Die Kampagne der IG Metall gegen Leiharbeit

Sklave mit Vertrag

Die IG Metall geht gegen Leiharbeit vor. Ob sie den Leiharbeitern hilft, ist fraglich.

Wie die Debatte um die Leiharbeit verläuft, war vorhersehbar. Angestoßen wurde sie von der IG-Metall-Führung am 29. März, für den die Gewerkschaften in Spanien zum Generalstreik aufgerufen hatten. Hierzulande entschied man sich für eine Pressekonferenz. Vorgestellt wurde das »Schwarzbuch Leiharbeit«, eine großangelegte Umfrage unter 4 000 organisierten Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern, die ihre prekäre Lebenslage, ihre Enttäuschung und ihre Wut beschreiben. Detlef Wetzel, stellvertretender IGM-Vorsitzender, diagnostizierte eine »Verrohung des Arbeitsmarktes«, der es zu begegnen gelte. Leiharbeit bedeute »ungerechte Bezahlung und fehlende Perspektiven in allen Lebensbereichen«. Jeder fünfte Leiharbeiter arbeitet in der Metall- und Elektroindustrie.

Die Vertreter der Zeitarbeitsfirmen protestierten sogleich lautstark. Die Gewerkschaft »verzerrt das Bild der Branche«, beschwerte sich der 2011 aus einer Fusion zweier kleinerer Verbände hervorgegangene Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP), der sowohl mit christlichen als auch mit DGB-Gewerkschaften Tarifbeziehungen unterhält. Statt Plackerei und Billiglohn biete Zeitarbeit mit sozialversicherungspflichtigen, unbefristeten und tariflich entlohnten Arbeitsplätzen alles, was ein Gewerkschafterherz begehre. Schon war der Streit entbrannt. Dabei ist längst unstrittig, dass die Deregulierung der »Arbeitnehmerüberlassung«, so der offizielle Terminus, ein entscheidender Faktor beim Aufbau des hiesigen Niedriglohnsektors war (Jungle World 30/11), was den deutschen Exportboom erst ermöglichte – und wohl maßgeblich zur Eurokrise beitrug. Seit 2004 unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung die Agenda 2010 umgesetzt wurde, hat sich die Zahl der »Knechte zweier Herren« verdreifacht, auf mittlerweile fast eine Million Menschen.
Im »Schwarzbuch Leiharbeit« beschreiben diese ihren Arbeitsalltag und äußern sich zuweilen deutlich radikaler als ihre Gewerkschaft: »Dieser neuzeitliche Sklavenhandel sollte verboten werden, denn mit Leiharbeit wird alles untergraben, wofür Generationen von Arbeitnehmern gekämpft haben.« In der präsentierten Auswahl überwiegt jedoch die ohnmächtige, vereinzelte Klage: »Ich konnte mir ein ›Nein‹ nicht leisten.« Das Verdienst eines »Schwarzbuchs« ist, zumindest dem Anspruch nach, die Faktensammlung. Und Fakten sind in dem 127 Seiten umfassenden Werk reichlich und anschaulich zusammengestellt, etwa dass jeder zehnte Leiharbeiter neben dem Lohn noch Sozialleistungen beziehe, diese indirekte Subventionierung belaufe sich jährlich auf 500 Millionen Euro.
Schwarzbücher haben mittlerweile Konjunktur, es gibt sie zum Kommunismus und Kapitalismus, zur Privatisierung, zum Datenschutz, über soziale Arbeit oder zur Deutschen Bahn. Unter den Gewerkschaften machte Verdi 2004 mit dem »Schwarzbuch Lidl« den Anfang. Die Dienstleistungsgewerkschaft warf dem Discounter die systematische Behinderung von Betriebsräten, die Überwachung von Beschäftigten und skandalöse Arbeitsbedingungen vor. Vier Jahre später zog die IG Metall mit einem ersten »Schwarzbuch Leiharbeit« nach. Seit 2010 gibt die GEW ein Schwarzbuch zum Thema Weiterbildung heraus. Und die kleine DGB-Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten versuchte im vorigen Jahr in Bremen gar, allein die Absicht, ein Schwarzbuch zu veröffent­lichen, als Mittel im Arbeitskampf einzusetzen. Das war vielleicht etwas übermütig, doch ein solches Buch ist durchaus ein Kampfmittel.

Das »Schwarzbuch Leiharbeit« bietet ein Déjà-vu-Erlebnis, auch wenn es sich bei der aktuellen Ausgabe nicht um eine Neuauflage von 2008 handelt. Die Taktik dahinter scheint jedoch dieselbe zu sein: Die damalige Tarifrunde hatte ihre Warnstreiks im November, die Leiharbeit wurde durch die Veröffentlichung des »Schwarzbuchs« im September in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte gerückt. Im Jahr 2012 läuft die Friedenspflicht Ende April aus. Die Tarifverhandlungen im traditionellen Pilotbezirk Baden-Württemberg haben Mitte März begonnen. Das Leiharbeitsbuch wurde nun, wie vor vier Jahren, einige Wochen vor der »heißen Phase« veröffentlicht. Die IG Metall fordert 6,5 Prozent mehr Lohn bei zwölfmonatiger Laufzeit, eine Übernahmegarantie für Auszubildende und mehr Mitbestimmung der Betriebsräte beim Einsatz von Leiharbeitern. Nach zwei ergebnislosen Verhandlungsrunden bemängelt Jörg Hofmann, Bezirksleiter der IG Metall, die Hinhaltetaktik der Arbeitgeber und stellt für »spätestens Anfang Mai« Warnstreiks in Aussicht, falls die Gegenseite keine Zugeständnisse mache. Auch in Sachsen scheiterten Anfang April die Verhandlungen. Für jede einzelne der drei Kernforderungen werde man kämpfen, heißt es auch in Stuttgart. Aber wie kämpferisch sind die Gewerkschaften wirklich? Verdi erstritt jüngst eine Lohnerhöhung um sechs Prozent, indem sie sich auf eine Verdopplung der Laufzeit einließ, den Lohnzuwachs also halbierte. Und auch die Lohnforderung der IG Metall ist nicht sonderlich hoch: 2008 forderte sie acht Prozent, das Ergebnis war eine Einmalzahlung und eine Lohnerhöhung von 4,2 Prozent. Demnach wäre 2012 mit einem Tarifabschluss von etwa 3,5 Prozent zu rechnen. Stutzig macht zudem, dass im Hinblick auf die Leiharbeit in der Metall- und Elektroindustrie lediglich mehr Mitsprache gefordert wird.

Trotz markiger Worte, von gleichem Lohn für gleiche Arbeit ist derzeit keine Rede. Wenn überhaupt, dann sind merkliche Lohnverbesserungen für Leiharbeiter aus Frankfurt am Main zu erwarten. Dort verhandelt der IG-Metall-Vorstand derzeit mit den Leiharbeitsverbänden IGZ und BAP über einen Branchenzuschlag, »der die Lohnlücke zwischen Leih- und Metalltarif so weit wie möglich schließt«. Damit soll generalisiert werden, was mit 1 200 »Besservereinbarungen« schon in einzelnen Betrieben geregelt ist. Der nächste Termin ist ebenfalls für die zweite Aprilhälfte angesetzt. Es gibt bisher jedoch keine Anzeichen dafür, dass es Pläne für einen zugleich stattfindenden Arbeitskampf gibt. Mit einem Streik ist wohl kaum zu rechnen, schließlich läuft der Leiharbeitertarif noch bis Oktober 2013. Damit wäre die IGM vom guten Willen der Zeitarbeitsverbände oder aber von politischem Druck abhängig.
Tatsächlich richtet sich mancher Hilferuf an die Politik. So erläutert Jens Köhler, Betriebsratsvorsitzender bei BMW Leipzig, wo jeder dritte Beschäftigte auf Zeit arbeitet, dass es ungeachtet der unternehmenstypischen »Vertrauenskultur« schwierig sei, »eine Regelung zur Leiharbeit hinzubekommen, weil ganz einfach die gesetzliche Basis fehlt«. Anlässlich der Präsentation des »Schwarzbuchs« forderte Köhler die Beschränkung der »Dauer der Leiharbeit« einerseits und Equal Pay ohne Einschränkungen andererseits. Dass die schwarz-gelbe Bundesregierung die Wohltaten, die Rot-Grün der Wirtschaft bescherte, zurücknimmt, ist jedoch mehr als unwahrscheinlich.
Ganz unrecht haben die »Sklavenhändler« indes nicht, wenn sie der Gewerkschaft »Stimmungsmache« vorwerfen. So berechtigt die Klagen seitens der IG Metall sind, über die eigene Rolle schweigt man sich im »Schwarzbuch« aus. Nur einmal übt die größte Gewerkschaft der Welt ein wenig Selbstkritik, wenn sie schreibt, 2004 sei »die DGB-Tarifgemeinschaft durch ­diese Unterbietungskonkurrenz der Christlichen machtlos« gewesen und die eigenen Abschlüsse hätten nicht dem Equal-Pay-Prinzip entsprochen.