»M31« in Frankfurt

Festnahme vor der Festung

In Frankfurt gab es beim antikapitalistischen Aktionstag »M31«, der in zahlreichen europäischen Städten stattfand, viele Festnahmen und Verletzte.

Am Ende des Tages glichen Teile Frankfurts dann doch einem besetzten Gebiet. Dies allerdings nicht, weil das Konzept der »M31« genannten Demonstration, die Baustelle des neuen Gebäudes der Europäischen Zentralbank (EZB) zu besetzen, am Samstag aufgegangen wäre. Vielmehr prägte ein mächtiges Polizeiaufgebot – die Polizei selbst will keine Zahlen nennen – das Bild auf den Straßen der Stadt. Zuvor war die EZB-Baustelle fast schon zu einer Festung ausgebaut und mit Stacheldraht gesichert worden. Während der Demonstration ähnelten dann die Seitenstraßen der Route teilweise einem Heerlager, das im Laufe des Tages noch mit mobilen Gefängnissen und Wasserwerfern aufgestockt wurde.

»Aufgrund der bisherigen Mobilisierung und ­einer ersten Bewertung könnten sich bis zu 1 500 Personen – darunter auch gewaltbereite Demonstranten – am Aufzug beteiligen«, hatte zuvor das Hessische Landeskriminalamt die Frankfurter Einzelhändler in einem Rundschreiben gewarnt. Letztlich sollten sich etwa 6 000 Demonstranten – nach Polizeiangaben 4 000 – auf den Straßen einfinden. Zu Gewalt kam es tatsächlich, und zwar, so die FAZ, zu den »heftigsten Ausschreitungen, die Frankfurt seit Jahren erlebte«. Die Polizei schätzt den Sachschaden auf eine Million Euro und spricht von 15 verletzten Polizeibeamten. Auf der Seite der Demonstranten gab es 465 festgenommene Personen, gegen die alle Anzeige erstattet werden soll, sowie Angaben der Veranstalter zufolge 130 durch Polizeigewalt Verletzte.
Entsprechend stand die Frage der Gewalt nicht nur in den Medien im Vordergrund, sie war auch das wichtigste Diskussionsthema unter den Demonstranten. Zwar war die Demonstrationsleitung sichtlich bemüht, um Disziplin zu werben, damit das Ziel der Demonstration erreicht werden kann. Eine klare Ansage an die eher gewaltbereiten Teilnehmer der Demonstration blieb jedoch aus, offensichtlich, weil man einer Spaltung der Demonstranten keinen Vorschub leisten wollte. Diese Unsicherheit kam auch in den Medien zum Ausdruck. Vom Hessischen Rundfunk wiederholt befragt, ob man die Gewalt von Seiten der Demonstranten verurteile, erklärte der Sprecher des Aktionsbündnisses, Leo Schneider, etwas umwunden, dass man zwar »andere Ziele« verfolgt habe, aber die »militanten Aktionen« als »Ausdruck der Wut« verstehen könne.

In den ersten Auswertungen der Organisatoren ist davon die Rede, dass »ein paar kaputte Scheiben« als Vorwand für einen »brutalen« Polizeiangriff gedient hätten. Gewiss war der Polizeieinsatz nicht verhältnismäßig – das zeigt allein schon die hohe Zahl an Verletzten und Festgenommen – und nicht ganz ungewollt. Bilder von Aus­einandersetzungen vor der festungsartigen EZB-Baustelle dürfte man zu vermeiden versucht haben. Und gerade die hessische Polizei, geübt in Konflikten mit Eintracht-Fans und geleitet von einem rechtskonservativen Innenministerium, wird es sich kaum nehmen lassen, jeglichen Anlass zur Zerstreuung einer solchen Demonstration auch zu nutzen.
Für einige Demonstranten lag die Schuld jedoch nicht allein bei der Polizei. Viel diskutiert wurde insbesondere der Angriff auf einen Verbindungspolizisten – der auf der Intensivstation behandelt werden musste –, als die Polizei sich noch sichtlich zurückhielt. Kurz zuvor war es, nachdem bereits das gegenwärtige Gebäude der EZB attackiert worden war, zu größeren »Entglasungen« gekommen. Dies geschah, als sich der Demons­trationszug durch eine besonders enge Passage bewegte – prädestiniert für eine Massenpanik bei einer möglichen Polizeireaktion. Nicht wenige bezeichneten diese Aktionen als besonders unverantwortlich. In der Folge verließen die ersten Leute die Demonstration. Spätestens nach dem Angriff auf eine Polizeiwache kam es, wie es kommen musste: Teile der Demonstration wurden eingekesselt, der Aufzug gespalten und letztlich – nach einem zweistündigen Versuch der Organisatoren, die Lage zu retten – beim Beschreiten einer alternativen Route von der Polizei aufgelöst. Die war allerdings noch bis in die frühen Morgenstunden mit umherschweifenden Demonstranten beschäftigt.

Indessen wird die Diskussion darüber fortgesetzt, wie die »M31«-Kampagne politisch zu bewerten sei. Die Organisatoren werten sie als Erfolg und verweisen auf Aktionen in über 40 europäischen Städten, an denen sich »Zehntausende« beteiligt hätten. Verwiesen wird auch auf den Generalstreik zwei Tage zuvor in Spanien, der maßgeblich von den dortigen anarchosyndikalistischen Gewerkschaften im Zusammenhang mit »M31« auf den Weg gebracht worden sei. In einschlägigen Internetforen wird hingegen die geringe Beteiligung – nicht nur international, sondern auch in Frankfurt selbst – bemängelt. Auch ist die Kritik zu vernehmen, dass sich die Mobilisierung zu sehr auf das linksradikale Spektrum beschränkt habe. Jutta Ditfurth von Ökolinx hatte dagegen auf der Auftaktkundgebung hervorgehoben, »dass es zum ersten Mal gelungen ist, aus eigener Kraft, unabhängig von staatstragenden Organisationen« zu einem solchen Aktionstag zu mobilisieren.
Bereits zuvor hatte Felix Baum den Aktionstag als »Ersatzhandlung« einer »ratlosen Linken« bewertet (Jungle World 11/2012). Die Grenzen der Wirkung des »M31«-Protests sehen allerdings auch die Veranstalter selbst, so etwa die maßgeblich beteiligte FAU Frankfurt, die betont, »dass Demonstrationen immer nur kurzfristiger Ausdruck einer gewachsenen Widerstandskultur sein können«. Bei der Auftaktkundgebung sprach denn auch Torsten Bewernitz von der FAU einen wunden Punkt der deutschen Linken an. Was hier fehle, sei »die Verbindung zwischen den betrieblichen Kämpfen und den Kämpfen auf der Straße und vor den Ämtern«. Infolge von »M31« wolle man »die Vernetzung der Kämpfe verstetigen«, so Bewernitz. Wie viel dieser Anspruch wert ist, wird sich zeigen. Bisher stand die von deutschen Linken vielbemühte »Vernetzung« meist nur für die Summe ihrer Ratlosigkeiten.