Ein Buch über die Fotografien von Karl Hubbuch

Finde deine Pose

Bekannt wurde er als Maler der Neuen Sachlichkeit. Ein Bildband stellt das fotografische Werk Karl Hubbuchs vor.

Siegfried Kracauer schreibt über die Porträtfotografie, sie sei noch bis in die zwanziger Jahre völlig humorlos gewesen: Man könne eher über sie lachen, als dass auf ihr gelacht werde. Man sieht ernste Gesichter und steife Posen in wenigen Variationen. Auch Perspektive und Bildausschnitt folgen strengen Konventionen. Das fotografische Gerät war zunächst vergleichsweise schwer und unbeweglich, die Belichtungszeiten waren lang. Die handliche Kleinbildkamera gibt es erst seit 1924. Allerdings kommt in diesen alten Aufnahmen auch eine bestimmte Haltung gegenüber dem Medium zum Ausdruck. Die Porträtfotografie stand in der Tradition der Porträtmalerei und diente vornehmlich der Repräsentation. Die Fotografie war noch nicht demokratisiert, und so erschien der Fotograf, dessen Studio man für eine Aufnahme aufsuchte, wie ein Magier, der das eigene Abbild auf Papier zu bannen verstand. Er war die Autorität, vor der man so erscheinen wollte, wie man sich selbst gerne sah. Der Fotograf war es, der über die Fähigkeit verfügte, den Apparat zu bedienen, der das Selbstbild Schwarz auf Weiß dokumentierte.
Die Fotografien des Künstlers Karl Hubbuch haben mit der Bestätigung solcher Selbstbilder nichts zu tun: In einer Serie selbst geschossener Aufnahmen sehen wir ihn und seine Frau Hilde vor einem Spiegel. Auf einem Tisch steht eine Rollfilm-Mittelformatkamera, das Kabel mit dem Auslöser hält der Fotograf unauffällig in seiner Hand. Beide wirken zerzaust, sie steht in Unterwäsche da, er im Pyjama. Er streckt triumphierend ein Nudelholz in die Luft, sie hält den Haartrockner, als sei er eine Knarre. Beide schneiden wilde Grimassen. Die Reihe ist 1927 in Hubbuchs Atelier entstandenen. Sie ist Teil eines Konvoluts von Fotos und Negativen, das erst vor wenigen Jahren aufgetaucht ist.
Von Hubbuchs fotografischem Werk ist heute nur noch ein kleiner Teil erhalten. Er fotografierte für den privaten Gebrauch. Die Fotos, die sich heute im Bestand des Münchner Stadtmuseums und der Städtischen Galerie Karlsruhe befinden, stammen aus Privatbesitz. Das Stadtmuseum präsentiert nun die zwischen 1925 und 1935 entstandenen fotografischen Arbeiten im Band »Karl Hubbuch und das Neue Sehen«. Hubbuch fotografierte nur wenige Jahre. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor er seine Anstellung als Zeichenlehrer an der Badischen Landeskunstschule in Karlsruhe und erhielt Berufsverbot. Er litt fortan unter Depressionen und rührte die Kamera nicht mehr an.
Karl Hubbuch ist bislang vor allem als Maler der Neuen Sachlichkeit bekannt. Er hatte 1925 an Gustav Hartlaubs programmatischer Ausstellung »Deutsche Malerei seit dem Expressionismus« teilgenommen und dort sein Ölgemälde »Die Schulstube« gezeigt. Dargestellt ist ein lichtdurchfluteter Raum mit Holzbänken, auf denen aufgereiht die Schüler sitzen. Die Malerei ist realistisch, die Farben sind klar und flächig, die Kontraste zwischen Licht und Schatten hart. Die Maler der Neuen Sachlichkeit, neben Hubbuch auch George Grosz, Otto Dix und Rudolf Schlichter, wandten sich gegen die Weltflucht des Expressionismus. Sie widmeten sich nicht nur der Moderne und der Großstadt, sondern den technischen Innovationen sowie den gesellschaftlichen und politischen Veränderungen.
Auf diesem Wege etablierte sich die Fotografie allmählich als künstlerische Ausdrucksform. Reformierte Schulen für Kunst und Kunstgewerbe, wie die Burg Giebischenstein in Halle oder das Bauhaus in Dessau, unterrichteten Fotografie. László Moholy-Nagy veröffentlichte sein Manifest »Malerei Fotografie Film«. Unter seiner Leitung wurde auf der Zeitungsmesse »Pressa« in Köln 1928 sowjetische Fotografie gezeigt. Darin wird das Zusammenspiel von gesellschaftlichem und technischem Fortschritt sichtbar.
In diesem Zusammenhang entstand in der Fotografie die Bewegung des »Neuen Sehens«, die mit ungewöhnlichen Perspektiven, harten Kontrasten, befremdlichem Bildaufbau und angeschnittenen Motiven arbeitete. Man begann sich für das Leben in der Öffentlichkeit, die Straße mit ihren Demonstrationen, die Armut in den Hinterhöfen, das Nachtleben in den Bars und Varietés zu interessieren. Studiofotografie erschien der sich verändernden Gesellschaft nicht mehr angemessen.
»Nur mit diesen neuen Ausdrucks-und Gestaltungselementen lassen sich die zunehmend komplexen und unüberschaubaren Erscheinungen der modernen Welt noch darstellen – und die Fotografie ist dafür das adäquate Mittel«, schreibt Karin Koschkar im Begleitwort des Bands.
Wichtige Charakteristika des »Neuen Sehens« lassen sich bereits in Hubbuchs Gemälden finden. Die »Schulstube« bekommt durch den schrägen Unterblick und die diagonale Struktur etwas Dynamisches. Das übergroße Fenster gibt den Blick auf die Häuserzeilen frei.
Eine große Rolle bei Hubbuch spielt auch das Motiv der Serie und der Bewegung, das für die animierte fotografische Aufnahme im Film charakteristisch ist. Das Bild »Drillinge« von 1929 zeigt einen Frauenakt aus drei unterschiedlichen Perspektiven. Die Fotomontage »Zweimal Hilde« aus demselben Jahr zeigt seine Frau in verschiedenen Posen und Kostümen. Die meisten Aufnahmen von Hubbuch sind Porträts junger Frauen und Straßenbilder.
Marianne Beffert zum Beispiel. Eine sportliche junge Frau mit modischem Kurzhaarschnitt, die den Typus der selbstbewussten »Neuen Frau« repräsentiert. Die Posen, die sie beim Ringtennis, im Schwimmbad und beim Sonnenbaden auf dem Balkon einnimmt, sind ihr nicht äußerlich. Es scheint so, als habe sie sie eingenommen, weil ihr danach war. Ellen Auerbach, die später selbst Fotografin wurde, übt sich in zur Schau gestellter Langeweile. Die Pose erscheint meist als etwas Selbstgewähltes. Spürbar ist die Freude am Rollenspiel. Das zeigen auch die Porträts, die Hilde Hubbuch von ihrem Mann gemacht hat. Auch sie sind Teil des aufgefundenen Konvoluts.
Gerne zeigt Hubbuch sich als grobschlächtiger bäuerlicher Typ, der Knüppel schwingt und mit zerknautschtem Gesicht in die Kamera blickt. Einmal hat er sich eine Glaskugel vors Auge geklemmt. Häufig inszenieren sich die Eheleute gemeinsam vor dem Spiegel.
Die Straßenaufnahmen, die Hubbuch hauptsächlich in Karlsruhe, Trier und Paris gemacht hat, entsprechen in ihrer dokumentarischen Art ganz dem zeitgenössischen Fotojournalismus. Die Motive sind beiläufig, ganz alltäglich. Es gibt Aufnahmen von Straßenbahnen, die die Stadt durchqueren, alte Blumenhändlerinnen hinter ihren Ständen, Frauen mit Kindern, die sich angeregt vor einer Litfasssäule unterhalten, Karnevalsaufzüge, als Clowns verkleidete Kinder, die sich für den Fotografen aufgestellt haben und Grimassen schneiden. Der Straßenfotograf Karl Hubbuch verstand sich nicht als objektive Instanz, auch nicht als unabhängiger Beobachter. Die Jungs im Schwimmbad stellen für die Kamera ihr Können unter Beweis.
Auf anderen Bildern sind kleine Kinder zu sehen, die riesige Hakenkreuzfahnen schwenken. Sie erblicken erfreut den Mann mit der Kamera und zeigen ihm, dass sie mit den großen Fahnen zurechtkommen. Auch diese Bilder haben eine alltägliche Beiläufigkeit, die heute erschreckt.

Ulrich Pohlmann/Karin Koschkar (Hg.): Karl Hubbuch und das Neue Sehen. Photographien, Gemälde, Zeichnungen: Katalog Münchner Stadtmuseum. Schirmer/Mosel, München 2011, 211 Seiten, 49,80 Euro