Igor Urrutikoetxea im Gespräch über den baskischen Nationalismus, die Linke und die Eta

»Die baskische Realität ist anders«

In Spanien ruft unter anderem die baskisch-nationalistische Gewerkschaft LAB zu Protesten gegen die Sparmaßnahmen der Regierung auf. Die LAB demonstriert dabei auch für die baskische Unabhängigkeit und gegen die Kriminalisierung baskischer Linker. Im September vergangenen Jahres wurde der langjährige Vorsitzende der LAB, Rafa Díez, im »Bateragune«-Prozess zu zehn Jahren Haft verurteilt. Ihm und anderen Linksnationalisten wurde vorgeworfen, von der baskischen Terrororganisation Eta Befehle entgegengenommen zu haben. Die Jungle World sprach mit Igor Urrutikoetxea über die Kriminalisierung baskischer Linker, die spanische Protestbewegung und baskischen Nationalismus. Er ist Mitglied des Exekutivausschusses und Sekretär für Internationale Beziehungen der LAB.

Wie kam es zu dem Urteil im »Bateragune«-Prozess?
Den Angeklagten wurde vor der Audiencia Nacional »Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande« vorgeworfen. Das ist ein Sondergerichtshof des spanischen Staates, der auch nach dem Ende der Diktatur Francos beibehalten wurde. Unter Franco hieß er »Gericht für öffentliche Ordnung«, und sein einziges Ziel bestand darin, baskische Unabhängigkeitskämpfer und andere Revolutionäre zu verurteilen.
Den Angeklagten wurde vorgeworfen, »Teil der Eta« zu sein.
Dieser Vorwurf ist völlig unbegründet. Die Verhaftung und der ganze Prozess, der sich vor der Audiencia Nacional anschloss, folgten rein politischen Kriterien, sowohl was Rafa Díez betrifft, als auch alle anderen angeklagten Genossen.
Im Baskenland leben wir in einem ständigen Ausnahmezustand und sind rechtlich total wehrlos, da wir jeden Moment verhaftet und verurteilt werden können, sobald wir einfach nur in Jugendorganisationen, internationalen Gruppen etc. politisch aktiv werden.
Rafa Díez ist seit Jahrzehnten für sein Engagement in der LAB bekannt. Warum wurde er erst jetzt verfolgt?
Wie bereits angedeutet, spielen ausschließlich politische Gründe seitens des spanischen Staates eine Rolle für seine Verhaftung und das Urteil. Rafa Díez befindet sich so wie Dutzende baskische Unabhängigkeitskämpferinnen und -kämpfer einzig deshalb im Gefängnis, weil er sein Recht auf politische Betätigung ausgeübt hat.
Warum findet der Prozess statt, obwohl die Eta seit über einem Jahr einen Waffenstillstand einhält und alle Aktivitäten beendet hat?
Das müsste man den spanischen Staat, die damalige Regierung Zapateros und die Richter fragen, die das Verfahren beschleunigen wollen. Aus unserer Sicht versuchen sie, die separatistische Linke zu schwächen, indem sie deren politische Führungspersonen inhaftieren. Der spanische Staat wird dieses Ziel aber nicht erreichen, wie der Ausgang der Kommunalwahlen vom Mai und der spanischen Kongresswahlen vom 20. November vergangenen Jahres zeigen. Die Linke, die sich für die Unabhängigkeit des Baskenlandes einsetzt, wird von einem großen Teil der baskischen Gesellschaft unterstützt, sie erreichte bei bei den Wahlen mehr als 22 Prozent der Stimmen.
Wie hat sich die LAB an den Protesten gegen die Abwälzung der Folgen der Wirtschaftskrise auf die ärmeren Schichten beteiligt?
Zunächst möchten wir herausstellen, dass wir im Baskenland von Anfang an auf die aktuelle Krise des Kapitalismus und auf die eingeführten Maßnahmen, für die die Krise als Entschuldigung angebracht wird, reagiert haben. Die großen spanischen Gewerkschaftsverbände CCOO und UGT sind im Baskenland in der Minderheit. 65 Prozent der baskischen Arbeiterklasse werden von baskischen Gewerkschaften repräsentiert, die LAB gehört dabei zu den zwei größten.
Die baskische Gewerkschaftsmehrheit hat während der ganzen Krisenzeit eine eigene Dynamik entwickelt. Unter anderem wurden am 21. Mai 2009, 29. Juni 2010 und 27. Januar 2011 im gesamten Baskenland drei Generalstreiks abgehalten gegen die neoliberale Politik der Regionalregierungen im Baskenland und in Navarra sowie die der spanischen Zentralregierung. Außerdem erstellten wir einen Forderungskatalog und organisieren Demonstrationen und Streiks im ganzen Baskenland.
Beteiligt sich Ihre Gewerkschaft auch an der Bewegung der Indignados?
Nein. Aber natürlich kann es einzelne Mitglieder geben, die das tun. Dazu muss man wissen, dass die Bewegung M15, so groß auch die Aufmerksamkeit war, die ihr zuteil wurde, keine großen Auswirkungen auf das Baskenland hat. Vielleicht weil die revolutionäre Linke hier bereits lange organisiert ist, ein klareres politisches Programm hat und einen viel stärkeren gesellschaftlichen Einfluss als in anderen Teilen des spanischen Staates. Die Bewegung M15 spielt aber in Gegenden des spanischen Staates, wo die organisierte Linke schwächer ist, eine bedeutende Rolle.
Werden die Proteste in Spanien andauern?
Der Wahlsieg des konservativen Partido Popular (PP) verheißt nichts Gutes. Der PP wird im sozialen Bereich und bei den Arbeitsrechten weitere Einschnitte vornehmen – letztendlich wird er dem Weg der Vorgängerregierung des PSOE weiter folgen. Die Proteste werden wohl weitergehen.
Ist es für die Proteste gegen den Sozialabbau kein Hindernis, dass die LAB sich explizit als nationale baskische Gewerkschaft versteht?
Offensichtlich nicht. Die LAB definiert sich als baskische Gewerkschaft und agiert im gesamten Baskenland, sowohl im spanischen als auch im französischen Teil.
Arbeitet die LAB mit Gewerkschaften zusammen, die sich nicht als baskisch verstehen?
Die Unterschiede zu CCOO und UGT beziehen sich nicht nur auf das Nationale. Ein Unterschied ist sicherlich, dass sie das Recht auf Selbstbestimmung des Baskenlandes nicht anerkennen.
Der andere große Unterschied ist das Gewerkschaftsmodell. Wir teilen nicht deren Idee des »sozialen Dialogs«, der für die spanische und europäische Bourgeoisie das Mittel war, um soziale, gewerkschaftliche und Arbeitsrechte in den letzten 30 Jahren einzuschränken, fast immer mit dem Einverständnis dieser Gewerkschaften. Wie zuletzt bei der Anhebung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahren. Im Baskenland riefen die Arbeiterklasse und die baskischen Gewerkschaften hingegen zum Streik gegen diese Maßnahme auf.
Inwiefern ist sowohl der spanische als auch der baskische Nationalismus ein Hindernis für die Emanzipation der Arbeiterklasse im Baskenland?
Das baskische Nationalgefühl ist kein Problem für die Emanzipation. Für uns sind der Kampf um soziale und nationale Befreiung zwei Seiten einer Medaille. Die einzige Gefahr für die Emanzipation der baskischen Arbeiterklasse ist, dass der spanische Staat uns nicht selbst über unsere Zukunft in allen Lebensbereichen entscheiden lässt. Außerdem ist die politische, soziale, ökonomische und gewerkschaftliche Realität im Baskenland eine andere als im Rest Spaniens.
Ist der Protest gegen das »Bateragune«-Urteil nicht eher eine Frage von Menschenrechten? Warum verbindet die LAB ihn mit der Forderung nach nationaler Selbstbestimmung?
Alle Proteste gegen politische Prozesse gegen baskische Unabhängigkeitskämpfer sind Aktionen für die Verteidigung der Menschenrechte, bereits seit 30 Jahren. Das Recht auf Selbstbestimmung, das in praktisch allen internationalen Verträgen anerkannt wird, fordert heute die Mehrheit der baskischen Gesellschaft. Demgegenüber dürfen sich die spanische und französische Regierung nicht taub stellen.