Die Debatte um den Falkland-Krieg in Argentinien

Zwei Glatzen und ein Kamm

Vor 30 Jahren begann der Falkland-Krieg zwischen Argentinien und Großbritannien um die gleichnamige Inselgruppe im süd­lichen Atlantik. Der Konflikt hatte weitreichende Konsequenzen für die neuere Geschichte Großbritanniens und beschäftigt Argentinien bis heute.

Womöglich wäre manches in der jüngeren britischen Geschichte anders verlaufen, hätte die argentinische Militärdiktatur im Frühjahr 1982 nicht einen Krieg mit dem einstigen Empire ausgelöst. Drei Jahre zuvor war die konservative Politikerin Margaret Thatcher, die als »Eiserne Lady« in die Geschichte eingehen sollte, an die Macht gelangt. In ihrer bis 1990 währenden Regierungszeit krempelte die biedere Krämerstochter, die bis heute die Meinungen im Land wie niemand anders polarisiert, die britische Gesellschaft radikal um. Ihre »konservative Revolution« – von Stuart Hall einst als »Thatcherismus« bezeichnet – gilt vielen als die entscheidende Voraussetzung für den globalen Siegeszug des »Neoliberalismus«. Doch in jenem Frühjahr war diese epochale Umwälzung noch keineswegs absehbar.

Noch am Vorabend des Falklandkriegs sahen sich Thatchers konservative »Tories« mit katastrophalen Umfragewerten konfrontiert. In ihrer ersten Legislaturperiode war Thatcher zunächst darauf bedacht, die Grundlagen ihrer Reformpolitik zu schaffen. Als Anhängerin des Monetarismus gab sie der Inflationsbekämpfung den Vorrang vor der Vollbeschäftigung, mit der Folge, dass sich die Zahl der britischen Arbeitslosen seit ihrem Amtsantritt fast verdoppelte. Außerdem bereitete sie die Nation auf eine mikroökonomische Wirtschaftspolitik vor, die die Schaffung von Anreizen für Unternehmen als zentrales Steuerungsmoment begriff. Diese Vision der gesellschaftlichen Entsolidarisierung – Thatcher selbst erklärte: »So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht« – traf im sozialstaatlich geprägten Großbritannien auf wenig Gegenliebe.
Als 5 000 argentinische Soldaten am 2. April 1982 die britischen Falkland-Inseln besetzten, bekam Thatcher die Möglichkeit, sich »autoritär-populistisch« (Hall) zu profilieren. Für die schlecht ausgerüstete argentinische Marine endete der 80 Tage dauernde Konflikt im Fiasko, die Junta in Argentinien musste letztlich abdanken. Thatcher, die mit großem Medienecho einen schwer bewaffneten Flottenverband zu den Inseln entsandt hatte, gewann hingegen enorm an Prestige und war bei den Wahlen 1983 erfolgreich. Ausgestattet mit einer überwältigenden Mehrheit im Parlament und bestärkt in ihrer autoritären Linie, konnte ihre Regierung an die konkrete Umsetzung ihrer Reformpläne gehen. Dazu zählten insbesondere die Privatisierung der zahlreichen Staatsunternehmen und die Entmachtung der Gewerkschaften, die Thatcher bereits 1979 als »die britische Krankheit« bezeichnet hatte.
Erst durch den politischen Erfolg im Zuge des Kriegs war es Thatcher möglich geworden, diese Mission in Angriff zu nehmen. Und sie vollzog sie mit derselben Härte und Konsequenz, die sie in ihrer Außenpolitik demonstrierte. Etwa beim Bergarbeiterstreik von 1984/85, der von vielen Beteiligten als »zweiter britischer Bürgerkrieg« bezeichnet wird und den sich die Regierung, die mit neu aufgestellten Polizeieinheiten aufwartete, noch mehr kosten ließ als den Falkland-Krieg. So wie dieser ein Kampf gegen den äußeren Feind sei, handele es sich bei der Bergarbeitergewerkschaft um »den Feind im Inneren«, gab Thatcher zu verstehen. Auch hier gab die Regierung vor, die Nation verteidigen zu müssen, und konnte den Konflikt dann für sich nutzen – am Ende lag die stärkste britische Gewerkschaft am Boden und der Weg für Privatisierungen war frei. Es spricht einiges dafür, dass Thatcher den Streik, in den die Bergarbeiter aufgrund der angekündigten Schließung von Gruben traten, provoziert hatte, um die nächste Phase ihrer Reformpolitik zu ermöglichen. Ähnliches gilt auch für den Falkland-Krieg.

Noch 1981 hatte die Regierung mit dem »British Nationality Act« die damals weniger als 2 000 Falkländer, die sich selbst als »Kelper« bezeichnen und überwiegend von britischen Einwanderern abstammen, zu Staatsbürgern dritter Klasse (»British Oversea Citizens«) degradiert. Dies wie auch die Tatsache, dass der Status der Inseln im Königreich unklar war und sie politisch und wirtschaftlich vernachlässigt wurden, bestärkte das argentinische Militär in der Annahme, dass Großbritannien wenig an den Inseln gelegen sei. Noch wenige Monate vor der Besetzung hatten die Briten eine Invasionsdrohung einfach ignoriert. Auf argentinischer Seite wurde dies als Rückzug gewertet. Dass die argentinische Armee vor ihrer Haustür lediglich 13 000 Soldaten einsetzte, während die Briten 28 000 in das Kampfgebiet entsendeten, mag verdeutlichen, dass Argen­tinien mit solch einer ernsten Reaktion nicht gerechnet hatte.
Nach dem Krieg veränderte sich die Haltung Großbritanniens zu den Falklands grundlegend. Die Kelper bekamen nicht nur ihre vollen Bürgerrechte zurück, sie wurden zusätzlich mit Autonomierechten ausgestattet und großzügig subventioniert. »Als würden sich zwei Glatzköpfe um einen Kamm zanken«, hatte noch 1982 der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges den Krieg kommentiert. Er spielte damit auf die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit der kargen Inseln an. Heute weisen sie den höchsten Lebensstandard in Lateinamerika auf und sind ökonomisch unabhängig vom Mutterland. Im Hauptstädtchen Port Stanley machen regelmäßig Kreuzfahrtschiffe auf ihrer Fahrt zur Antarktis halt und überschwemmen den Ort kurzfristig mit Touristen. Vor allem aber prosperieren die Inseln, weil sie Handel mit Fischereilizenzen betreiben. Und eine weitere wirtschaftliche Aufwertung der Falklands steht bevor: Vor einiger Zeit wurde unter dem Meeresboden vor den Inseln ein größeres Ölfeld entdeckt. Mit weiteren Funden von Bodenschätzen in der Region ist zu rechnen.

Insbesondere diese Funde haben dazu geführt, dass sich der Konflikt um die Islas Malvinas, wie sie in Argentinien genannt werden, in den vergangenen Monaten wieder verschärft hat. Nach wie vor beharrt die argentinische Regierung darauf, dass die Inseln in Argentiniens Souveränitätsbereich liegen. Der Kampf um sie werde fortgesetzt, kündigt die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner regelmäßig an. Betont wird dabei, dass dies nicht militärisch geschehe, Kirchner spricht vielmehr von einem »kulturellen, diplomatischen und politischen Kampf«.
In der Bevölkerung stößt dies auf Anklang. So empfinden einer aktuellen Umfrage zufolge 80 Prozent der befragten Argentinierinnen und Argentinier die Ansprüche Argentiniens auf die Inseln als gerechtfertigt, wobei sich jedoch über 60 Prozent für eine einvernehmliche Lösung aussprechen. Immerhin fast 24 Prozent sind der Meinung, dass Argentinien kompromissloser auftreten sollte. Dies ist bemerkenswert, denn eigentlich ist der nationale Taumel in Argentinien nicht besonders verbreitet. Wenigstens zwei Bereiche stellen jedoch eine Ausnahme dar: der Fußball und die Malwinen. Schon in der Schule lernen die Kinder eine Hymne, in der die Inseln pathetisch als »südliche Perle« gepriesen werden. Auch in der Verfassung ist der Anspruch auf die Inseln nach wie vor festgehalten. Als Mitte 2011 ein Kelper die argentinische Staatsbürgerschaft annahm – ein einmaliger Vorgang –, wurden ihm seine neuen Personaldokumente sogar von der Präsidentin persönlich überreicht.
Argentinien bemüht sich, in diesem Konflikt internationalen Druck zu erzeugen. Seit den sechziger Jahren reicht die jeweilige Regierung regelmäßig Beschwerden bei den Vereinten Nationen ein, in denen eine Klärung der »Kolonial­situation« gefordert wird. Zudem sucht die Regierung den Schulterschluss mit den Nachbarländern. So haben die im Mercosur assoziierten Staaten Ende vorigen Jahres ein Anlegeverbot für Schiffe verhängt, die die Flagge der Falklands führen. Noch Anfang März schlug Kirchner wiederum vor, eine direkte Flugverbindung zwischen Buenos Aires und den Inseln einzurichten. Ob sie damit die Kelper für sich gewinnen kann, ist fraglich. In der Inselzeitung Penguin News wird darauf hingewiesen, dass dieses Angebot wenig vertrauenswürdig wirke, wenn man gleichzeitig versuche, die Inseln ökonomisch zu isolieren.

In einem Ende Februar veröffentlichten offenen Brief vertrat indessen eine Gruppe von Journalisten und Wissenschaftlern die Meinung, dass das Thema in der argentinischen Gesellschaft einen viel zu hohen Stellenwert einnehme. Man sei mit wesentlich dringenderen Problemen konfrontiert. Vor allem betonen sie, dass die Bewohnerinnen und Bewohner des beanspruchten Gebiets ihre Nationalität nicht wechseln möchten. Das Selbstbestimmungsrecht der Kelper sei zu respektieren. Erwartungsgemäß stieß dieser Brief nicht nur auf Zustimmung. In der linken Tageszeitung Pagina 12 sprach der marxistische Politologe Atilio A. Borón von einem »abstrakten Kosmopolitismus«. Die Kelper könnten sich als Nachfahren von Kolonisten nicht auf das Selbstbestimmungsrecht berufen, das nur für autochthone Bevölkerungen in Frage komme.
Der immer wieder zu hörende Vorwurf des Kolonialismus könnte jedoch widersprüchlicher nicht sein. Als Großbritannien die Inseln im Jahr 1833 kolonisierte, existierte Argentinien, wie wir es heute kennen, überhaupt nicht. Die heu­tigen Argentinierinnen und Argentinier sind größtenteils Nachfahren von Einwanderern, die erst Jahrzehnte später in das Land kamen. Nach der Logik Boróns könnten etwa die Nachfahren der im 19. Jahrhundert massakrierten indigenen Bevölkerung Patagoniens die Souveränität über das gesamte Gebiet für sich beanspruchen. Doch dass der argentinische Süden, wo im vorigen Jahr ebenfalls große Ölvorkommen entdeckt wurden, zum indigenen Autonomiegebiet wird, ist heute ebenso unrealistisch wie der Wechsel der Falklands nach Argentinien. Die Inseln werden wohl noch längere Zeit den Regierungen Großbritanniens und Argentiniens willkommene Anlässe bieten, um von innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken.