Generalstreik in Spanien

Der Dialog ist beendet

Seit Monaten wird in Spanien gegen die Kürzungen im Bildungsbereich und bei der Gesundheitsversorgung demonstriert. Nahezu alle Gewerkschaften rufen für den 29. März zu einem eintägigen Generalstreik auf.

Derzeit sind 5,3 Millionen Menschen in Spanien erwerbslos. Wegen der Sparmaßnahmen haben Marginalisierte wie Migrantinnen und Migranten ohne Papiere oft keinen Zugang mehr zu Gesundheitsversorgung, Bildung oder gar Kultur. Etwa zwei Millionen Haushalte verfügen weder über ein eigenes Einkommen noch über staatliche Zahlungen. Und im öffentlichen Dienst steht die große Entlassungswelle erst noch bevor.
Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy musste kein Wahrsager sein, um bereits vor sechs Wochen einen Generalstreik vorauszusehen. Im Gespräch mit seinem finnischen Amtskollegen Jyrki Katainen verwies er Anfang Februar auf bereits beschlossene Spargesetze: »Jetzt kommt die Arbeitsrechtreform. Die wird mich einen Streik kosten.« Sein Wirtschaftsminister Luis de Guindos erklärte in Brüssel ebenso offenherzig vor laufenden Kameras: »Morgen werden wir die Reform des Arbeitsmarktes beschließen, und die wird extrem aggressiv sein.«
Die Arbeitsrechtsreform sei »einer der schärfsten Angriffe auf das Recht auf Arbeit seit Einführung des Arbeitsstatutes«, urteilt der Verein Richter für die Demokratie. Das Arbeitsstatut gilt seit 1980, es wurde in der Übergangszeit von der Diktatur zur Demokratie ausgehandelt und fiel angesichts der Stärke der Arbeiterbewegung relativ fortschrittlich aus. Viele Rechte wurden den Lohnabhängigen seitdem wieder genommen, aber bislang nur in kleinen Schritten.

Rajoys konservative Volkspartei (PP) nutzt nun die Krise: Branchenweite Tarifverträge sollen nicht mehr verbindlich sein, jede Firma kann mit ihrem Betriebsrat andere Bedingungen aushandeln. Die Probezeit bei Neuverträgen wird auf ein Jahr ausgedehnt. Wenn der Umsatz eines Unternehmens neun Monate lang sinkt, darf es einseitig die Arbeitsverträge nach Gutdünken verändern. Kündigungen werden erleichtert, die Höhe von Abfindungen wird gesenkt und die bisher nötige Zustimmung eines Gerichtes zu Massenentlassungen entfällt. Gewerkschaften und Betriebsräte haben keinerlei Einspruchsrechte.
62 Prozent der Spanierinnen und Spanier lehnen einer Umfrage der Zeitung El País zufolge die Arbeitsrechtsreform ab, nur 24 Prozent der Bevölkerung und knapp die Hälfte der PP-Wählerschaft halten sie für angemessen. Doch die Regierung steht unter starkem Druck der EU, zumal im vergangenen Jahr das Haushaltsdefizit bei 8,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag, obwohl der Fiskalpakt nur drei Prozent erlaubt. Diese Grenze soll Ende 2013 wieder eingehalten werden, in diesem Jahr darf das Haushaltsdefizit 5,3 Prozent nicht überschreiten. Welche Konsequenzen die Vorgaben der EU haben, ist noch unklar. Rajoy will seinen Sparhaushalt für dieses Jahr erst im April offenlegen. Der wird drakonische Einschnitte bei den ohnehin schon gekürzten Ausgaben für Gesundheit, Bildung und den gesamten öffentlichen Dienst beinhalten.
Lehrende, Studierende und Schülerinnen und Schüler gehen bereits seit Monaten immer wieder auf die Straße (Jungle World 9/12). Als die Regierung im Februar ihre Arbeitsmarktreform beschloss, protestierten noch am gleichen Abend Hunderte Indignados. Die Polizei löste die Versammlung mit Schlagstöcken und Tränengas auf und verhaftete viele. Am 19. Februar riefen die großen, staatsnahen Gewerkschaften CCOO und UGT zu Demonstrationen in knapp 60 Städten auf. Die Indignados sowie die staatsfernen Gewerkschaften und die Parteien links des PP schlossen sich ihnen an. Allein in Madrid beteiligten sich eine halbe Million Menschen.
Viele Teilnehmende forderten die großen Gewerkschaften auf, endlich zum Generalstreik aufzurufen. Deren Vorstände zögerten, sie hofften noch, die Arbeitsmarktreform mitgestalten zu können. Aber ihre Briefe an Rajoy blieben unbeantwortet. Die den nationalistischen Bewegungen nahestehenden Gewerkschaften CIG in Galizien sowie ELA und LAB im Baskenland riefen bereits seit Wochen zu einem Generalstreik am 29. März gegen die Sparpolitik und die Arbeitsrechtreform auf. Am 9. März schließlich verkündeten die Gewerksschaftsvorsitzenden der ehemals kommunistischen CCOO und der sozialdemokratischen UGT, Ignacio Fernández Toxo und Cándido Méndez, gemeinsam den Streikaufruf für den 29. März unter dem Motto »Gegen die Arbeitsrechtreform und in Verteidigung der öffentlichen Dienste«.

»Es gibt keinen Schritt zurück«, sagte Alfonso Alonso, der Sprecher der PP-Parlamentsfraktion. Da der PP mit absoluter Mehrheit regiert und überdies von der konservativen katalanisch-nationalistischen CiU unterstützt wird, ist die Arbeitsrechtsreform ohne Änderung in Kraft getreten. Die ersten Auswirkungen sind schon zu spüren, insbesondere unter Staatsangestellten. Denn die Regierung will 27 der 142 von der Zentralregierung kontrollierten staatlichen Betriebe schließen, Dutzende weitere Staatsunternehmen sollen ganz oder teilweise privatisiert werden.
Der rigorose Abbau von Arbeitsrechten, die Deregulierungspolitik und der Abbau des Sozialstaates werden sich mit einem eintägigen Streik nicht stoppen lassen, das wissen auch die Gewerkschaftsvorstände von CCOO und UGT, die sich als Verhandlungspartner der Regierung wieder ins Gespräch bringen wollen. Auch deshalb kritisieren die staatsfernen, anarchosyndikalistischen Gewerkschaften CNT, CGT und SO nicht nur die ­Regierung, sondern auch die Inkonsequenz von CCOO und UGT, die noch im Januar einem »Sozialpakt« zugestimmt haben, der Ausnahmen von den branchenweiten Tarifverträgen und Erleichterungen bei Kündigungen vorsah – allerdings nur mit Zustimmung der Gewerkschaften. Die radikalen Gewerkschaften propagieren eine »Zurückweisung« der staatlichen Wirtschaftspolitik auf allen Ebenen und wenden sich gegen »die Arbeitsrechtsreform, den Sozialpakt und den Rest der antisozialen Gesetze«.