Die Pläne für ein neues NPD-Verbotsverfahren

Zögern und Zaudern

Bis Endes des Jahres wollen die Regierungen von Bund und Ländern über ein erneutes NPD-Verbotsverfahren entscheiden. Das Verbot der rechtsextremen Partei muss nicht an juristischen Hürden scheitern. Was fehlt, ist der politische Wille.

Seit 1990 sind nach Angaben der Amadeu Antonio Stiftung mehr als 180 Personen in Deutschland durch rechte Gewalttaten zu Tode gekommen, noch viel mehr Menschen wurden verletzt. Nur selten führen diese Taten zu einer breiten politischen Diskussion. Und wenn eine solche stattfindet, ist sie oft wenig hilfreich für poten­tielle und tatsächliche Opfer rassistischer Übergriffe. Den Pogromen von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen Anfang der neunziger Jahre folgte die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Nach dem Brandanschlag auf eine Düsseldorfer Synagoge im Juli 2000 erhellten Lichterketten die deutschen Innenstädte und die Bundesregierung stellte beim Bundesverfassungs­gericht (BVerfG) den Antrag, die NPD zu verbieten, der 2003 jedoch wegen der Tätigkeit von V-Leuten in der Parteispitze abgelehnt wurde. Nachhaltiges antifaschistisches Engagement ist indes weiterhin unterfinanziert und wurde durch die 2011 in Kraft getretene »Extremismusklausel« noch erschwert. Seit November vorigen Jahres wird nun über die Konsequenzen aus der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) debattiert. Einmal mehr wird dabei ein Verbot der NPD erwogen. In der vergangenen Woche haben die Ministerpräsidenten der Länder auf einer Konferenz in Berlin beschlossen, bis zum 6. Dezember dieses Jahres über ein erneutes Verbotsverfahren zu entscheiden. Bis dahin sollen Beweise für die Verfassungswidrigkeit der Partei zusammengestellt werden. Denn bei der schwarz-gelben Regierungskoalition herrscht weiterhin Zurückhaltung, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wies in einem Interview mit der Rheinischen Post auf die »hohen Hürden« für ein Verbot hin und warnte »vor jedem populistischen Schnellschuss, weil der genau so ausgehen würde wie das missglückte Verfahren 2003«. Bereits am 22. März hatten die Innenminister beschlossen, bis zum 2. April die V-Leute aus der Führungsebene der NPD abzuziehen. Ein Parteiverbotsverfahren kann von der Bundesregierung, dem Bundestag oder dem Bundesrat eingeleitet werden. Über das Verbot entscheidet das BVerfG mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Richter, wird die Partei verboten, folgen der sofortige Verlust aller Parlamentsmandate und der Einzug des Parteivermögens. Voraussetzung eines Verbots ist »eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung« gegenüber der bestehenden freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Diese Formulierung ist, so die gängige Lesart, Ausdruck der »wehrhaften Demokratie«, tatsächlich eröffnet sie einen weiten Interpretationsspielraum. Verlangt wird die Missachtung grundlegender Menschenrechte oder Verfassungsprinzipien. Ob es zu einem Verbot der NPD kommt, ist damit weniger eine formal-juristische, sondern eine politische Entscheidung – sowohl der Regierung und des Bundestags als auch des BVerfG. Dass der NPD eine »aktiv kämpferische, aggressive Haltung« gegenüber der bestehenden Ordnung nachgewiesen werden kann, steht kaum in Zweifel. Zwar verzeichnet der neue Vorsitzende Holger Apfel ein moderateres Bild einer »modernen zukunftsgewandten Rechtspartei«, was in der Neonazi- und Kameradschaftsszene auf starke Ablehnung stößt. Doch Apfels Strategie der »seriösen Radikalität« zielt vor allem auf einen Imagewechsel, um neue Wähler zu gewinnen. Die Verbindungen der NPD in die Kameradschaftsszene bestehen auf allen Ebenen weiter, mit Frank Schwerdt ist ein enger Vertrauter der »Freien Kräfte« im Bundesvorstand. Viele, auch führende Mitglieder der Partei sind wegen rassistischer Straftaten verurteilt, und bei Kundgebungen und in Veröffentlichungen tritt der menschenverachtende und revisionistische Geist zahlreicher NPD-Funktionäre offen zutage. All dies wird nicht zuletzt in antifaschistischen Publikationen seit Jahren dokumentiert. Allein die zuständigen Innenpolitiker wollen diese Informationen nicht zur Kenntnis nehmen. Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag, wirft den Vertretern der Bundespolitik vor, für ihre fehlenden Kenntnisse selbst verantwortlich zu sein. »Warum wird nicht eine unabhängige Expertengruppe mit Personen aus dem antifaschistischen Spektrum eingerichtet, die sich jahrelang mit der NPD beschäftigt haben, und wissen, wovon sie reden?« fragt Jelpke im Gespräch mit der Jungle World. Stattdessen soll ein Verbotsantrag insbesondere auf Informationen von V-Leuten zurückgreifen. Damit ergibt sich die zweite »hohe Hürde« für ein NPD-Verbot ganz von selbst: Den ersten Verbotsantrag hatte das BVerfG mit der Begründung abgewiesen, dass in der Führungsebene eine hohe Anzahl an V-Leuten tätig und die Antragsbegründung auf Äußerungen von Personen gestützt worden sei, die als V-Leute innerhalb der Partei gewirkt hätten. Damit sei der »Grundsatz der Staatsfreiheit« verletzt worden, die Verfassungswidrigkeit könne sich nicht aus Handlungen und Äußerungen von Personen ergeben, die für den Staat arbeiten. Der Abzug der V-Leute ist ein Zugeständnis an die Vorgaben des BVerfG, er findet aber nur unvollständig statt, da nur 20 Personen aus den Führungsgremien von den insgesamt 130 V-Leuten in der Partei betroffen sind. Jelpke sieht dadurch das Verbotsverfahren unnötig gefährdet: »Anstatt ein ums andere Mal zu beklagen, dass die Hürden für ein Verbot der NPD so hoch seien, müsste man lediglich höher springen.« Bundesinnenminister Friedrich warnt schließlich vor den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Das Gericht könnte eingeschaltet werden, wenn das BVerfG die NPD verbietet. Tatsächlich ist der EGMR ein starker Verfechter von Meinungsfreiheit und demokratischer Auseinandersetzung. In der Vergangenheit hat das Gericht mehrere Parteiverbote in anderen Ländern gekippt. Nur wenn eine »dringende gesellschaftliche Notwendigkeit« bestehe, sei ein Parteiverbot mit der Vereinigungsfreiheit vereinbar. Auch diese Vorgaben sind nicht unüberwindbar: So hat der EGMR 2009 das Verbot der baskischen Herri Batasuna für zulässig erklärt, obwohl ihr nur vage Verbindungen zur Eta nachgewiesen wurden. Als in den fünfziger Jahren das Verbot der KPD diskutiert wurde, war die deutsche Politik weniger zurückhaltend. Die Regierung unter Konrad Adenauer hatte 1951 einen Verbotsantrag gestellt, die zuständigen Richter waren zunächst wenig überzeugt, weil das Auftreten der Partei innerhalb der Bundesrepublik keinesfalls aggressiv war. Der verbreitete Antikommunismus erlaubte es der Regierung, die Richter unter Druck zu setzen und zu drohen, das Verfahren an den anderen Gerichtssenat zu übergeben. Die Richter beugten sich dem Druck, 1956 wurde die KPD verboten. Derzeit fehlt der politische Wille, auch nur mit legitimen Mitteln für ein NPD-Verbot zu streiten. Anstatt offensiv die Inhalte und Taten der NPD vor Gericht zu bringen, um sie aus den Parlamenten zu verbannen und ihnen die staatliche Parteienfinanzierung zu entziehen, bleibt es bei einer milden Drohung und dem Verweis auf scheinbar unüberwindliche gesetzliche Hindernisse.