Westerwelle in Saudi-Arabien

Unser Mann in Riad

Nicht nur Guido Westerwelle weiß: Saudi-Arabien ist ein »ganz wichtiger Partner« für Deutschland. Denn das Regime sorgt dafür, dass der Aufruhr der Proletarisierten in den arabischen Ländern nicht den deutschen Verwertungsinteressen schadet.

Bevor im vergangenen Jahr die Revolten in der arabischen Region begannen, ließen sich einige gute Gründe anführen, warum soziale Aufstände im Nahen Osten ihren Anfang auch in Saudi-Arabien nehmen könnten. Das islamistische Regime schien immer weniger in der Lage zu sein, ein System aufrecht zu erhalten, in dem die autoritäre Reglementierung aller Lebensbereiche durch großzügige Kompensationszahlungen in Form staat­licher Subventionen ausgeglichen wurde. Die Zahl der Einwohner des Landes stieg stetig, wobei vor allem der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung immer größer wurde. Zugleich stagnierte die Wirtschaftsleistung, das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen sank.

Die Geschichte nahm bekanntlich einen anderen Verlauf. Zwar kam es auch in Saudi-Arabien zu einigen Protesten, doch das despotische Königreich erwies sich immer noch als fähig, diese mit der bewährten Kombination aus Repression und Alimentierung niederzuhalten. Nach wie vor ist die Dynastie eine wichtige regionale Ordnungsmacht, zu deren zentralen Aufgaben es gehört, zu verhindern, dass gesellschaftliche Unruhen ein unkontrollierbares Ausmaß annehmen.
Auch der deutsche Staat weiß um diese Bedeutung und baut daher seine »sicherheitspolitische« Kooperation mit der saudischen Regierung weiter aus. Anfang März wurde dank einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion zur »Änderung des Luftverkehrsgesetzes zum Drohneneinsatz« publik, dass die Bundesregierung deutsche Soldaten als Ausbilder in der Schulung zum Umgang mit Drohnen nach Saudi-Arabien entsandt hat. Der Rüstungskonzern EMT aus Penzberg – sein Werbeslogan: »Die richtige Lösung für Allwetteraufklärung und Überwachung rund um die Uhr« – hatte mit dem Land im Jahr 2010 einen Vertrag über die Lieferung von Drohnen des Typs »Luftgestützte unbemannte Nahaufklärungsausstattung« (Luna) abgeschlossen, die dem Militär zur »Lage-, Ziel- und Wirkungsaufklärung« dienen sollen. Die Vereinbarung beinhaltete auch die Verpflichtung zur Ausbildung an dem militärischen Gerät, wozu sich das Bundesverteidigungsministerium bereit erklärte. Bereits im Dezember 2010 schloss es eine entsprechende Vereinbarung zur »Ausbildungsunterstützung« mit EMT, wie nun erst öffentlich wurde.
Der parlamentarische Staatssekretär des Bundesverteidigungsministeriums, Christian Schmidt, sagte in diesem Zusammenhang, dass etwa 20 Soldaten der Royal Saudi Landforces von Angehörigen des deutschen Militärs ausgebildet worden seien. Zudem musste die Bundesregierung zugeben, dass das saudische Militär die Drohnen »zu Aufklärungszwecken im Rahmen der Grenzsicherung einsetzt«. Es wurden Übungsflüge »im grenznahen Bereich zum Jemen« durchgeführt, also nahe der Grenze zu einem Land, in dem islamistische Rackets ihr Unwesen treiben und eine drohende Hungersnot eine weitere Eskalation der sozialen Konflikte befürchten lässt.
Auch hier setzt sich die enge deutsch-saudische Kooperation fort, sowohl in politischer wie ökonomischer Hinsicht. Cassidian, ein Tochterunternehmen des Rüstungskonzerns EADS, lieferte dem saudischen Staat das Grenzsicherungssystem, die Ausbildung übernahm in diesem Fall die Bundespolizei. 2009 wurden zu diesem Zweck 77 Beamte nach Saudi-Arabien entsandt, deren Aufgabe darin bestand, saudische Sicherheitskräfte auszubilden. Für diese Maßnahme richtete die Bundespolizei ein Projektbüro in Riad sowie zwei Außenstellen in der Nähe der Grenze ein. Zudem ist ein ständiger Verbindungsmann des Bundeskriminalamtes (BKA) in Riad stationiert.

Das ist skandalös, für die Verantwortlichen aber letztlich nichts anderes als »business as usual«. Die Repressionsapparate beider Länder können auf eine etwa 50jährige Zusammenarbeit zurückblicken. Schon in den sechziger Jahren unterstützte der BND maßgeblich den Aufbau des saudischen Geheimdienstes. Verändert hat sich freilich der historisch-soziale Zusammenhang. Ging es Deutschland vor 1989 noch darum, mit Hilfe des islamistischen Regimes in Riad die Verbreitung des staatskapitalistischen Entwicklungsmodells sowjetischer Prägung etwa in Afghanistan zu begrenzen, so besteht heutzutage das vorrangige Interesse darin, das Regime als Kontrollinstrument gegen die mögliche Renitenz der Proletarisierten in der arabischen Region zu stärken.
Vor allem die Sicherung der Verwertungsbedingungen für das deutsche Kapital liegt der deutschen Regierung am Herzen. So betrug der Umfang des Warenaustauschs mit Saudi-Arabien 2010 etwa 6,4 Milliarden Euro und übertrifft mittlerweile den des Handels mit dem Iran. In ähn­lichen und zum Teil noch größeren Dimensionen bewegt sich der Warenhandel mit den benachbarten Emiraten und Scheichtümern am Persischen Golf. Die Ankündigungen Saudi-Arabiens, die Einnahmen aus dem Ölgeschäft in umfangreiche Modernisierungs- und Industrialisierungsprojekte zu investieren, wie etwa die Errichtung der Retortenmetropole King Abdullah Economic City am Roten Meer, eröffnen weitere Möglichkeiten der Wertschöpfung auf der Arabischen Halbinsel.
Saudi-Arabien ist dabei für Deutschland als Ordnungsfaktor von Bedeutung, der die Gewähr dafür leistet, dass die sozialen Kämpfe in der Re­gion nicht die bestehenden Produktions- und Ausbeutungsverhältnisse in Frage stellen. Dabei bedient sich das Regime aber keineswegs nur der Repression, wie zum Beispiel im Frühjahr 2011, als es seinem Bundesgenossen Bahrain zur Seite stand und half, den dortigen Aufstand niederzuschlagen. Seinen Beitrag zur Stabilisierung der bestehenden Verhältnisse leistet es auch durch umfangreiche Kapitalinvestitionen, welche die gesellschaftlichen Umbrüche produktiv in die Bahnen der kapitalistischen Verwertung lenken sollen. Meldungen der bundeseigenen Wirtschaftsagentur Germany Trade and Invest zufolge stellten der saudische Staat und diverse saudische Unternehmen, Fonds und Banken bereits im vergangenen Sommer Ägypten Kredite und Investitionen von mehreren Milliarden US-Dollar in Aussicht. Diese sollen unter anderem der Finanzierung von groß angelegten Infrastrukturprojekten, beispielsweise dem Bau von Elektrizitätswerken, sowie der Förderung der Privatwirtschaft dienen. Die sehr wahrscheinliche Beteiligung von Islamisten an einer zukünftigen ägyptischen Zivilregierung dürfte den ehrgeizigen saudischen Plänen nicht zum Nachteil gereichen.

Deutschland ergreift derzeit ebenso außenpolitische Maßnahmen, welche die Auswirkungen der arabischen Revolten mit dem normalen Gang der Kapitalakkumulation in Einklang bringen sollen. Ende Februar kündigte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) an, es sei geplant, sogenannte Transformationsteams nach Ägypten und Tunesien zu entsenden. Diese sollen sich aus pensionierten deutschen Beamten rekrutieren und den nordafrikanischen Staaten beim »Aufbau einer Wirtschaftsverwaltung« helfen. Im vergangenen Jahr hatte bereits das Bundesentwicklungsministerium im Verbund mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) einen Fonds im Umfang von 52 Millionen Euro eingerichtet, welcher der Finanzierung kleiner und mittelständischer Unternehmen in diesen Ländern dienen soll. Das Auswärtige Amt versprach den Staaten des »Arabischen Frühlings« im Rahmen sogenannter Transformationspartnerschaften für 2012 und 2013 jeweils 50 Millionen Euro finanzielle Unterstützung.
Was den politischen Umgang mit den Auswirkungen der sozialen Revolten in Arabien betrifft, verfolgen die Bundesrepublik und Saudi-Arabien im Wesentlichen die gleiche außenpolitische Strategie: Sie wollen, die politischen Umwälzungen in das alte Spiel der Ausbeutung integrieren – freilich mit neuen politischen Protagonisten. Daher sieht Deutschland in Saudi-Arabien einen »ganz wichtigen Partner«, wie Außenminister Guido Westerwelle (FDP) während eines offiziellen Besuchs in Riad am 11. März verlauten ließ, und tut alles dafür, um sich auch künftig auf diesen verlassen zu können.