Afghanistan nach den Koranverbrennungen

Frühling ohne Freiheit

Mit angeblich gegen eine Koranverbrennung gerichteten Gewalttaten hat in Afghanistan die diesjährige Kampfsaison ­begonnen.

Die Soldaten zerstörten 29 Moscheen und beschädigten mehr als 200, dabei wurden mehr als 50 Exemplare des Korans und etwa 500 weitere religiöse Bücher verbrannt. Dies war nach Angaben der Opposition die Bilanz des Einsatzes saudischer Truppen zur Unterstützung des Königs von Bahrain im Frühling vorigen Jahres. Entschuldigt hat sich König Abdullah von Saudi-Arabien für die gezielte Zerstörung schiitischer Gebetsorte selbstverständlich nicht.
Seit Muawiyah im Jahr 657 während der Schlacht von Siffin seinen Soldaten befahl, aus dem Koran gerissene Seiten auf ihre Speere zu stecken, um Verhandlungen zu erwirken, ist unter Muslimen umstritten, was als blasphemischer Umgang mit ihrem heiligen Buch zu gelten hat. Die gezielte Beschädigung oder Vernichtung gilt den meisten Muslimen als Sakrileg, die saudischen Wahhabiten machen allerdings im Kampf gegen die Schiiten auch mal eine Ausnahme. Für die versehentliche Entheiligung sind nach Ansicht der meisten Religionsgelehrten Bußübungen fällig.
Dass nach der unbeabsichtigten Verbrennung einiger Exemplare des Korans auf einer US-Militärbasis ungeachtet der Entschuldigung Barack Obamas bei Protesten und Anschlägen mehr als 40 Menschen starben, kann daher nicht als Ausdruck besonderer Frömmigkeit gelten. Selbst die meisten islamistischen Organisationen anderer Länder haben den Vorfall schlicht ignoriert. Vielmehr sind die Gewalttaten der Auftakt zur diesjährigen Kampfsaison in Afghanistan, die traditio­nell mit der Schneeschmelze beginnt.
Es ist Zeit für euch, zu gehen – das ist die Botschaft, die übermittelt werden soll, und sie scheint bei der kriegsmüden US-Bevölkerung anzukommen. Anfang Februar sprachen sich in einer Umfrage mehr als zwei Drittel der US-Amerikaner für eine Beendigung des Kampfeinsatzes bis Mitte nächsten Jahres aus, und der Eindruck, man sei den Afghanen nicht willkommen, dürfte die Zahl der Befürworter eines schnellen Abzugs weiter erhöhen.
Die Regierungen der Interventionsstaaten verbreiten unverdrossen ihre Erfolgsmeldungen. So sprach George Little, der Pressesprecher des US-Verteidigungsministeriums, von »bedeutenden Fortschritten« im Kampf gegen die Taliban und bei der Stärkung der afghanischen Sicherheitskräfte. Doch zahlreiche Anschläge in Regierungseinrichtungen und Militärbasen haben bewiesen, dass die Taliban mit einigem Erfolg die Institutionen infiltriert haben. Die Zahl der zivilen Opfer des Krieges stieg im vergangenen Jahr um acht Prozent, mehr als drei Viertel wurden von den Jihadisten getötet. Die Bevölkerung soll eingeschüchtert werden, und die Afghanen haben längst erkannt, dass es den Interventionsstaaten nur noch darum geht, ihren Abzug nicht als offensichtliche Niederlage erscheinen zu lassen.
Ihre Erfolge haben die Taliban nicht ihrer Popularität zu verdanken. Neben der oft rücksicht­losen Kriegsführung ist der wichtigste Grund für das Scheitern der Intervention die im Westen vorherrschende Ansicht, man müsse es vor allem den Reaktionären und Islamisten recht machen. Angesichts der Kooperation der Nato mit islamistischen Warlords, der Akzeptanz der Sharia und der Duldung von Wahlbetrug ist es kein Wunder, dass die meisten Afghanen die Intervention als Machtkampf betrachten, der auf ihre Kosten stattfindet. Dafür aber wird sich der Westen wohl nicht entschuldigen.