Die französischen Gewerkschaften und der Wahlkampf

Trotzdem gefährlich

Im französischen Wahlkampf versuchen linke und sozialdemokratische Kandidaten, sich mit spektakulären Ankündigungen zu profilieren. Die Gewerkschaftsbewegung hat keinen Favoriten.

»I’m not dangerous«, stellte sich der Sozialdemokrat François Hollande, der aussichtsreiche Präsidentschaftskandidat in Frankreich, am Mittwoch vergangener Woche in London den vertrtern der Presse vor. Auch so kann man für sich werben. Ungefährlich sei er vor allem für die Vertreter des Kapitals, wollte er damit betonen. Dank der Politik der Regierung Margaret Thatchers in den achtziger Jahren ist die City of London einer der wichtigsten Orte der internationalen Finanzbranche.
Zwei Wochen zuvor hatte Hollande in einem Interview mit dem britischen Guardian versichert, Befürchtungen wie 1981 zur Wahl des bislang einzigen Sozialisten im Präsidentenamt, François Mitterrand, seien unbegründet. »Heute gibt es in Frankreich keine Kommunisten mehr«, sagte Hollande. Mitterand hatte damals die Kommunistische Partei für drei Jahre in die Regierung aufgenommen. Als die KP die Regierung 1984 verließ, befand sie sich in einem miserablen Zustand. Im damals konservativ regierten London war man anfänglich dennoch wegen des Einflusses der »Roten« besorgt. Die Kommunistische Partei ist inzwischen mit einer Linksabspaltung der Sozialdemokraten verbündet, ihr gemeinsamer Kandidat, Jean-Luc Mélenchon, kann auf zehn Prozent der Stimmen hoffen. Nachdem Hollandes Ausspruch in Frankreich einen kleinen Aufschrei hervorgerufen hatte, ließ er die Online-Version des Interviews am nächsten Tag um den Zusatz »oder nicht mehr so viele« ergänzen.
In der vergangenen Woche machte Hollande in Frankreich auch erstmals eine klassenkämpferisch anmutende Ankündigung: Für die höchsten Einkommen will er einen neuen Spitzensteuersatz von 75 Prozent einführen, allerdings erst ab einem individuell versteuerten Jahreseinkommen von einer Million Euro, was höchstens 30 000 Personen in Frankreich beträfe, manchen Quellen zufolge sogar nur 7 000. Sein linker Konkurrent Mélenchon möchte einen Steuersatz von 100 Prozent ab einer bestimmten Einkommenshöhe sowie Mindest- und Höchsteinkommen diskutieren.
Falls Hollande Anfang Mai tatsächlich gewählt wird, dürfte seine Ankündigung jedoch kaum Auswirkungen haben. Aber er benötigt dringend eine spektakuläre und irgendwie kämpferisch klingende Aussage, nachdem sein Wahlkampf in den vergangenen Wochen ziemlich schwach gewirkt hatte.

Ganz Unrecht hatte Nicolas Sarkozy nicht, als er sagte, Hollande habe einen taktischen Fehler begangen, indem er sein ganzes Programm im Januar auf einer Großveranstaltung im Pariser Vorort Le Bourget auf einen Streich verkündet habe. »Nun hat er nichts mehr zu sagen«, bemerkte Sarkozy.
Deswegen benötigte Hollande wohl einen Überraschungseffekt. Zudem sollte die Ankündigung zum neuen Spitzensteuersatz seine tags zuvor verkündeten programmatischen Leitsätze relativieren. So spricht sich Hollande auch für eine neue pauschale Sondersteuer aus, die Arme ebenso stark belastet wie Reiche. Seit 1995 hatten bürgerliche Regierungen zweimal ähnliche Sondersteuern zur Refinanzierung der Sozialkassen eingeführt. In Hollandes Konzept sollen die Abgaben zudem dem Rückbau der Staatsverschuldung dienen. Eine weitere Ankündigung, die nicht zu seiner Popularität bei der Linken beiträgt, war sein Anfang voriger Woche geäußerter Entschluss, die 2009 beschlossene Rückkehr Frankreichs ins Militärkommando der Nato beizubehalten.
Generell vermag es Hollande nicht, Hoffnungen auf positive soziale Veränderungen zu wecken. Umfragen des Instituts Ipsos und einer Consultingfirma zufolge erwarten 34 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen im Falle einer Wahl Hollandes eine teilweise Verbesserung der Lebensverhältnisse, 37 Prozent hingegen eine Verschlechterung. Dies hängt weniger mit der Angst der Bourgeoisie vor einer drohenden »Umverteilung« zusammen, sondern eher mit der generell pessimistischen Einschätzung der ökonomischen Entwicklung angesichts der Wirtschaftskrise. Nach einer Wahl Sarkozys erwarten nur 20 Prozent der Befragten bessere Lebensverhältnisse, 49 Prozent eine Verschlechterung.
Auch die französischen Gewerkschaften bleiben eher zurückhaltend. Seit ihrer schweren Niederlage im Kampf um die »Rentenreform« vom Herbst 2010, an der auch die defensive Taktik der wichtigsten Gewerkschaftsführungen von CGT und CFDT Schuld war, vermögen sie es kaum noch, Menschen auf die Straße zu bringen. Am 29. Februar demonstrierten sie »gegen die Spar­politik« und die Abwälzung der Krisenlasten auf die Lohnabhängigen. Offiziellen Zahlen zufolge beteiligten sich in ganz Frankreich nur 48 000 Personen an den Demonstrationen, davon etwa 8 000 in Paris. Derart schlechte Resultate gab es in der französischen Geschichte selten.
Zuvor hatten sich die Gewerkschaftsverbände noch untereinander zerstritten. Der zweitstärkste Dachverband, die früher sozialdemokratische und mittlerweile zum Teil neoliberale CFDT, und der drittstärkste Dachverband, die eher populistische Force Ouvrière, erhoben öffentlich Vorwürfe gegen die »postkommunistische« CGT: Diese verletze das Prinzip parteipolitischer Neutralität. Dabei gab es dieses Prinzip in der Geschichte der französischen Gewerkschaftsbewegung überhaupt nicht. Sie war jahrzehntelang vom Nebeneinander politischer Gewerkschaften geprägt, heutzutage spielen politische Ideen kaum noch eine Rolle. Die CFDT gab bis in die achtziger Jahre hinein offene Wahlempfehlungen für die Sozialdemokraten ab, die CGT empfahl bis in den neunziger Jahre die Kommunisten. Unterschiede in der politischen Einschätzung bestehen zwischen den Verbänden aber weiterhin.
Am 31. Januar kamen etwa 6 000 Menschen an einem Werktag in einer Pariser Halle zu einer Großkundgebung der CGT zur Rentenpolitik, nachdem die Regierung bei der letzten Reform Ende 2010 unter anderem das Mindesteintrittsalter und die Beitragsjahre für die Rente erhöht hatte. An der Kundgebung nahmen auch mehrere Präsidentschaftskandidaten der Linken teil: Mélenchon, Philippe Poutou (Nouveau Parti anticapitaliste) und Nathalie Arthaud von den Trotzkisten sowie Eva Joly vom grün-linksliberalen Bündnis Europe Écologie – Les Vertes. Hollande hatte seine Teilnahme zunächst abgesagt, aber dann doch Vertreter geschickt, unter ihnen den Europaparlamentarier Harlem Désir. Der Vorsitzende der CGT, Bernard Thibault, nahm seine Kritik an der Sozialdemokratischen Partei auf der Kundgebung daher ­etwas zurück. Mélenchon wurde wie ein Star vom Publikum gefeiert, die CGT-Spitze enthielt sich aber jeglicher offenen parteipolitischen Empfehlungen. Bereits das empfanden CFDT und Force Ouvrière als zu viel. »Neutral zu bleiben, bedeutet Komplizenschaft« konterte daraufhin Thibault.

Alle Gewerkschaften sind gegen einen Plan Sarkozys, demzufolge künftig durch Betriebsvereinbarungen in der Krise, etwa über Lohnsenkungen »zur Rettung von bedrohten Arbeitsplätzen«, auch nachträglich individuelle Arbeitsverträge abgeändert werden könnten. Bislang wäre dies rechtswidrig. Falls er gewählt wird, möchte Sarkozy schnell ein entsprechendes Gesetz verabschieden, hatte er am 29. Januar angekündigt. Bis dahin hätten die Sozialpartner zwei Monate Zeit, sich auf einen entsprechenden Inhalt zu einigen. Die Gewerkschaftsführung der CFDT kritisierte dies, allerdings eher wegen der Methode als wegen der Möglichkeiten zur Lohnsenkung oder Arbeitszeitausdehnung in der Krise. Am 31. Januar sagte Marcel Grignard von der CFDT der Libération, man lasse sich nicht durch eine verordnete Frist wie die angekündigten zwei Monate die Pistole auf die Brust setzen. Über betriebliche Vereinbarungen zur Krisenbewältigung könne man ansonsten durchaus reden, fügte er hinzu. Bei anderen Gewerkschaften wie der CGT wird dies wohl anders gesehen. Doch das bleibt nur ein schwacher Trost.