Vom Traum, Pirat zu sein

Pirat müsste man sein! Piraten sind ja so beliebt. Jeder mag sie, diese sympathisch unverbraucht und unkonventionell wirkenden Politrebellen. Transparenz, Sozialromantik, Gerechtigkeit und das Versprechen von mehr Mitmach-Demokratie – ja, diese Freibeuter, die wie aus dem Nichts aufgetaucht sind, schicken sich als Avantgarde von eigenen Gnaden an, die erstarrte Parteienlandschaft zu entern. Und das kommt beim Wähler an. Sieg folgt auf Sieg. Erst Berlin, dann das Saarland, bald fallen den Piraten noch Schleswig-Holstein und NRW in die Hände. Bei zwölf Prozent sehen die Demoskopen derzeit die Orangefarbenen. Obwohl sie kein richtiges Programm haben, geschweige denn Antworten auf wichtige politische Fragen. Macht nichts, Amateure sind irgendwie süß. Ach ja, Pirat müsste man sein.
Womit wir beim entscheidenden Punkt wären. Denn die Medien haben die Piraten erst zu dem gemacht, was sie heute sind. Und mit jedem Tag wird ihr Erfolg größer, unheimlicher, weil wir Journalisten – egal, welchen po­litischen Ansichten wir anhängen – die Männertruppe (die paar Frauen fallen bislang quantitativ nicht groß ins Gewicht) hochschreiben und -senden. Selbst negative Berichte helfen, weil sie zumindest Aufmerksamkeit ­sichern. Ja, man kann sogar noch einen Schritt weitergehen: Im Grunde sind die Medienmacher längst zu Piratenmachern, zu Wegbereitern und Komplizen der Piraten geworden.
Wundern braucht das niemanden. Wie der Wähler, so sehnt sich auch der Journalist ständig nach etwas Neuem, Überraschendem, nach dem Besonderen jenseits der ausgetretenen Pfade des Mainstreams. Die Troika der Sozialdemokratie streitet über die Eurorettung? Gähn. Angela Merkel macht aus der CDU einen Kanzlerinnen-Verein? Wie öde. Die Grünen und ihre Quotenfragen? Langweilig. Liberale, die sich selbst pulverisieren? Nicht schon wieder! Und eine Linkspartei, die sich immer wieder Oskar Lafontaine an den Hals schmeißt? Schnarch. Aber diese Piraten! Hoppla, die haben Frische-Garantie. Geben in Talkshows freimütig zu, keine Ahnung zu haben, und sind dann auch noch stolz drauf. Heiliges Kanonenrohr, Captain Jack Sparrow lässt grüßen.
Aber es gibt noch einen weiteren Grund für die Gier nach Piraten. Der Journalist als solcher wäre nämlich auch gerne einer, der Fahrt aufnimmt, um Neuland zu erobern. Uns käme es ebenfalls zupass, wenn wir mal den Betrieb so richtig aufmischen könnten und uns alle dafür schätzen würden. Doch in der Regel bleibt das Wunschdenken, nicht mehr. Zu groß ist die Ähnlichkeit der meisten Journalisten mit den Etablierten in der Politik. Der Alltag schafft Uniformität, und sich daraus zu befreien, fällt schwer. Gerade deshalb ist die Sehnsucht so übermächtig. Die Sehnsucht, anders zu sein. Zum Beispiel ein Pirat.