Jagd im Netz. Die Kampagne »Kony 2012«

Hier gut, da böse

Thomas Lubanga wurde vom Internationalen Strafgerichtshof verurteilt. Im Internet interessieren sich die User derzeit aber nur für Joseph Kony, den Anführer der »Lord’s Resistance Army«.

Seit das Video »Kony 2012« Anfang März online gegangen ist, wurde es rund hundert Millionen mal angesehen. Der Film der Organisation Invisible Children, da sind sich alle einig, ist das viralste Kampagnenvideo aller Zeiten. Darin geht es um den Milizenführer Joseph Kony und seine Gräueltaten in Uganda. Das Video soll politischen Druck auf die US-Regierung ausüben, damit Kony nach Den Haag gebracht wird. Auch wenn die USA mit dem internationalen Strafgerichtshof gar nicht kooperieren. Aber für solche politischen Feinheiten ist im fast halbstündigen Video von Jason Russell keine Zeit.
Zunächst werden wir als digital vernetzte, wirkmächtige Weltbürger angesprochen und mit der Geburt von Russells Sohn Gavin eingelullt. Wir bewundern, wie süß das Baby und wie liebevoll der Papa ist. Dann erst werden wir Zeugen, wie Russell in Norduganda auf Jacob trifft – ein Opfer von Konys LRA, der der Ermordung seines Bruders zusehen musste und schluchzend wünscht, er selbst wäre tot. Russell, Held seines eigenen Films, verspricht dem weinenden Kind: »Alles wird gut. Wir werden sie stoppen.«

Dass sich hier mal wieder ein paar Weiße als Retter Afrikas inszenieren, stieß nicht überall auf Beifall. Kritisiert wurde der Film aber vor allem, weil darin die verworrene Geschichte des Konflikts in Uganda komplett ausgespart wird. Etwa, dass Konys LRA längst nicht mehr in Norduganda ist und auch nicht über 30 000 Kindersoldaten verfügt, wie der Film suggeriert, sondern sich mittlerweile mit ein paar hundert Kämpfern irgendwo im zentralafrikanischen Busch versteckt. Präsident Yoweri Museveni, der das Land seit 26 Jahren autoritär regiert, taucht im Film nicht auf, obwohl auch ihm vorgeworfen wird, Kindersoldaten eingesetzt und große Teil der Bevölkerung Nordugandas in sogenannte »Protection Villages« eingesperrt zu haben, in denen sie von Armeeangehörigen misshandelt wurden. Auch soll Museveni zentralafrikanische Milizen unterstützt haben – etwa auch jene, deren Anführer Lubanga just in den Haag verurteilt wurde. Aber all der komplexe Ballast hätte nur das gestört, was NGO-Campaigner als »perfektes Storytelling« loben. Die simple Story, ganz schwarz-weiß: Die unschuldigen Kinder, die entführt, als Sexsklavinnen missbraucht oder zu Killern gedrillt werden. Und Joseph Kony, die Inkarnation des Bösen, der für all das ganz alleine verantwortlich ist. Russells Sohn Gavin lernt von Papa: Hier gut, da böse.
Das awarness rising, wie Invisible Children die Kampagne bezeichnet, ist nicht nur im Internet erfolgreich. Dank der Lobbyarbeit der Organisation erhält die ugandische Armee Unterstützung von 100 US-Soldaten. Die Kampagne suggeriert, diese könnten abgezogen werden, wenn die Aufmerksamkeit für die LRA abnehme. Aktiv finanzieren kann man die Kampagne außerdem durch den Kauf eines »Action-Kit« für 30 Dollar, es handelt sich dabei um ein Paket mit Propagandamaterial, mit dem am 20. April die Großstädte des Globus mit Kony-Bildern bepflastert werden sollen.
Antiimperialistisch gesinnte Kritiker sehen hinter der Kampagne, die die USA zur Intervention aufruft, wieder die Gier nach Öl am Werk. Doch sind die USA nicht die einzigen, die das Öl rund um den Albertsee interessieren könnte. Auch ein hochrangiger Vertreter der LRA äußerte einst, in ihrem Kampf gehe es um Öl. Aber rationale Interessen passen nicht ins Bild, das Invisible Children über den Konflikt verbreitet. Und auch nicht ins Bild jener, die einen Krieg um Öl erst dann wittern, wenn US-Soldaten eingreifen. Auf der anderen Seite ist aber auch eine Tatsache, dass bisherige Militäraktionen gegen die LRA vor allem brutale Vergeltungsaktionen der Milizen auslösten.

Fragwürdig sind nicht nur die Ziele, sondern auch die Finanzierung der Kampagne. Unter anderem kam heraus, dass Invisible Children mehrere Hundertausend Dollar der National Christians Foundation zugeflossen sind, die in Uganda für die Durchsetzung des »Kill the Gays«-Gesetz warb. Immerhin haben zahlreiche Medien und Blogger kritische Informationen zum Video verbreitet. Vielleicht trägt das Video so tatsächlich zum awarness rising bei. Vielleicht ist die Kampagne aber auch nur ein weitere Beweis für den unkritischen Geist der weltweiten Netzbürgerschaft und die Macht der Propaganda.