Retter des Grundgesetzes

Bewusste Auslassungen, Verdrehungen oder eigenwillige Interpretationen vorhandener Fakten und dazu jede Menge Empörung über »die Mächtigen« – das sind die Grundzutaten, mit denen Verschwörungstheoretiker arbeiten. Wie schnell es ihnen gelingt, ihre angeblichen Wahrheiten selbst unter Leuten zu verbreiten, die sich für kritische Mediennutzer halten, zeigte sich Ende letzter Woche am Beispiel eines kleinen Online-Aufstandes wegen eines von CDU, SPD, FDP erstellten »Entwurfs zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 93)«, der im Bundestag beraten werden sollte.
Auf den einschlägigen Truther-Websites las sich dieser Vorgang dann so: »In aller Stille« werde versucht, das Grundgesetz zu ändern. »Es geht um das Klagerecht der Deutschen vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Der Antrag wird morgen im Bundestag behandelt, ist aber auf der Parlamentsseite nicht eingestellt worden.« Das Ganze sei zweifellos eine Verschwörung von Mächtigen und Medien: »Weder die Parteien, die jetzt diese Verfassungsänderung versuchen, noch irgendein Organ von Informationsindustrie oder Staatspresse haben dazu bisher ein Wort verloren.« Geschickt wurde zudem suggeriert, die Änderung des Artikels 93 hänge vermutlich mit dem Europäischen Stabilitätspakt zusammen – und schon wurde die Nachricht mit nachgerade hysterischer Begeisterung über die Aufdeckung der Verschwörung bei Twitter und anderen Social Media verbreitet.
Worum es in Wirklichkeit ging, erklärte Volker Becks Tweet: »Mit der geplanten Grundgesetzänderung sollen nicht zur Wahl zugelassene Parteien Beschwerdemöglichkeit in Karlsruhe vor der Wahl erhalten.« Aber ob den auch nur einer der aufgeregten Verschwörungsaufdecker gelesen hat? Unwahrscheinlich.