Nazis in Stolberg mobilisieren gegen »Deutschenfeindlichkeit«

Aufmarsch der Unkrautvernichter

Nazis rufen zu »Trauer- und Protestmärschen« gegen »Deutschenfeindlichkeit« im nordrhein-westfälischen Stolberg auf, wo im Jahr 2008 ein Migrant einen deutschen Jugendlichen erstach. Ein Veranstalter und ein Hauptredner der Naziaufmärsche sitzen jedoch seit zwei Wochen in Untersuchungshaft.

Um »das Gedenken an die Opfer der multikulturellen Gesellschaft« und die »deutschfeindlichen Zustände in diesem System« sorgt sich Axel Reitz. »Aktivisten des volkstreuen Widerstands« ruft er dazu auf, Anfang April an den »Trauer- und Protestmärschen« im nordrhein-westfälischen Stolberg teilzunehmen. Man wolle den öffentlichen Raum nicht »den verhetzenden Parolen aus der linksextremen Giftküche« überlassen, schreibt Reitz in einem Rundbrief, den er am 9. März auf seinem »persönlichen Blog eines nationalen Sozialisten« veröffentlicht hat. Reitz gehört zu den Organisatoren des Aufmarsches.

Vier Tage nach der Veröffentlichung des Rundbriefs musste der Nazi allerdings offline gehen. Polizisten holten den 29jährigen aus dem Bett und nahmen ihn sowie 23 weitere Neonazis fest. Die Personen aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Baden-Württemberg sitzen nun wegen des Vorwurfs der Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, des »Aktionsbüros Mittelrhein« (ABM), in Untersuchungshaft.
Seit 2008 finden die »Trauer- und Protestmärsche« regelmäßig im April in Stolberg nahe Aachen statt. In der Kleinstadt erstach im April 2008 ein damals 18jähriger Migrant im Streit einen 19jährigen Berufsschüler aus der Nachbarstadt Eschweiler. Diese Tat instrumentalisieren die Nazis seither für ihre Propaganda. In diesem Jahr wollen sie am 4. April eine Kundgebung am Tatort und einen »Fackelmarsch« abhalten. Zudem soll am 7. April ein »Großaufmarsch« in der Kleinstadt mit etwa 58 000 Einwohnern stattfinden. Wurde zu den Aufmärschen bisher mit Parolen gegen »kriminelle Ausländer« oder »Ausländerkriminalität« aufgerufen, heißt es 2012: »Trauer und Wut zu Widerstand! Stoppt die Deutschenfeindlichkeit!« Auf einem Flugblatt warnen die Nazis sogar, Teile Stolbergs seien »deutschfeindliches Gebiet« und Deutsche befänden sich dort in Gefahr. Unerwähnt lassen sie dabei, dass die örtliche NPD und Mitglieder der »Kameradschaft Aachener Land« (KAL) über Jahre hinweg in Gaststätten im Viertel Mühle ihre Treffen abhielten, jenem angeblich »deutschfeindlichen Gebiet«, das von vielen Migranten bewohnt wird.

Auch in diesem Jahr ist mit mehreren hundert Nazis aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden in Stolberg zu rechnen. Veranstaltet werden die Aufmärsche vom früheren Vorsitzenden des NPD-Kreisverbandes Düren sowie derzeitigen Mitglied des Kreistages in Düren, Ingo Haller, vom in Untersuchungshaft sitzenden Axel Reitz und von der KAL. Seine Ansichten legte Haller unter anderem in einer Rede im Jahr 2009 in Stolberg dar. Er verglich den »Nationalen Widerstand« mit einem Bauern, der sein Land bestellt. Gelegentlich, sagte Haller, müsse der Bauer »Unkrautvernichter« einsetzen, um »unerwünschte Gäste« zu bekämpfen – selbstverständlich waren Migranten gemeint. Im vergangenen Jahr wetterte der NPD-Funktionär Manfred Breidbach während des Aufmarschs in Stolberg unter anderem gegen »Krawatten tragende Parasiten in den Parlamenten«, den »verkackten Propheten Mohammed« und die »multikulturelle Pest«. Eines Tages, so Breidbach in seiner Rede im April 2011, werde Deutschland »im Glanze brennender Moscheen« erstrahlen.
Zwar leitete die Polizei wegen derartiger Redebeiträge und Parolen Strafverfahren ein, für ein Verbot der Aufmärsche reichte dies indes bislang nicht. Auch die Inhaftierung von Reitz nach der Großrazzia der Staatsanwaltschaft Koblenz dürfte kein Grund für ein Verbot sein. Reitz steht unter dem Verdacht der Bildung oder Unterstützung des ABM. Diese Vereinigung betätigt sich vor allem im Norden von Rheinland-Pfalz und im südlichen Nordrhein-Westfalen und beteiligte sich organisatorisch oder mit Lautsprecherwagen an den Stolberger Aufmärschen.
Enge Verbindungen mit dem ABM dürfte auch Sven Skoda haben. Er trat in Stolberg seit 2008 bei fast jedem der neun Aufmärsche als Redner auf. Auch er wurde wie Reitz am 13. März im Zuge der Razzia in Untersuchungshaft genommen. Angesichts der Verhaftungen spricht Ingo Haller von »Säuberungsaktionen« und fragt sich auf der für den »Trauermarsch« eingerichteten Homepage, ob Deutsche nun das seien, was »früher die Juden waren«.
Da anzunehmen ist, dass die Aufmärsche trotz der Verhaftungen stattfinden, rufen zwei Bündnisse aus der Region Aachen wie schon in den Vorjahren zu Protesten auf. Während das bürgerliche »Stolberger Bündnis gegen Radikalismus« abermals Veranstaltungen in der Innenstadt plant und so den Aufzug der Nazis verhindern will, möchte das antifaschistische »Bündnis gegen den Naziaufmarsch 2012« die Route der Nazis blockieren und dafür sorgen, dass diese nicht allzu weit kommen, sollten sie wie 2011 von einem Außenbezirk bis zur Innenstadt ziehen wollen.

Schon in den vergangenen Jahren hatten Bündnisse zu Blockaden aufgerufen. Da die Polizei aber die Strecke der Nazis immer frühzeitig absperrte, scheiterten solche Versuche. 2011 konnte der »Großaufmarsch« wegen Blockaden, wie etwa der Besetzung des Bahnhofs durch mehrere hundert Nazigegner, erst mit dreieinhalbstündiger Verspätung beginnen. »Wir rufen dazu auf, dass möglichst viele Menschen die Strecke blockieren«, sagt der Sprecher des antifaschistischen Bündnisses, Jens Wegener, angesichts der bevorstehenden Aufmärsche.
Erspart bleibt den Menschen in der Region ­Aachen hingegen ein weiterer Aufzug der Nazis. Diesen hatten Haller und Reitz für den 31. März in Eschweiler angemeldet. An dem Tag sollte dort eigentlich ein Festakt zur Begründung einer Städtepartnerschaft mit dem türkischen Dalaman stattfinden, was die Nazis sicherlich propagandistisch aufgegriffen hätten. Doch wie die Polizei Anfang März meldete, sagten sie ihr Vorhaben wieder ab. Ein »Versammlungs- und Aktionstraining« bot das Bündnis »Eschweiler nazifrei« am vorvergangenen Wochenende aber dennoch an. Schließlich seien die Nazis ein »regionales Problem« und »Solidarität mit der Nachbarstadt« sei wichtig. »Eschweiler nazifrei« hofft nun, dass »möglichst viele Menschen in Stolberg gegen die Nazis demonstrieren«.