Kein Ende im Prozess wegen des Todes von Oury Jalloh

Zweiter Anlauf, zweiter Fehlschlag

Trotz der fragwürdigen Prozessführung im Fall Oury Jalloh ist ein Befangenheitsantrag gegen die Richter abgelehnt worden. Das dürfte die Aufregung um die Verhandlung und die Zustände in Dessau nicht mindern.

Es scheint, als verhandele das Magdeburger Landgericht eine Terroranklage und fürchte Sympathisanten der Angeklagten: Eine ganze Einheit schwarz gekleideter Wachleute mit schusssicheren Westen, Kampfanzügen und griffbereiten Tonfas drängt sich im Gerichtssaal, Zuschauer müssen eine Sicherheitsschleuse passieren, ihre Ausweise werden fotokopiert, sie bekommen Platzkarten. Es ist der 45. Verhandlungstag im zweiten Prozess um den Tod des Sierra Leoners Oury Jalloh, der unter so scharfen Sicherheitsvorkehrungen stattfindet. Auf der Bank der Nebenklage sitzt eine Frau, sie trägt traditionelle afrikanische Kleidung und hat sich ein großes Tuch über den Kopf gezogen. Sie ist die Mutter des Toten, die aus Guinea nach Deutschland gereist ist, um das Ende des Prozesses zu verfolgen. Ihr Sohn ist am 7. Januar 2005 in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers verbrannt, an Händen und Füßen gefesselt. Wie das Feuer überhaupt ausbrechen konnte, ist bislang ungeklärt.

Ihr gegenüber, auf der Anklagebank, sitzt der Polizeibeamte Andreas S. Er war an jenem Tag für den Gewahrsamstrakt verantwortlich. Er soll den Feueralarm mehrfach ignoriert und einmal sogar abgestellt haben, statt Jallohs Leben zu retten. In einem ersten Verfahren war er 2008 freigesprochen worden. Schon früh am Morgen hat die Polizei das Gelände rund um das Gerichtsgebäude abgesperrt. Einige Demonstranten halten dennoch eine Mahnwache ab. Zwei sogenannte Kontaktpolizisten kommen herüber und fordern, dass die mitgebrachte Anlage leiser gedreht wird. »Bei euch muss man aber laut sein. Als Jalloh Alarm geschlagen hat, habt ihr das auch nicht gehört«, hält ihnen ein Demonstrant entgegen.
Am Vortag hat das Landgericht versucht, den Prozess ohne Urteil zu beenden. Die Vorsitzende Richterin Claudia Methling schlug vor, das Verfahren unter Berücksichtigung der Verfahrensdauer einzustellen, ganz so, als sei es dem Gericht und dem Angeklagten nicht zuzumuten, sich noch länger mit dem Fall zu befassen. Der leitende Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann lehnte jedoch ab: »Jetzt muss ein Richterspruch her, mit allen formellen Konsequenzen.«
Das Gericht habe mit dem Vorschlag bewiesen, dass es überhaupt nicht daran interessiert sei, aufzuklären, was wirklich in Dessau passiert ist, sagt die Anwältin Gabriele Heinecke, die Jallohs Mutter und Bruder vertritt. »Wir haben das Gefühl, dass wir hier die Hucke vollgelogen kriegen«, sagt sie.
Besonders schwerwiegend sind die im Prozess offenbar gewordenen Widersprüche in der Frage einer Zellenkontrolle, die eine halbe Stunde vor Jallohs Tod stattgefunden haben soll. Die Polizisten Hans-Ulrich M. und Udo S. sollen noch um 11.30 Uhr die Zelle des Asylbewerbers durchsucht haben. Kollegen von ihnen sagten dies vor Gericht aus. M. und S. hatten Jalloh an jenem Morgen in der Dessauer Innenstadt festgenommen. Die Zelle kontrolliert zu haben, streiten sie jedoch ab, sie wollen zu der Zeit gar nicht im Revier, sondern auf Streife gewesen sein. Im schriftlichen Dienstprotokoll ist die Kontrolle nicht dokumentiert. Das elektronische Journal, das alle Vorgänge auf dem Polizeirevier erfasst, wurde gelöscht. Es gelang dem Gericht nicht, zu klären, wie dies geschehen ist.
Auch die Umstände, unter denen das Feuerzeug aufgefunden wurde, mit dem Jalloh die Matratze angezündet haben soll, auf der er lag, lassen Prozessbeobachter ratlos zurück. Es wurde nicht bei der ersten Durchsuchung der ausgebrannten Zelle entdeckt, sondern erst nachträglich in die Asservatenliste eingetragen. Angeblich hatten die Beamten der Tatortsicherung es bei einer zweiten Inspektion der ausgebrannten Zelle entdeckt. Diese Inspektion wurde nach Vorschrift auf Video dokumentiert. Doch das Videoband hat an entscheidenden Stellen Lücken.

Jalloh soll, obwohl er gefesselt war, das Feuerzeug aus seiner Hosentasche geholt haben und durch ein Loch in dem feuerfesten Bezug die Matratze angezündet haben, auf der er fixiert war. So lautet die These der Staatsanwaltschaft. Der in beiden Prozessen hinzugezogene Brandgutachter gab an, dass er den Auftrag bekommen habe, den Brandverlauf so zu rekonstruieren, als habe Jalloh sich selbst angezündet. »Der Zustand der Leiche ist so aber nicht zu erklären, das hat der Gutachter selbst eingeräumt«, sagt Philipp Napp, der als Anwalt ebenfalls Jallohs Familie vertritt. Das Gericht lehnte jedoch einen Antrag auf ein neues Brandgutachten ab.
In den vergangenen Wochen habe das Gericht signalisiert, dass es S. lediglich wegen fahrlässiger Tötung verurteilen wolle und nicht wegen Körperverletzung mit Todesfolge, wie die Staatsanwaltschaft es fordert, sagt Heinecke. »Das wäre nicht einmal ein Verbrechenstatbestand, sondern nur ein Vergehen ohne Mindeststrafe. Ein Skandal«, findet die Anwältin. Sie stellte einen Befangenheitsantrag gegen die Richter. Doch am Montag lehnte das Magdeburger Landgericht den Antrag ab, die Richter dürfen die Verhandlung zu Ende führen.
In den vergangenen Monaten sorgte nicht nur der Verlauf des Prozesses für großen Unmut unter den Mitgliedern der »Initiative Oury Jalloh« und anderen, die eine lückenlose Aufklärung verlangen. Am 7. Januar, dem Todestag Jallohs, demonstrierte die Initiative in Dessau. Die Polizei versuchte, ein Transparent mit dem Slogan »Oury Jalloh – Das war Mord« gewaltsam zu entfernen, und verprügelte Demonstrationsteilnehmer. Mouctar Bah, der Gründer der Initiative, wurde er von mehreren Polizisten zu Boden gerissen und bewusstlos geschlagen (Jungle World 7/12). Die Staatsanwaltschaft in Dessau nahm danach zwar Ermittlungen gegen Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt auf. Doch die Lage in Dessau beruhigte sich nicht. Kurz danach stach ein Asylbewerber in Dessau einem Fußballspieler ein Messer in den Kopf, Hunderte Neonazis demonstrierten mit Sprechchören wie »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!« in der Stadt. Der parteilose Dessauer Oberbürgermeister Klemens Koschig äußerte sich ebenfalls zu den Vorfällen auf der Gedenkdemonstration. Er warf »Links- oder Rechtsextremen – beispielsweise aus Berlin« vor, die »Situation ausnutzen und die Stadt Dessau-Roßlau verstärkt als Schauplatz zu wählen«.

Kurze Zeit später wurde Koschigs Rathaus von Mitgliedern der antirassistischen Initiative »Aufklärung und Transparenz« besetzt, die eine genauere Untersuchung des polizeilichen Vorgehens gegen die Gedenkdemonstration forderten (Jungle World 7/12). Zugleich bekam der Bürgermeister einen Brief von der Flüchtlingsorganisation »The Voice«, in dem stand: »Wir haben uns ihre Stadt nicht einfach so oder rein zufällig als Demonstrationsschauplatz gewählt.« Denn in Dessau seien binnen fünf Jahren drei Menschen ­gewaltsam umgekommen, womit die Organisation Oury Jalloh, den im Jahr 2000 von Nazis ermordeten Afrodeutschen Alberto Adriano und einen Obdachlosen meinte, der 2002 unter ungeklärten Umständen in derselben Zelle starb wie Jalloh. Angesichts dieser Todesfälle ist die Aufregung über die Zustände in Dessau durchaus verständlich. Verläuft der zweite Prozess im Fall Oury Jalloh weiter wie bisher, dürfte sie sich nicht verringern.