Abbas Milani im Gespräch über die Wahlen und die Krise des Regimes

»Das Regime ist längst tot«

Abbas Milani ist Professor für Iranische Studien an der Stanford University, Kalifornien, und Mitbegründer des »Iran Democracy Projects« des Think Tanks »Hoover Institution«. Er hat Politik in Teheran gelehrt und saß dort ein Jahr lang aus politischen Gründen im Gefängnis. In den USA hat er zahlreiche Bücher über die iranische Politik geschrieben. Die Jungle World sprach mit ihm über die Bedeutung der Parlamentswahlen im Iran und den Zustand des Mullah-Regimes.

Wie war Ihre erste Reaktion auf die Parlamentswahlen im Iran? Vor den Wahlen wurde ich von der BBC gefragt, was ich erwarte. Ich habe gesagt, das Regime wird einen großen Erfolg ankündigen und alle seine Kandidaten zu Siegern erklären, während wir ein paar Tage brauchen werden, um festzustellen, wie hoch die Wahlbeteiligung wirklich war. Das Regime behauptet, diese habe etwa 64 Prozent betragen. Halten Sie das für glaubhaft? Erste Berichte aus Teheran und anderen Großstädten sprechen von leeren Wahllokalen. Die Endergebnisse wurden zu einem Zeitpunkt bekannt gegeben, als die Stimmen unmöglich vollständig gezählt sein konnten. Wahrscheinlich wurden die Wähler am Ausgang der Wahllokale befragt, verlässlichere Berichte von vor Ort gab es nicht. Wie wichtig sind diese Wahlen innen- und außenpolitisch? Im Inland dienen sie vor allem als Mittel, um unter einer eng definierten Elite Macht und Beute zu verteilen, sonst würden sich die verschiedenen Fraktionen untereinander bekriegen. International hatten die Wahlen die Funktion, das Erscheindungsbild des Regimes zu wahren, damit die Anhänger in Europa, den USA und der muslimischen Welt sagen können: »Schaut, es gibt doch Wahlen.« Der Vorwurf des Wahlbetrugs wird inzwischen gerade von den marginalisierten Faktionen vorgebracht. Wieviel Betrug hat stattgefunden? Ich vermute, es wurde wieder massiv betrogen. Gerade habe ich einen Bericht auf einer Website gelesen, die den Revolutionsgarden nahesteht, wonach in einer kleinen Stadt mit 6 000 Einwohnern 100 Prozent der Bevölkerung trotz Schnee und Kälte zur Wahl gegangen seien. So dreist lügt nicht einmal das Regime in Nordkorea. Da sprechen die Behörden höchstens von 99,6 Prozent. Diese Leute haben jedes Gespür für Verhältnismäßigkeit verloren. Wer unterstützt das Regime heutzutage noch? Was Ayatollah Khamenei nach den Präsidentschaftswahlen noch an politischem Kapital in der Bevölkerung hatte, hat er verspielt, als er bei den Protesten im Jahr 2009 auf unbewaffnete Demonstrierende schießen und 4 000 von ihnen festnehmen ließ. Außerdem ließ er die Anführerinnen und Anführer der Grünen Bewegung, wie Karroubi, Mousavi und dessen Ehefrau Zahra Rahnavard, unter Hausarrest stellen. Hinter dem Regime stehen noch die Kommandeure der Revolutionsgarden und der Basiji-Milizen, die sehr reich geworden sind, und Tausende von Revolutionsgardisten, die den Lebensstandard der Mittel- und Oberschicht erreicht haben. Darüber hinaus ist die Unterstützung in der Bevölkerung nicht groß. Welche Rolle spielten die Revolutionsgardisten und Milizionäre bei den Wahlen? Es ist bekannt, dass die Basiji für jene Kandidaten mobilisiert werden, von denen Khamenei will, dass sie gewinnen. Die Basiji bekommen dann eine Liste mit Kandidaten, mit der Aufforderung, noch fünf Personen mit zur Wahl zu nehmen. Bei dieser Wahl hatte das Regime angekündigt, dass 80 000 Milizionäre als »Wahlbeobachter« eingesetzt würden. Jeder Iraner wusste, was das heißt: Big Brother is watching you. Aber ich glaube, die Kontrolle des Regimes über die Revolutionsgardisten und die Basij ist gar nicht so groß. Aus Zeiten, als solche Umfragen noch möglich waren, wissen wir, dass etwa 70 Prozent der Mitglieder der Revolutionsgarden – nicht die Offiziere, aber die einfachen Soldaten – für Khatami gestimmt haben. Die werden sich nicht in Luft aufgelöst haben. Hat die katastrophale Wirtschaftslage eine Rolle bei den Wahlen gespielt? Das Regime muss erklären, warum mindestens die Hälfte der Öleinnahmen des Landes seit der ersten Ölbohrung 1901 in den vergangenen sieben Jahren gemacht wurde. Zugleich gibt es zweistellige Prozentzahlen an Inflation und an Arbeitslosigkeit, einen völligen Zusammenbruch der Privatwirtschaft, einen hohen Brain Drain unter Akademikern und keine Möglichkeit mehr, internationale Kredite aufzunehmen. Politisch kann sich Khamenei es nicht erlauben, für diese Art von Misswirtschaft verantwortlich gemacht zu werden, obwohl er es ist. Und die Sündenböcke werden nun Ahmadinejad und sein Stabschef Mashai sein. Vor nur drei Jahren wirkten Ahmadinejad und Khamenei noch wie enge Verbündete. Wie kam es zu diesem Machtkampf? Zunächst einmal hat die Islamischen Republik schon seit drei Jahrzehnten ein wiederkehrendes strukturelles Problem: Beinahe zwangsläufig kommt es zu Spannungen zwischen dem religiösen Führer und dem gewählten Präsidenten. Während seiner ersten Amtszeit war Ahmadinejad noch ein unterwürfiger Diener, aber während der zweiten Periode begann er, Khamenei herauszufordern. Er feuerte zwei enge Verbündete Khameneis aus seinem Kabinett. In einem Fall handelte es sich um den Geheimdienstminister, was Khamenei offenbar sehr beunruhigt hat. Am Ende wurde Ahmadinejad zurechtgewiesen und er hat sich gefügt. Seine Macht ist extrem geschrumpft. Werden wir ihn bald vermissen? Ich denke, er wird nicht so schnell aufgeben, anders als sein Vorgänger Khatami, der kaum Kampfgeist zeigte, obwohl ihn 75 Prozent der Bevölkerung gewählt hatten, um Khamenei die Stirn zu bieten. Ahmadinejad hat behauptet, er habe 11 0000 Seiten Dokumente gesammelt, die Khamenei und seine Leute schwer belasten. Gelegentlich hat er schon einzelne an die Presse weitergeleitet. Angriffe auf seine Verbündeten wegen Korruption wurden nahezu umgehend eingestellt. Zu den Verlieren dieser Wahl gehört nicht nur Ahmadinejad. Auch die Kandidaten der Reformer bekamen nur sieben Prozent der Sitze. Ist es aus mit ihnen? Die Wahl war insbesondere für Khatami, aber auch für Rafsanjani und alle, die irgendwie versucht haben, einen Mittelweg zu gehen, eine harte persönliche Niederlage. Khatami hatte mehrere Bedingungen gestellt, um an der Wahl teil­zunehmen, darunter die Freilassung von Mousavi, Karroubi und Rahnavard. Keine seiner Forderungen wurde erfüllt. Er ging trotzdem klammheimlich wählen, die iranischen Medien haben ihn dann zu seiner Schande bloßgestellt. Mousavi ist heute trotzdem mächtiger, als er je war, weil er sich geweigert hat, sich mit Khamenei zu arrangieren, und entsprechende Gesprächsangebote zurückgewiesen hat. Die Kräfte, die echte Demokratie wollen und nur auf ihre Chance warten, werden dadurch gestärkt. Davon merkt man im Ausland aber nicht viel. Im Iran gibt es kaum eine organisierte Opposition. Das Regime hat einen weitverzweigten Überwachungsapparat und zerschlägt jedes Zeichen von Widerstand. Außerhalb des Iran ist die Opposition in einem traurigen Zustand. Sie ist nicht in der Lage, eine kohärente Gruppe zu bilden, die wirklich für die Opposition im Iran und die sehr große Exil-Community sprechen kann. Der Widerstand gegen das Regime findet aber nicht nur auf der Straße statt. Es ist ein kultureller Krieg, der gegen das Regime geführt wird, und Ideologen wie Ayatollah Mesbah Yazdi haben sogar zugegeben, diesen Krieg bereits verloren zu haben. Die Menschen wenden sich vom Islam ab, sie geben ihren Kindern nichtreligiöse Namen. Die Jugend trägt nicht die Kleidung, die das Regime ihnen vorschreibt, es gibt eine Gegenkultur in der Musik, in der Kunst, im Theater und im Film. Nehmen Sie den Film von Asghar Farhadi, der jüngst einen Oscar gewonnen hat: Das ist eine subtile, diskrete Form der Opposition. Nach innen hält sich das Regime also nur noch mit Gewalt und Manipulation an der Macht. Wie sieht es in der Außenpolitik aus? Auch nicht viel besser. Das zeigte zuletzt auch der unbeholfene Umgang mit den Sanktionen, etwa der Fehltritt, als der Stellvertreter des Präsidenten drohte, die Meerenge von Hormuz zu sperren, und 20 hochrangige Funktionäre ihm widersprachen. Aber vor allem die ungebrochene Unterstützung des mörderischen Regimes in Syrien kostet den Iran viel Sympathie in der Region, insbesondere unter den sunnitischen Muslimen. Nachdem vor einigen Wochen eine iranische Waffenlieferung an Syrien in der Türkei beschlagnahmt worden war, attackierten die Medien des Regimes die Türkei als Lakaien der USA. Dabei ist die Türkei der wichtigste Wirtschaftspartner des Iran, ohne den das Regime die Sanktionen kaum umgehen könnte. Angesichts dieser Situation kann man eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass es nur eines geben kann, was das Regime heute noch retten könnte: ein Angriff ­Israels und der USA. Das würde der iranischen Führung helfen, wieder eine Einheit herzustellen, Israel und den USA die Schuld für ihre Probleme zu geben und die Opposition niederzuhalten. Meinen Sie, wenn der internationale Druck aufrecht erhalten wird, ist das Regime bald am Ende? Das Regime kann sich unter den derzeitigen ­Bedingungen kaum halten. Das heißt nicht, dass es morgen fallen wird. Unglücklicherweise können sich die Machthaber im Iran auf Russland oder China und die Gier einiger großer europä­ischer Konzerne verlassen, welche die Sanktionen weiterhin umgehen werden. Iranischen Angaben zufolge wird Shell Oil etwa 1,5 Millionen Barrel Öl im Iran kaufen. Aber selbst mit solcher Unterstützung: Die iranische Führung ist furchtbar korrupt und inkompetent und die Gesellschaft ist reif für die Demokratie. Es wird ein harter Kampf sein, aber historisch ist das Regime längst tot.