Caspar Battegays Buch »Judentum und Popkultur«

Shabbat Shalom, Motherfuckers

Caspar Battegay erforscht die Einflüsse des Judentums auf die Popkultur.

I belong to the beat generation, I don’t let anything trouble my mind. Some people say I’m lazy and my life’s a wreck, but that stuff doesn’t faze me, I get unemployment checks«, singt Bob McFadden 1959 in seinem Song »The Beat Generation«. Das Lied ist eine ironische Auseinandersetzung mit den Hipstern der fünfziger Jahre, den »White Negros«, die Norman Mailer in seinem gleichnamigen Essay beschrieben hat: »Der Beatnik – oft ein Jude – kommt aus dem Mittelstand und hätte sich vor 25 Jahren der kommunistischen Jugendbewegung angeschlossen. Heute zieht er es vor, ganz einfach nicht zu arbeiten.«
Die Identifikation einer ganzen Generation junger amerikanischer Juden mit der afroamerikanischen Kulturgeschichte der Ausgrenzung bedeutet jedoch mehr als lediglich die Adaption eines Gegenmodells zu der als überzivilisiert und gehemmt wahrgenommenen Lebenswelt der weißen amerikanischen Mittelschicht. Caspar Battegay, Mitarbeiter am Institut für Jüdische Studien der Universität Basel, betrachtet diese Verschmelzung von Traditionen des Ausgegrenztseins als einen zentralen Ausgangspunkt jüdischer Popkultur sowie der Popkultur insgesamt: »Als Beginn der Popkultur«, schreibt er in seinem gerade erschienenen Buch »Judentum und Popkultur«, »kann man die phantasmatische Verwandlung von Weißen in Schwarze ansehen. Im Zuge dieser Bewegung verweigerten die Kinder der jüdischen Mittelklasse ihren Eltern den Traum vom Ankommen, sie widersetzten sich dem Wunsch nach sozialer Integration, die sich während der Zeit des ökonomischen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr abzeichnete.« In dem Moment, als sich amerikanische Juden in den USA einerseits selbst von »›Schwarzen‹ zu ›Weißen‹ verwandelten, das heißt, sie von Outsidern zu Insidern wurden, mit allen moralischen und politischen Implikationen, die dieser Statuswechsel mit sich brachte«, und andererseits mit der Gründung des Staates Israel die jüdische Diaspora in einem neuen Licht erschien, entwickelte sich ein »Diaspora-Chic« innerhalb dieser und nachfolgender Generationen junger amerikanischer Juden. Es war eine Feier des Außenseitertums: »Es gibt eine Hippness des Randständigen, des Nicht-Dazugehörens und des bewussten Außenseitertums, das jeder Avantgarde eigen ist.«
Dieses bewusste Außenseitertum beschrieb auch der Journalist Steven Lee Beeber 2007 in einem Interview mit der Jungle World am Beispiel der übernächsten Generation amerikanischer Juden, die im Punk die eigene Erfahrungswelt als erste Generation nach der Shoa geborener Juden reflektiert hat: »Im New York Punk spiegelt sich die jüdische Geschichte von Unterdrückung und Unsicherheit, Flucht und Migration, gleichzeitig drinnen und draußen, gut und schlecht zu sein. Diese Musik drückt das Gefühl der Post-Holocaust-Generation aus, das Gefühl, immer am falschen Ort zu sein. Jude oder nicht, wo gehöre ich hin? Und ist es dort, wo ich bin, sicher?«
Das Motiv für die Weigerung, sich in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren und sich an deren Erwartungen anzupassen, verbindet die Beat-Generation mit der Punk-Generation: Im Versuch, sich den von außen gesetzten Identitätszuschreibungen zu entziehen, die eine Essenz »des Jüdischen« definieren zu glauben können. Einige Jahre nach der Punk-Bewegung brachte der deutschsprachige Schriftsteller Maxim Biller dies auf die Formel: »Ich will nicht Jude sein, weil man mich als Juden sieht. Ich will Jude, Mann, Schriftsteller sein, weil ich es bin.« Ein solcher Wunsch nach Selbstbestimmung in kultureller wie religiöser Hinsicht findet sich in allen popkulturellen Äußerungen, die Battegay in seinem Buch anführt: »Es sollten Figuren des Jüdischen umrissen werden, die sich den traditionsreichen Fixierungen und Essentialisierungen, den folgenschweren Abstraktionen widersetzen.«
Dass die Popkultur einen Ort bietet, »Identitäten innovativ und vor allem souverän zu gestalten«, gerade weil Pop davon lebt, wie Battegay schreibt, sich den ideologischen Anforderungen zu widersetzen, ist keine neue Erkenntnis. Und auch die Tatsache, dass Juden schon immer an der Produktion von Popkultur auf vielfältige Weise beteiligt waren, dürfte weithin bekannt sein. In der Popkultur geht es neben der Produktion von Lust auch immer um die Bedeutungen, die Menschen und Dingen zugebilligt werden. Minderheiten, die stets durch die Mehrheitsgesellschaft eingeschränkt, entmündigt, bedroht und verfolgt werden, besitzen in der Popkultur einen Raum, in dem sie widerständige Bedeutungen entwickeln und verbreiten können.
Neu ist jedoch der Versuch von Battegay, die Popkultur für die Judaistik in Deutschland überhaupt zum Thema zu machen. Während es in den USA eine Selbstverständlichkeit sei, in der Auseinandersetzung mit popkulturellen Phänomenen eine Gegenwart jüdischen Lebens zu beschreiben und zu erfassen, »wie Judentum und jüdische Identität in der globalisierten Gesellschaft jetzt verstanden werden«, gebe es, so Battegay, in der deutschen Politik und Gesellschaft wie auch in der Judaistik eine Angst vor der komplexen Lebensrealität des Judentums. Er schreibt: »Wenn deutsche Politiker in einer Synagoge oder an einer Universität eine Rede halten, sprechen sie meist von ›jüdischen Menschen‹, so als ob es daneben auch noch jüdische Unterseeboote oder jüdische Pferde geben würde. Schon allein die Tatsache, dass man nicht einfach von Juden sprechen kann/darf/will/soll, zeigt den unaufhörlichen Komplex von Schuld und Schuldabwehr, gutem Willen und politischer Korrektheit, die in Ignoranz und neue Stigmatisierung überzugehen droht.« Hier sieht Battegay die Jüdischen Studien aufgrund ihrer selbstdeklarierten gesellschaftlichen Funktion als Bewahrer einer untergegangenen Kultur und als Brückenbauer in der Verantwortung, Ansätze zu entwickeln, um die defizitäre gesellschaftliche Wahrnehmung jüdischer Gegenwart in Deutschland mit Leben zu füllen.
Dass sich diese Lücke nicht mit einem Buch schließen lässt, ist Battegay bewusst. Sein Vorhaben ist jedoch weniger, einen Überblick über die gesamte jüdische Popkultur zu geben, als vielmehr eine aus der Auseinandersetzung mit Judentum und Popkultur erwachsende Hoffnung zu verbreiten: »Nicht eine neue Selbstverständlichkeit oder gar eine unmögliche Normalität wird angestrebt, sondern eine neue subversive Lust jenseits der lieb gewonnenen Konformitäten, mit jüdischer Identität umzugehen.« »Popkultur und Judentum« ist also weniger eine Fleißarbeit im Sinne einer Aufzählung jüdischer Protagonisten der Popkultur – die auch wenig sinnvoll wäre, gerade weil sie von den Anfängen des Hollywoodkinos über Punk und die amerikanische Gegenwartsliteratur bis hin zu Amy Winehouse so ergiebig wäre –, als vielmehr eine Suche nach Künstlern, die in ihrem Werk diese »subversive Lust« formuliert haben, neue Wege des Umgangs mit Fragen jüdischer Identität zu finden. Das Spektrum reicht dabei von Musikern wie Leonard Cohen oder Lou Reed für die Siebziger bis zu Matisyahu, SoCalled oder Chutzpah für die Gegenwart, es geht um Regisseure wie Woody Allen, Mel Brooks und die Coen-Brüder oder um Serien wie »Seinfeld« und »South Park« bis hin zu Comedians wie Lenny Bruce und Sarah Silverman. Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit »Figuren des Jüdischen in Deutschland« und der hierzulande weit verbreiteten Furcht, die bekannten Repräsentanten der Popkultur auch als Repräsentanten des Judentums wahrzunehmen.
Im Mittelpunkt des Essays stehen die unterirdischen Verbindungen zwischen der jüdischen Popkultur nicht als »abgeschlossener Zustand mit einem essentiellen und zeitlich fixierten Kern, sondern als ständig sich neu vergegenwärtigender Versuch, die Kategorien von Identität zu hinterfragen und neu zu fassen«, und der jüdischen Tradition, die sich immer zwischen den Polen der möglichst genauen Überlieferung und der Erneuerung von Traditionen durch Interpretationen bewegt. Egal, ob Lenny Kaye sich aufgrund seiner in der »Nuggets«-Compilation dokumentierten Suche nach Prä-Punk-Garagen-Rock als »Gelehrten des Rock’n’Roll-Talmud« bezeichnet, die New Yorker Fugs in einem ihrer bekanntesten Songs, »Nothing«, angelehnt an die Melodie eines alten jüdischen Volkslieds die Leere des Lebens ironisch besingen oder die Coen-Brüder »A Serious Man«, ihren Film über jüdisch-amerikanisches Leben in den späten Sechzigern, mit dem Auftritt eines Dibbuk beginnen lassen, immer wieder finden sich solche Umformungen und Aktualisierungen jüdischer Kulturgeschichte in popkulturellen Erzeugnissen.
In seinem ersten Kapitel arbeitet Caspar Battegay am Beispiel Leonard Cohens heraus, wie dieser in seinen Texten nicht nur verschiedene Figuren des Jüdischen vorführt, sondern auch darüber reflektiert, wie Identität gebildet wird, was in der europäischen Rezeption, die sein Werk meist auf eine Meditation über Erotik und Paarbeziehungen reduziert, schlicht nicht wahrgenommen wurde und wird. In seinem Spiel mit jüdischen Stereotypen und populären Bildern des Jüdischen, mit Unsicherheiten und Ambivalenzen, die er nicht auflöst, unterläuft Cohen, so Battegay, die »folgenschwere Polarität, die immer noch unsere Vorstellungen von Kultur und kultureller Identität prägt«.
Wesentlich radikaler und expliziter ging der »Pate des Punk«, Lenny Bruce (dessen Tochter Kitty Ende der Siebziger Mitglied der Punkband The Great MustAche war), in seinen Programmen vor. Er lehnte einerseits jegliche ethnischen oder religiösen Identifizierungen ab und beschäftigte sich andererseits obsessiv mit religiösen und theologischen Fragen, die vom jüdischen Teil seines Publikums schnell als seine eigenen verstanden wurden, was wahrscheinlich auch der Grund dafür ist, dass Bruce in Europa nie so populär wurde wie in Amerika, wo viele seiner Sketche zum Kulturgut gehören. Bruces Radikalität setzt Battegay als einen geheimen, unerreichten Bezugspunkt »für alle weiteren Figuren des Jüdischen in der Popkultur«, auf dessen Form der selbstbewussten und selbstironischen Repräsentation sich so unterschiedliche Künstler wie Mel Brooks, Sarah Silverman, Adam Sandler oder Woody Allen bis heute berufen. Und auch von Jonathan Kesselmans in Deutschland weitgehend unbekanntem Film »The Hebrew Hammer« von 2003 dürften sich Verbindungen zu Lenny Bruce ziehen lassen. In dieser jüdischen Parodie des Blaxploitation-Films »Shaft« muss der »Hebrew Hammer« Mordechai Jefferson Carver – »Part Man. Part Steel. 100 % Kosher« – verhindern, dass der antisemitische Sohn des Weihnachtsmanns Chanukka vernichtet. In diesem Kampf wird der Hebrew Hammer von seiner späteren Ehefrau Esther Blumenbergensteinenthal sowie seinem afroamerikanischen Freund Mohammed Ali Paula Abdul Rahim unterstützt. Nicht nur über die Namensgebung Mordechai und Esther, eine Anspielung auf das Buch Ester, das die Rettung der Juden und deren Rache beschreibt, werden jüdische Rachephantasien angedeutet, sie sind auch explizit Inhalt des Films, wenn beispielsweise der Hebrew Hammer in einer Nazi-Kneipe den Kiddusch-Wein Manishewitz bestellt, um anschließend alle Anwesenden mit den Worten »Shabbat Shalom motherfuckers« niederzuschießen.
Gerade an den Fiktionen jüdischer Rache deutet sich das Scheitern des deutschen Umgangs mit jüdischer Popkultur an, wie Battegay an der Rezeption von »Schindlers Liste« und »Inglorious Basterds« zeigt. Während Spielbergs Film eine kathartische Funktion erfüllt hat, obwohl oder gerade weil der Film »eine Instrumentalisierung von Geschichte, nicht ihre Dokumentation, und schon gar nicht ihre Erklärung« darstellt, wurde Tarantinos Arbeit etwa von Jens Jessen in der Zeit vorgeworfen, er verhöhne deutsche Überläufer und missbrauche das »Schicksal der Juden« für cineastische Scherze. Battegay hält Jessen entgegen: »In Wahrheit geht es dem Zeit-Feuilletonisten darum, dass er als Repräsentant des guten Deutschlands von dem Film ebenfalls zum Tode verurteilt wird, und sei es nur virtuell. Sein Unbehagen am vermeintlichen Missbrauch des jüdischen ›Schicksals‹ ist in Wahrheit fehlende Selbstironie, und vielleicht noch tiefer eine Angst davor, dass in dem Film Juden gezeigt werden, die ganz gut ihr eigenes Schicksal bestimmen können und die zwischen bösen Nazideutschen und nicht so bösen Widerstandsdeutschen keinen Unterschied machen, dass hier aus amerikanischer Sicht lustvoll ein ›Deutscher‹ und ein ›Deutschland‹ konstruiert wird, die es so nie gegeben hat.«
Das Unbehagen in Deutschland gegenüber selbstbewusst auftretenden jüdischen Figuren wird in Filmen wie »Alles auf Zucker« oder der Tatort-Folge »Das Geheimnis des Golem« überspielt. Hier wird eine Normalität inszeniert, die nichts anderes kennt als jüdische Stereotype. Bis zur Übertragung einer Gestaltung des Nichtauthentischen, der Erkenntnis von Entfremdung als Chance, wie es Diedrich Diederichsen 1985 für den Punk formuliert hat, auf das subversive Spiel mit Formen der jüdischen Identität ist es in Deutschland noch ein weiter Weg. »I belong to the blank generation and / I can take it or leave it each time / I belong to the generation / but I can take it or leave it each time«, hat der jüdische Musiker und Autor Richard Hell 1977 formuliert und in einem Interview dazu erklärt: »Wann immer irgendwas durchanalysiert wurde, war’s mir egal. Genau darum ging es in dem Song ›Blank Generation‹. Ich würde immer die gegenteilige Position der Person einnehmen, die das zu analysieren versuchte, also räumte ich absichtlich so viel Freiheit wie möglich ein: ›Ich gehöre zur …-Generation.‹ Alle denken, das sei leer. Wie kann man so etwas fehlinterpretieren? Alles, was man denkt, ist korrekt.« Diese Freiheit im Denken, die Identitätszuschreibungen hinter sich lässt, fordert die jüdische Popkultur. Battegay hofft, mit seinem Buch eine solche Öffnung der Judaistik hin zu einer Auseinandersetzung mit der popkulturellen Gegenwart des Judentums anzustoßen, ohne dabei die Shoa aus dem Blick zu verlieren. Drücken wir ihm die Daumen, und: »Shabbat Shalom, Motherfuckers!«

Caspar Battegay: Judentum und Popkultur. Ein Essay. Transcript-Verlag, Bielefeld 2012, 151 Seiten, 19,80 Euro