Nazi-Aufmärsche am 1. Mai

Marsch in den Mai

Für den 1. Mai rufen die NPD und die »Freien Kräfte« zu zahlreichen Aufmärschen im gesamten Bundesgebiet auf.

Das »nationale Demometer« des rechtsextremen Internetportals »widerstand.info« dürfte Neonazi-Herzen derzeit höher schlagen lassen. Schon drei Wochen vor dem diesjährigen »Tag der Arbeit« können die Anhänger des nationalen So­zialismus zwischen acht unterschiedlichen Aufmärschen wählen. Im gesamten Bundesgebiet wollen am 1. Mai rechtsextreme Gruppierungen aufmarschieren. Das »Demometer« zeigt einen Großteil davon auf einer Deutschland-Karte im Internet. »Ohne viel Aufwand«, so bewerben die Neonazis ihre neue technische Errungenschaft, könne man so für die kommenden Veranstaltungen werben.
Allein die NPD ruft zu mindestens vier Demonstrationen auf. Die Landesverbände in Sachsen und Thüringen werben dafür, am 1. Mai ins ostsächsische Bautzen zu fahren.

Unter dem Motto »Wir arbeiten – Brüssel kassiert!« möchte man gegen den Euro und für die Wiedereinführung der D-Mark auf die Straße gehen. Die südwestdeutschen Landesverbände werben unter der gleichen Losung für die Teilnahme an einem Aufmarsch in Mannheim, die nördlichen Landesverbände wollen in Neumünster marschieren. In Schleswig-Holstein verbindet die NPD ihre Demonstration mit dem derzeitigen Landtagswahlkampf. Als Redner wird dort der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende und Fraktionsvorsitzende der NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Udo Pastörs, erwartet. Sein Landesverband will am selben Tag gegen »Lohnsklaverei und EU-Irrsinn« in Neubrandenburg marschieren.
Der 1. Mai hat sich in den vergangenen 20 Jahren zu einem der wichtigsten Termine für Aufmärsche der deutschen Neonazi-Szene entwickelt. Bereits kurz nach der Wiedervereinigung versuchte die später verbotene Freiheitliche Arbeiterpartei (FAP), den 1. Mai für sich zu nutzen, und organisierte Aufmärsche. Schon Ende der neunziger Jahre, als die NPD den »Kampf um die Straße« ausrief, bekamen die Aufmärsche mehr Zulauf, seit der Jahrtausendwende bewegen sich die Teilnehmerzahlen bei den rechtsextremen Aufmärschen am 1. Mai im vierstelligen Bereich. In den vergangenen Jahren nahmen in Deutschland regelmäßig etwa 3 000 Neonazis daran teil. Bereits 2001 gab es Konflikte zwischen parteiunabhängigen Neonazis und der NPD, seitdem mobilisieren sie getrennt voneinander. Die »Freien Kräfte« und die NPD verteilten sich auf Dutzende Aufmärsche im gesamten Bundesgebiet. Diese dezentralen Aufmärsche zum 1. Mai haben sich für die Neonazi-Szene als wichtig erwiesen, denn in der Vergangenheit wurden zahlreiche rechtsextreme Mai-Aufmärsche durch Antifaschisten erfolgreich blockiert.
Im Aufruf zum 1. Mai wurden auf der Internetseite des Freien Netzes Süd (FNS) bis Redaktionsschluss das Zahnrad der nationalsozialistischen »Deutschen Arbeitsfront« und ein Graufeldabzeichen der Hitlerjugend abgebildet. Die Neonazis erinnern damit an die Geschichte des »Tags der Arbeit« im Nationalsozialismus. 1889 als »Kampftag der internationalen Arbeiterbewegung« ausgerufen, nutzen die Nationalsozialisten den 1. Mai ab 1933 als »Tag der nationalen Arbeit« für propagandistische Massenaufmärsche. Mit der Einführung des gesetzlichen Feiertags wollte die NSDAP die zum Teil noch widerständige Arbeiterbewegung davon abhalten, eigene Veranstaltungen durchzuführen. Am 2. Mai 1933 wurden die Gewerkschaften verboten und die Gewerkschaftshäuser gestürmt, knapp eine Woche später wurde die »Deutsche Arbeitsfront« gegründet.
Die Neonazis des FNS veranstalteten in den letzten Jahren regelmäßig eigene Aufmärsche zum 1. Mai. In diesem Jahr wollen sie im oberfränkischen Hof unter dem Motto »Zeitarbeit abschaffen – Soziale Ausbeutung stoppen!« aufmarschieren. Die Stadt hat die Demonstration untersagt. Sollte dieses Verbot vor den Gerichten wider Erwarten Bestand haben, bietet sich den Kameraden ein Aufmarsch im thüringischen Weimar als Alternative an. Dort wollen »Nationale Sozialisten der Aktionsgruppe Weimarer Land« sich ihrem Aufruf zufolge »frei nach Goethe« entscheiden, ob sie »Hammer oder Amboss« sein wollen, und für »Arbeit, Freiheit und Recht« marschieren.

Gemeinsam ist allen diesjährigen Nazi-Aufrufen zum 1. Mai die Bezugnahme auf die Euro-Krise. Gebetsmühlenartig kritisiert man Hilfszahlungen an Griechenland und versucht, an die populäre Ideologie von »den Deutschen als den Zahlmeistern der EU« anzuknüpfen. Als Lösung für gesellschaftliche Probleme präsentieren die NPD und die freie Kameradschaftsszene die autarke nationalsozialistische Volksgemeinschaft. So ist es auch in Wittstock, wo die brandenburgische und norddeutsche Neonazi-Szene unter dem Motto »Gegen Ausbeutung und Abwanderung, für eine familienorientierte Zukunft« zu einem Aufmarsch aufruft. In Bonn wird die rechtsextreme Szene aus dem Ruhrgebiet und dem Rheinland erwartet. Darüber hinaus wird im Internet, wie schon in den vergangenen Jahren, von unterschiedlichen rechten Gruppierungen dazu aufgerufen, kleinere, dezentrale und spontane Aufmärsche zu veranstalten.
Einer der auffälligsten dieser spontanen Aufmärsche fand in der Nacht zum 1. Mai 2011 in Bautzen statt; rund 150 Neonazis marschierten mit Fackeln und weißen Masken durch die Stadt. Es handelte sich zugleich um den Auftakt für die Kampagne »Die Unsterblichen« (Jungle World 43/2011), die von den Medien mittlerweile viel Aufmerksamkeit erhält. Der NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel und der NPD-Landesorganisationsleiter Maik Scheffler dürften die Stadt nicht zufällig als Veranstaltungsort für ihren diesjährigen Aufmarsch am 1. Mai ausgewählt haben. Die NPD scheint zu versuchen, mit ihrem Aufmarsch in Bautzen von der Aufmerksamkeit, die diese relativ neue Aktionsform derzeit erfährt, zu profitieren. Ein Erfolg bei der Veranstaltung in Bautzen könnte zeitweilig auch von den bestehenden Zerwürfnissen innerhalb der sächsischen Neonazi-Szene (Jungle World 12/2012) ablenken. Unabhängig davon ist damit zu rechnen, dass parteiunabhängige Neonazis zum 1. Mai den Versuch unternehmen werden, an die Aktion der »Unsterblichen« aus dem vorigen Jahr andernorts anzuknüpfen.

Angesichts der Gewalttaten, die in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit den rechten Aufmärschen am 1. Mai verübt wurden, kann man auch in diesem Jahr mit Gewalt rechnen. 2009 griffen Neonazis am 1. Mai beim Aufmarsch im sächsischen Freiberg Polizisten mit Steinen und Pyrotechnik an. In Dortmund überfielen rund 300 Nazis eine Veranstaltung des DGB und verletzten mehrere Teilnehmer schwer. Der Sprechchor »Linkes Gezeter – 9 Millimeter« gehört zum Repertoire bei den Veranstaltungen der Rechtsextremen zum 1. Mai. Auch im vorigen Jahr kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. So griffen Angehörige der freien Kameradschaftsszene in Halle Polizei und Gegendemonstranten an. In Husum wurden die Teilnehmer einer DGB-Veranstaltung attackiert. Und in Greifswald wurden vor dem NPD-Aufmarsch Brandanschläge und Übergriffe auf Gegner der rechtsextremen Veranstaltung verübt.