Die Asylpolitik Australiens

Willkommen im Knast

Seit 20 Jahren werden Menschen, die in Australien Asyl suchen, so lange inhaftiert, bis über ihren Antrag entschieden wird. Flüchtlingsorganisationen setzen sich für die Abschaffung dieses Internierungssystems ein. Auf die Unterstützung der aus­tra­lischen Regierung oder der Opposition können sie kaum hoffen.

Als 2001 das norwegische Transportschiff Tampa 433 Flüchtlinge vor australischen Gewässern aus Seenot rettete und die australische Regierung sich über Wochen weigerte, diese Flüchtlinge aufzunehmen, konnte der damalige Ministerpräsident John Howard mit einer Kampagne gegen Bootsflüchtlinge in wenigen Wochen die Zustimmung zu seiner konservativen Liberal Party of Australia um zehn Prozent steigern – und gewann entgegen allen Prognosen die Wahlen. Spätestens seit diesem Zeitpunkt möchte sich keine der großen australischen Parteien bei dem Thema Flüchtlinge eine »Schwäche« leisten. »Wir werden entscheiden, wer in dieses Land kommt und unter welchen Umständen«, war die zentrale politische Botschaft, die Howard den Erfolg bei den Wahlen 2001 sicherte.
Tatsächlich folgte auf diese Ankündigung von 2001 bis 2008 eine Politik des offshore-processing, ein Verfahren, in dem Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Drittstaaten und auf entfernten Inseln inhaftiert wurden. Ihre Anträge wurden währenddessen nach rechtlichen Vorgaben bearbeitet, die nicht denjenigen auf dem australischen Festland entsprechen.
Ende 2007 kam nach zwölf Jahren konservativer Regierung unter Howard die sozialdemokratische Australian Labor Party an die Macht. Die neue Regierung versprach eine »humanitäre Wende« in der Asylfrage und ließ zunächst Haftanstalten schließen, die außerhalb Australiens betrieben wurden. Unter der derzeitigen Ministerpräsidentin Julia Gillard versucht die Labor-Regierung jedoch, ein neues Off-Shore-Verfahren zu etablieren, das im Moment unter der Bezeichnung »Malaysia Deal« diskutiert wird: 800 Bootsflüchtlinge sollen nach Malaysia verfrachtet werden und dort in Haft warten, bis ihre Asylanträge bearbeitet sind. Im Gegenzug nimmt Australien in den kommenden vier Jahren jährlich 1 000 Flüchtlinge aus Malaysia auf, die dort bereits mit einem Flüchtlingsstatus auf ihr sogenanntes Resettlement, eine Umsiedlung, warten.
Der australische Oberste Gerichtshof hat dieses Verfahren zunächst verboten, da Malaysia die UN-Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet hat. Die australische Regierung arbeitet jedoch weiterhin daran, den »Malaysia Deal« anzuwenden, und versucht, ihn als humanitären Akt zu verkaufen: »Menschenschmugglern« werde dadurch die Grundlage ihres kriminellen Handelns entzogen und zugleich verhindert, dass Menschen auf See ihr Leben riskieren.

Sebastian Evans von der Organisation »Refugee Action Collective Victoria« sieht vor allem innenpolitische Gründe für Off-Shore-Lösungen: »Es reicht nicht mehr, Flüchtlinge mitten in der Wüste wegzuschließen. Nun sollen Flüchtlinge in ein anderes Land geschickt werden, um sie dort in Haftanstalten wegzusperren. So sind sie aus den Augen, aus dem Sinn. Damit soll die Auseinandersetzung um das Thema in Australien auf ein Minimum reduziert werden.«
Mit liberaler Rhetorik und Einzelmaßnahmen versucht die derzeitige Labor-Regierung, Kritik aus den eigenen Reihen zu begegnen. Ihr Versprechen, bis Juni 2011 alle Kinder aus der Haft zu entlassen, hat sie immer noch nicht eingelöst. Im November 2011 kündigte der Immigrationsminister Chris Bowen an, 100 Langzeitinhaftierte im Monat mit »Brückenvisa« auszustatten und zu entlassen. Zu Recht bezeichnen Kritikerinnen und Kritiker diese Ankündigung als Augenwischerei.
Am 31. Januar 2012 waren in Australien 4 783 Personen inhaftiert, ohne eines Verbrechens beschuldigt worden zu sein, 528 davon waren Kinder unter 18 Jahren. Die meisten der Inhaftierten sind sogenannte irregular maritime arrivals, Flüchtlinge, die mit dem Boot nach Australien kommen und einen Asylantrag stellen. Seit 20 Jahren werden in Australien Asylbewerberinnen und -bewerber, die ohne Visum nach Australien einreisen, in abgelegenen Anstalten inhaftiert, seit 1994 auf unbestimmte Zeit. Nach australischem Recht wäre es legal, diese Personen für immer in Haft zu halten.
Durchschnittlich verbrachten Flüchtlinge, die im Juni 2011 ein »Schutzvisum« ausgestellt bekamen, 343 Tage in Haft. Flüchtlinge, die nicht als solche anerkannt werden, verbleiben in Haft, bis sie »freiwillig« ausreisen oder abgeschoben werden. Gefährdete Flüchtlinge können mit einer Sondererlaubnis des Immigrationsministers in »Freiheit«, aber mit gewissen Beschränkungen in Australien leben und den Ausgang ihres Asylverfahrens abwarten. Derzeit betrifft das etwa 1 600 Personen.

Die unabhängige Untersuchungskommission »The People’s Inquiry into Detention« hat das australische Internierungssystem und seine Folgen für die Inhaftierten untersucht und kommt zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass es schwerwiegende und langfristige psychische und physische Folgen für die Flüchtlinge hat. Viele Inhaftierte reagieren mit Selbstverletzungen auf die Hoffnungslosigkeit und den Verlust jeglicher Handlungsmöglichkeiten. Diese Selbstverletzungen, wie auch die regelmäßig auftretenden Hungerstreiks, können als Protest verstanden werden, sie sind für die Flüchtlinge auch eine der wenigen Möglichkeiten, die Kontrolle über das eigene Leben zurückzugewinnen. Allein im ersten Halbjahr 2011 wurden 213 inhaftierte Asylsuchende wegen Selbstverletzungen und 723 weitere wegen der Verweigerung der Nahrungsaufnahme medizinisch behandelt.
Weit über die Hälfte der Bootsflüchtlinge, die nach Australien kommen, werden während ihrer manchmal jahrelangen Haft als Flüchtlinge anerkannt. In die australische Gesellschaft werden sie oft mit psychischen Krankheiten entlassen, die durch die Internierung verursacht wurden.
Die verschiedenen australischen Regierungen, die seit den neunziger Jahren der Praxis der obligatorischen und unbefristeten Inhaftierung aller Bootsflüchtlinge folgen, sorgen dafür, dass möglichst wenig Informationen aus den Haftanstalten an die Öffentlichkeit gelangen. Es ist verboten, dort zu filmen oder Inhaftierte zu interviewen, Beschäftigte der Haftanstalten dürfen nicht mit Journalistinnen und Journalisten über ihre Arbeit sprechen. Die Gefängnisse befinden sich zumeist in unbewohnten Gebieten, um Besuche so weit wie möglich zu erschweren. Die wenigen Informationen stammen von Anwältinnen und Anwälten der Flüchtlinge oder von ehemaligen Inhaftierten, die jedoch wegen ihrer Traumata und ihrer Stigmatisierung durch die Haft oft nicht öffentlich über ihre Erfahrungen sprechen wollen.
Zugleich werden Bootsflüchtlinge von vielen Mainstream-Medien sowie in politischen Auseinandersetzungen zur Gefahr erklärt und dämonisiert. Eine »Flut« an Flüchtlingen, gegen die sich Australien schützen müsse, wird heraufbeschworen, wie auch das Bild vom Asylbetrüger, der sich wahlweise Sozialleistungen erschleichen oder den Australierinnen und Australiern die Arbeitsplätze wegnehmen will. Darüber hinaus werden Bootsflüchtlinge als Illegale kriminalisiert und als rücksichtslos diffamiert, da sie den »wahren«, armen Flüchtlingen, die keine Menschenschmuggler bezahlen können, die Plätze wegnähmen, die diesen sonst über ein Umsiedlungsprogramm zur Verfügung stünden.

In einer Gesellschaft, deren Einwanderungsgeschichte – wie in keiner anderen klassischen Einwanderungsgesellschaft – von staatlicher Auslese und Kontrolle geprägt war und in der bis in die siebziger Jahre das rassistische Leitbild eines »weißen Australien« galt, fällt solche Propaganda auf fruchtbaren Boden. Verschiedene Umfragen zeigen jedoch auch, dass etwa 30 Prozent der australischen Bevölkerung nicht mit der Internierungspraxis einverstanden sind.
Auf die Unterstützung dieses Teils der Gesellschaft dürfte eine von Flüchtlingen und ihren Unterstützerinnen und Unterstützern 2012 ins Leben gerufene Kampagne zur Abschaffung der Inhaftierung von Flüchtlingen hoffen. »20 Jahre sind 20 Jahre zu viel«, lautet das Motto. Zehn Jahre nach den denkwürdigen Ausbrüchen von 50 Inhaftierten aus der mittlerweile geschlossenen Haftanstalt in Woomera, die eine Folge der Proteste rund um das Ostertreffen von Flüchtlingsunterstützerinnen und -unterstützern 2002 waren, soll es an Ostern abermals ein landesweites Treffen geben, um gegen die menschenfeindliche Flüchtlingspolitik zu protestieren. Es soll Anfang April in Darwin stattfinden, der Protest soll auch an den dortigen Haftanstalten stattfinden. Im Umkreis der nordaustralischen Stadt gibt es mittlerweile drei Gefängnisse, das letzte wurde vergangenen Dezember im von Moskitos heimgesuchten Sumpfland eröffnet. Die Erwartungen an die Kampagne und die Proteste sind hoch, da wegen der Größe Australiens nur selten landesweit zu Demonstrationen aufgerufen wird.
Angesichts der Politik der derzeitigen Regierung und des Programms der oppositionellen Liberalen ist es leider unwahrscheinlich, dass die Haft für Asylsuchende in naher Zukunft abgeschafft wird, auch wenn sich innerhalb der Labor Party eine starke Fraktion dafür ausspricht. Aktivisten wie Sebastian Evans lassen sich jedoch nicht entmutigen. »Was wir tun können, ist begrenzt, aber es ist wichtig, unabhängig von den äußeren Umständen und der politischen Situation zu versuchen, Netzwerke und Gruppen zu bilden, um in konfliktreichen Zeiten, in denen Menschen politisch aktiv werden, die größtmögliche Kampagne aufbauen zu können«, sagt er.