Der Film »Demokraten« von Levi Salomon 

»Dregger-Männer sind härter«

Der Filmemacher Levi Salomon begleitete im Sommer 2011 fünf Kandidaten bei ihren Wahlkampfauftritten.

Das ist Demokratie, langweilig wird sie nie«, sang einst Andreas Dorau. Ähnliches ließe sich auch über den neuen Dokumentarfilm von Levi Salomon sagen. Der Berliner Regisseur hat mit dem Film »Demokraten« eine interessante Betrachtung des zeitgenössischen Parlamentarismus und zugleich einen großartigen Berlin-Film geschaffen, der leise Töne anschlägt, aber dennoch spannend ist. Salomon begleitete mit seinem Filmteam im Späsommer 2011 zwei Monate lang vier Kandidaten und eine Kandidatin für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im Wahlkampf.
Bei der Auswahl der Personen bewies der Dokumentarfilmer fast prophetische Fähigkeiten: Während die FDP, die dann an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, im Film nicht vertreten ist, begleitete er mit Susanne Graf auch eine Vertreterin der Piratenpartei, die bei der Wahl im September 2011 erstmals in ein deutsches Landesparlament einzog. Auch die vier anderen Kandidaten, Frank Zimmermann (SPD), Burkard Dregger (CDU), Andreas Otto (Grüne) und Klaus Lederer (Linke), sicherten sich bei der Abstimmung ihr Abgeordnetenmandat.
Der Film verzichtet gänzlich auf einen Off-Kommentar und fordert von den Zuschauern deshalb eine gewisse Konzentration. Umso kostbarer wirken aber viele Szenen, die darin zu entdecken sind. Ein Franz Müntefering, der minutenlang mit einem widerspenstigen Mikrophon kämpft, ist da fast noch billiger Slapstick. Von prägnanter Symbolik aber ist eine Einstellung, in der der Grünenpolitiker Otto auf einer Veranstaltung zur Wohnungspolitik vor der Verdrängung von Armen aus der Innenstadt warnt, während im Hintergrund ein Mann durchs Bild läuft, der Pfandflaschen aus einem Müllcontainer klaubt. Vielsagend ist auch jene Szene, in der der CDU-Kandidat Burkard Dregger mit seinen Kindern spielt, bis eines dabei hinfällt. Wirkt der Papa anfänglich noch sym­pathisch, wenn er zu trösten versucht, verkehrt sich das schnell ins Gegenteil. Dregger sagt zu seinem Sohn: »Dregger-Männer sind hart.« Abends beim Grillen auf der Terrasse fragt ihn das Kind: »Dregger-Frauen sind doch auch hart?!« Darauf der Papa: »Aber Dregger-Männer sind härter.«
Burkard Dregger ist ein Phänomen. Als Sohn des langjährigen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alfred Dregger, der Zeit seines Lebens als Vertreter des nationalkonservativen Parteiflügels berühmt-berüchtigt war, gibt sich Dregger junior alle Mühe, politisch in die Fußstapfen seines verstorbenen Vaters zu treten. Allerdings scheint er sich in einer Eckkneipe, deren Gäste mit ihrem unverhohlenen Rassismus man sich auch gut bei der NPD vorstellen könnte, doch eher unwohl zu fühlen. Später setzt er zu einer großen Rede darüber an, wie Deutschland sich nach der »Stunde Null« wiederaufgebaut habe, wie das »Selbstwertgefühl der Deutschen« in zwölf Jahren NS-Diktatur nicht vollständig vernichtet worden sei, wie »wir« aus der »Verantwortung für das ›Dritte Reich‹« »Selbstbewusstsein generieren« und welch großartiges »Angebot« Zuwanderern mit der Teil­habe an der »Wertegemeinschaft« einer »großen Kulturnation« gemacht werde. Dregger fordert polternd eine »Rückbesinnung auf die soziale Marktwirtschaft, weil das, was wir haben, ist schon fast ein Staatsozialismus«. Doch als ihm ein Obdachloser erklärt, warum es für ihn unter den Bedingungen von Hartz IV praktisch unmöglich ist, in Berlin eine Wohnung zu bekommen, fehlen Dregger die Worte.
Durch den Verzicht auf den Kommentar ist der Film offen für ganz unterschiedliche politische Interpretationen. Er zeigt Politiker als Privatmenschen. So heißt es in der Werbung für den Film: »Vor der Kamera geben die Pro­tagonisten ihre persönlichen Beweggründe, ihre Ziele und Wertvorstellungen preis und entmystifizieren in nicht unerheblicher Weise das Berufsbild des modernen Kommunal- und Landespolitikers.« Dieser unaufgeregte politische Ansatz ist in Zeiten wildgewordener Wutbürger und wachsender Ressentiments gegen Andersdenkende nicht einmal unsympathisch. Dennoch wäre es nicht überraschend, wenn »Demokraten« am Ende im Vertrieb der Landeszentralen für politische Bildung landen würde.
Dabei bietet der Film durchaus spannende Einblicke in das zeitgenössische deutsche Parteiensystem und sein Personal. Auch die Kandidaten von SPD und Grünen entsprechen letzlich dem Bild des weißen deutschen Mannes um die 50. Obwohl die beiden nicht so unsympathisch wirken wie Dregger, erscheinen sie eher fade. Klaus Lederer und Susanne Graf verköpern die jüngere Generation. Lederer, Landesvorsitzender der Linkspartei, hat als einziger der Porträtierten eine parteipolitisch bedeutende Position inne. Politisch bildet der 38jährige den Gegenpol zu Dregger. Der offen schwule Sozialist bestreitet seinen Wahlkampf am liebsten im knallroten Oberhemd. Seine Ausführungen über die realsozialistische Vergangenheit der DDR und die kapitalistische Gegenwart sind von Nachdenklichkeit geprägt. Dass Lederer nicht typisch für seine Partei ist, beweisen die Bilder von Wahlkampfveranstaltungen der Linken.
Bei der zuweilen naiv wirkenden Susanne Graf weiß man manchmal nicht, ob man lachen oder weinen soll. Wenn sie erzählt, dass sie Ballerina oder Tierärztin werden wollte, glaubt man ihr das sofort. Bei ihrer Wahl war die Piratin noch nicht einmal 20 Jahre alt. Eine ihrer ersten Amtshandlungen bestand darin, ihren Lebenspartner Christopher Lang, Bundespressesprecher der Partei, als Mitarbeiter einzustellen; was allerdings in der Öffentlichkeit und auch in ihrer eigenen Partei gar nicht gut ankam. Die Geschichte taucht im Film nicht auf. Man sieht aber, wie Lang in den Szenen mit Graf immer wieder die Blicke der Kamera auf sich zieht. Symbolisch aufgeladen wirkt eine der wenigen Szenen, in denen Graf ohne ihren Freund zu sehen ist: Allein und sehr verloren betritt die junge Frau am Wahlabend das Abgeordnetenhaus. Sympathisch wirkt es, wie offen Graf über ihre Ängste vor dem Dasein als Poli­tikerin spricht. Politisch würde sie als junge Grüne oder Linke durchgehen, ein bisschen Reformpädagogik hier, ein bisschen Drogenlega­lisierung da. Eher untypisch wäre aber eine politische Sozialisation im Chaos Computer Club, wie sie Graf beschreibt.
Seine besten Momente hat der Film dort, wo die Wahlkämpfer auf das reale Berlin und dessen Bewohner treffen. Beim Plakatekleben im Regen, beim Zettelverteilen im Mauerpark oder beim Gespräch mit dem einfachen »Wahlvolk« – immer wieder erobern sich höchst unterhaltsame Berliner Originale ohne viel Mühe den Platz vor der Kamera. Und oft ist das hässlich-schöne Berlin als Stadt mit seinen Szenevierteln, U- und S-Bahnen, Mauerstreifen, Parks und Gewässern selbst der Protagonist.

»Demokraten« (Deutschland 2012).
Regie und Produktion: Levi Salomon.
Der Film hat am 22. April Premiere im Kino Babylon,
Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, und wird am 25. April im Filmtheater am Friedrichshain gezeigt.