Caroline Fourest im Gespräch über die Linke und den Antirassismus in Frankreich

»Die französische Linke ist nicht mehr so verwirrt«

Die französische Feministin und Antirassistin Caroline Fourest ist eine umstrittene Intellektuelle. In der antirassistischen Debatte in Frankreich hat sie stets den linken Multikulturalismus kritisiert und den Säkularismus verteidigt. Von vielen Seiten wurde ihr Rassismus vorgeworfen. Mit der Jungle World sprach sie über die Folgen der Attentate von Toulouse und darüber, was die antirassistische Linke in Frankreich von der Debatte nach 9/11 gelernt hat.

Glauben Sie, dass sich der Wahlkampf nach den Attentaten von Toulouse und Montauban nur noch um Terror, innere Sicherheit und »den Islam« drehen wird?
Ich glaube nicht, dass eine solche Verschiebung stattfinden wird. Diese Themen wurden in den vergangenen Jahren sehr oft diskutiert. In diesem Jahr konzentrierte sich der Wahlkampf, zumindest bis jetzt, auf ein Thema: die soziale Lage und die Wirtschaftskrise. In den kommenden Tagen müssen wir uns vermutlich darauf einstellen, dass die politische Debatte über die Bedeutung und die Folgen dieses Dramas in den Vordergrund rücken wird. Das ist ja auch wichtig.
Trotzdem diskutiert derzeit nicht nur die Linke darüber, ob der Front National politisch von der Situation nach den Morden profitieren könnte. In Le Monde vergangene Woche war zu lesen, Marine Le Pen habe an Glaubwürdigkeit gewonnen, da sie immer den angeblichen laxisme, also die Laxheit des französischen Staates gegenüber dem radikalen Islamismus, angeprangert habe.
Glaubwürdigkeit? Ich wäre damit vorsichtig. Sicher ist, dass es sich genau um das Thema handelt, bei dem sie am meisten punkten kann. In der politischen Auseinandersetzung über wirtschaftliche Fragen ist sie schwach, wenn es um Muslime, den Islam und identitäre Fragen geht, ist sie stark. Deshalb wird sie versuchen, so lange wie möglich bei diesem Thema zu bleiben. Aber die Franzosinnen und Franzosen sind nicht dumm. Kurz nach dem Anschlag vor der jüdischen Schule in Toulouse, als noch davon die Rede war, der Täter sei ein Rechtsextremist, warnte Marine Le Pen davor, diese Tragödie zu instrumentalisieren. Als ihr klar wurde, dass der ­Attentäter nicht aus den Reihen der Gleichgesinnten stammte, sondern zu den »Feinden« ­gehörte, schwenkte sie um. Sie ist jetzt diejenige, die versucht, die Ereignisse zu instrumentali­sieren. Dieser Widerspruch ist mehr Bürgerinnen und Bürgern bewusst, als viele Medien vielleicht vermuten. Ich hoffe, ich irre mich nicht, aber ich bin nicht der Meinung, dass die Leute es ihr abnehmen werden.
Wie schätzen Sie die Reaktionen der Linken ein?
Vor einigen Jahren hätte man erwarten können, dass die Linke nach einem islamistischen Anschlag reflexartig erst vor »Islamophobie« warnt, bevor sie sich mit den Motiven des Täters befasst und mit den Opfern solidarisiert. Aber heute befinden wir uns in einer anderen Situation als vor zehn Jahren. Ich würde sagen, wir haben die Post-9/11-Ära hinter uns gelassen. Nach 2001 galt für die Linke in Frankreich sowie in anderen europäischen Ländern die Kritik am religiösen Fanatismus per se als rassistisch, später wurde der Begriff »Islamophobie« dafür verwendet.
Ich meine, dass die heftigen Debatten aus dem vergangenen Jahrzehnt, in denen ich eine Protagonistin gewesen bin, etwas gebracht haben. Dogmen wurden in Frage gestellt und Tabus wurden gebrochen. Ich rede jetzt von der institutionellen Linken, dem Parti Socialiste und dem Front de Gauche von Jean-Luc Mélenchon, die ein Spiegelbild des linksliberalen common sense darstellen.
Aber auch in der radikalen Linken fanden in den vergangenen Jahren Debatten statt, die dazu beigetragen haben, die Kritik am religiösen Fundamentalismus sowie an bestimmten ideologischen Tendenzen – etwa den Kommunitarismus oder die Reislamisierung innerhalb der Communities in europäischen Ländern – von der Ablehnung von Muslimen als Individuen und von deren Diskriminierung als soziale Gruppe zu trennen. Der Säkularismus hat an Bedeutung gewonnen. Die Linke ist nicht mehr so verwirrt über diese Themen, wie sie es vor der Debatte nach 9/11 war. Das hat man den politischen Auseinandersetzungen des vergangenen Jahrzehnts zu verdanken.
Sie meinen, wer Islamismus, Kommunitarismus und reaktionäre Tendenzen im muslimischen Umfeld kritisiert, wird nicht mehr automatisch als Rassist beschimpft?
Ich will nicht sagen, dass diese stramm antiimperialistische Linke, die in anderen europäischen Ländern, etwa Spanien, Italien oder Griechenland, ziemlich stark ist, in Frankreich verschwunden ist. Ihre Position ist aber minoritär.
Vor einigen Tagen wurden Sie von Vertretern genau dieser Position mit dem sogenannten Preis »Y’a bon Award« ausgezeichnet. Dieser wird von der Gruppe Les Indivisibles verliehen, die so auf ironische Weise angeblich rassistische Äußerungen von Prominenten prämiert. Is das das andere Gesicht des französischen Antirassismus?
Die Gruppe Les Indivisibles hasst mich und andere Intellektuelle, die dazu beigetragen haben, dass die Linke in Frankreich über Säkularismus diskutiert, mit dem Ziel, einen bewußteren Antirassismus entstehen zu lassen. Was kann ich zu diesem Preis sagen? Übrigens sind diese sogenannten Antirassisten nicht die einzigen, die Preise verleihen. Für den im Dezember ausgestrahlten Film von Fiammetta Venner und mir über Marine Le Pen wollte mich die rechtsextreme Gruppe Riposte Laïque mit einem »Goebbels-Preis der Desinformation« auszeichnen. Diese Vereinigung propagiert antimuslimischen Rassismus der übelsten Sorte. Wie Sie sehen, wahre ich da eine Balance, von allen Seiten kommen Kritik und Diffamierung. Das sind aber Ausnahmen. Die Leute, die meine Texte und meine Bücher kennen, wissen, was ich bin: eine Feministin, eine Antirassistin und eine Säkularistin.
Sie haben immerhin die Absicht erklärt, die Mitglieder der Jury des »Y’a bon Award« zu verklagen. Halten Sie solche Gruppen, obwohl sie minoritär sind, trotzdem für gefährlich?
Sie sind zwar eine Minderheit, aber sie sind sehr gut organisiert und vernetzt. Sie betreiben eine Antidiskriminierungspolitik nach dem US-amerikanischen Modell, das nach ethnischen Katego­rien funktioniert. Der Antirassismus, den ich vertrete, lehnt solche Katagorien ab. Ich gehöre zu einer Linken, deren wichtigsten Bezug nicht die Geschichte des Kolonialismus ist, sondern der Antifaschismus und der Antitotalitarismus.
Die Präsidentin von Les Indivisibles, Rokhaya Diallo, hat nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo im November ein Manifest gegen die Solidarität mit dem Magazin unterzeichnet, bei dem ich übrigens vor einigen Jahren gearbeitet habe. Lanciert hatte das Manifest eine Gruppe, die sich Indigènes de la République nennt, Unterzeichner waren unter anderem anderen Pro-Hamas-Organisationen, pro-islamis­tische Gruppen und Befürworter der Burka. Es handelt sich um eine Linke, die den Anschluss verloren hat und kaum repräsentativ ist. Ein weiteres Beispiel war die radikale linke Partei NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste) von Philippe Poutou, die bei den Regionalwahlen 2010 ihren linken Antirassismus dadurch unterstreichen wollte, dass sie eine verschleierte Kandidatin, Ilham Moussaïd, in ihren Listen aufnahm. Das kam bei den meisten linken Wählerinnen und Wählern gar nicht gut an.
Ethnische und kulturelle Differenzen scheinen für linke Multikulturalisten wie für rechte Ethnopluralisten eine wichtige Rolle zu spielen. In einem Artikel in Le Monde haben Sie geschrieben, Sie unterstützen den Vorschlag des sozialistischen Kandidaten François Hollande, das Wort »Rasse« aus der französischen Verfassung zu streichen. Würde ein solcher Schritt wirklich zur Durchsetzung universalistischer Werte beitragen?
Es ist für mich der einzige Weg, ein Modell von Antirassismus zu etablieren, welches ethnischen Essentialismus ohne Wenn und Aber ablehnt und mit allen Mitteln bekämpft. Es ist klar, dass man Rassismus nicht beseitigen kann, indem man ein Wort streicht. Aber es geht darum, die Vorurteile zu bekämpfen, die Diskriminierung ­legitimieren. Und wir wissen, der Kampf beginnt im Kopf, muss aber auch von den Institutionen getragen werden.
Sehen Sie, das antirassistische Modell, das ich mir wünsche, ist eines, in dem die Betonung auf die Gleichheit der Individuen und nicht auf Dif­ferenzen liegt. Letzteres ist das, was Nicolas Sarkozy in Frankreich durchsetzen möchte, und das ist auch der Grund, warum er den Vorschlag von François Hollande als lächerlich bezeichnete. Dieses Modell wird auch von linken Differentialisten befürwortet. Es ist ein Modell von Antidiskriminierungspolitik, das in den USA Tradition hat, bei dem die Arbeit in Communities, posi­tive Diskriminierung und grundsätzlich ethnische Kategorien eine zentrale Rolle spielen. Diese gibt es in den USA aufgrund von deren Geschichte bereits, in Frankreich müsste man sie dagegen erst schaffen, sowohl auf juristischer Ebene wie im gesellschaftlichen Diskurs. Wenn sich ein solches Modell durchsetzen würde, wäre das keine positive Entwicklung, sondern ein Schritt ­zurück. Sehr wichtig für die Antidiskriminierungspolitik, die ich mir wünsche, ist auch der Kampf gegen soziale Ungerechtigkeiten, denn sie sind die größten Herausforderungen unserer Zeit.