etwas zurückhaltender.
Diese Zurückhaltung mag mit den guten Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn zu tun haben. Nicht nur stellen Deutsche den größten Anteil an Touristen im Land von Donau und Plattensee, auch die deutsche Minderheit in Ungarn genießt – im Gegensatz zu anderen Minderheiten – eine Vorzugsbehandlung, so dass selbst Vertriebenenverbände von einem »vorbildlichen Minderheitenrecht« sprechen. Nicht zuletzt ist Deutschland der wichtigste Wirtschaftspartner Ungarns. Deshalb war denn auch am vergangenen Freitag der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Frankfurt am Main zu Gast.

Geladen war Orbán zum »Wirtschaftsempfang Ungarn«, wo er zur »Erneuerung der europäischen Wirtschaft« sprechen sollte. Schon im Voraus wurde Kritik an Orbáns Auftritt laut. Ein Bündnis linker Gruppen, das zu Protesten gegen den Empfang aufrief, stellte die Frage, »welche Anregungen sich die IHK von einem Regierungschef erhofft, unter dessen Regierung Zwangsarbeit für Angehörige der Roma-Minderheit Alltag ist«. Auch Abgeordnete von SPD und Grünen im hessischen Landtag übten Kritik. So forderte Tarek al-Wazir (Grüne) die IHK auf, die Probleme in Ungarn direkt anzusprechen, »und zwar so thematisiert, dass Herr Orbán dem nicht ausweichen kann«. Der Geschäftsführer der IHK, Jürgen Ratzinger, sagte daraufhin nur trocken, Ungarn sei ein wichtiger Handelspartner und man müsse die Gelegenheit nutzen, Informationen »aus erster Hand« zu bekommen.
Letztlich fanden sich weniger als 100 Demons­trierende am Frankfurter Börsenplatz ein. In einem Redebeitrag wurde darauf hingewiesen, dass es bei dem Empfang allein um »die Planungssicherheit deutscher Investoren« gehe. Die deutschen Unternehmen wollten »sich auf die Eventualitäten vorbereiten, die durch das autoritäre Regime auf sie zukommen könnten«. Tatsächlich ist Deutschland mit einem 25prozentigen Anteil an den ungarischen Exporten und Importen der bedeutendste Handelspartner Ungarns. Etwa 7 000 deutsche Unternehmen investieren in das Land, allen voran Audi, Eon und Bosch. Noch im Jahr 2010, dem ersten Jahr der Regierung Orbán, erhöhten sie ihre Investitionen. Glaubt man verschiedenen Verlautbarungen, wie etwa einer des Bosch-Managers Thomas E. Beyer, haben die Unternnehmen mit der ungarischen Wirtschaftspolitik »noch keine schlechten Erfahrungen« gemacht. Das Arbeitszeitmodell könnte seines Erachtens jedoch flexibler sein. Herbert Fisch von der BASF in Ungarn wiederum beklagt lediglich das »unsichere Umfeld«. »Für die Unternehmen ist es wichtig, dass sie sich auf etwas einstellen und fest darauf verlassen können.«

Dass Hessen zu den engsten deutschen Partnern Ungarns gehört – nach Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen –, wurde am Rande des Wirtschafsempfangs noch einmal deutlich, als sich Orbán mit Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) traf. Dieser sagte, Ungarn und Deutschland seien »eng und freundschaftlich verbunden«, und vereinbarte mit Orbán einen Ausbau der gemeinsamen Beziehungen. Zugleich zeigte sich Bouffier von Orbáns Erläuterungen zum ungarischen Mediengesetz »beeindruckt«. Auch Orbán war begeistert: In Hessen stoße er »immer auf Verständnis und auf Freunde«. Der General­sekretär der hessischen SPD, Michael Roth, warf Bouffier deshalb vor, dass er es unterlassen habe, »auch nur ein kritisches Wort an Herrn Orbán zu richten«.
Orbán dürfte sich indes an die Unterstützung durch deutsche Politiker gewöhnt haben. Bereits im Dezember hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Konferenz in Budapest besucht, auf der er vor Vertretern von Orbáns Partei Fidesz geäußert haben soll, dass die »aufsehenerregenden Reformen« die Kritiker verstummen lassen würden, sobald sie ihre Wirkung entfalteten. Bereits wenige Wochen später, als Orbán vor dem EU-Parlament sprach, waren es vor allem Abgeordnete der Unionsparteien, die Orbán während einer hitzigen Debatte in Schutz nahmen. Dass sich Orbán bei seiner Rückkehr aus Brüssel als Sieger dieser »Schlacht« im »Krieg um Ungarn« präsentieren konnte, in dem sich die Regierung wähnt, hängt auch damit zusammen.
Anfang Februar war János Lázár, der Fraktionsvorsitzende des Fidesz, zu politischen Gesprächen in Berlin. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andreas Schockenhoff, teilte im Anschluss mit, dass man die »Partnerpartei« dabei unterstützen wolle, »die wirtschaftlichen Probleme, die die sozialistischen Vorgängerregierungen zu verantworten haben«, möglichst schnell zu überwinden. Schockenhoff warb gar dafür, sich mit Kritik an der ungarischen Regierung zurückzuhalten. Es müsse »alles vermieden werden, was in Ungarn eine Anti-EU-Stimmung schürt«. Und dies gelte »genauso für diejenigen, die von außen gegen die Regierung Orbán hetzen«. Damit übernahm er die Argumentation der ungarischen Nationalisten, die ihr Land als Opfer einer internationalen Hetzkampagne sehen – eine Verschwörungstheorie, die auch von der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit in Deutschland vertreten wird.
Die Bedeutung der zurückhaltenden, ja solidarischen Haltung der Unionsparteien zur ungarischen Politik ist nicht zu unterschätzen. Die Meinung des deutschen Partners hat in Ungarn Gewicht. »Es ist sehr wichtig für uns, was die Deutschen, die öffentliche Meinung in Deutschland und die deutsche politische Klasse von uns denken«, sagte noch Anfang Februar Ungarns Außenminister János Mártony bei einem Treffen mit Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Immerhin gehört es zu den außenpolitischen Zielen von Orbáns Regierung, eine »neue Allianz mit Deutschland« herzustellen. Zugleich gilt der ungarischen Regierung Deutschland als Vorbild, Regierungsbeamten zufolge gibt es derzeit gar Überlegungen, deutsche Berater um Orbán zu versammeln.
Wie viel Wert die ungarische Regierung auf die öffentliche Meinung in Deutschland legt, ließ sich auf der Berlinale beobachten. Während der offiziellen Pressekonferenz ließ das ungarische Staatssekretariat Flugblätter verteilen, in denen es darauf hinwies, dass der Wettbewerbsfilm »Just the Wind«, der von der Ermordung ungarischer Roma handelt, lediglich eine »Fiktion« darstelle. Und auch die in Deutschland lebenden Unterstützer der Regierung lassen ungern etwas auf ihren »Viktor« kommen. So teilten die Organisatoren des Protests vor der IHK mit, dass sie Morddrohungen von Anhängern Orbáns erhalten hätten, die sich als »Ungarische Garde« bezeichneten. Auch am Rande der Kundgebung selbst seien Personen aufgetaucht, die einen offenen Brief des »Bundes ungarischer Organisationen in Deutschland« verteilt hätten, berichtet die Frankfurter Rundschau. Nach Ansicht dieser Jubelungarn waren die Demonstranten – selbstverständlich – »von Kommunisten bezahlt«.