Die italienischen Rechtspopulisten organisieren sich neu

Rassismus geht auch ohne Bossi

Nach dem Rücktritt des Parteivorsitzenden der Lega Nord wegen eines Korruptionsskandals wollen die italienischen Rechts­populisten ihr vulgäres Image loswerden und eine Mehrheitspartei werden.

Mehr als zwei Jahrzehnte führte Umberto Bossi die Lega Nord. Eine Mischung aus demonstrativ vulgärer Virilität und obszönen Hasstiraden vermochten die von rassistischen Ressentiments getriebene Anhängerschaft der Partei noch zu begeistern, als die Drohungen, nach Rom zu marschieren, um die selbsternannte Autonomie­region »Padanien« vom Joch des Zentralstaats zu befreien, längst nur noch ein folkloristisches Parteiritual waren.
Bossi trat am 5. April vom Parteivorsitz zurück, nachdem bekannt geworden war, dass die Staatsanwaltschaft wegen Veruntreuung von Parteigeldern gegen ihn ermittelt. Er hat sich mutmaßlich jener Vergehen schuldig gemacht, deren er selbst die Politikerklasse aus dem »Roma ladrona« (räuberischen Rom) bezichtigte. Nach seinem 2004 erlittenen Hirnschlag, von dem er sich nie vollständig erholte, versuchte er, seine charismatische Herrschaft als Familientradition fortzuführen. Neben Diplomen und Autos für seinen Sohn Renzo sollen für die Ehefrau die Gründung einer Privatschule und die Renovierung der Familienvilla aus der Parteikasse finanziert worden sein.
Die Ermittlungen betreffen nicht in erster Linie den patriarchalen Nepotismus Bossis, sondern schwere Korruptionsvorwürfe gegen ranghohe Parteifunktionäre. Bereits seit Anfang des Jahres wird gegen den lombardischen Regionalratspräsidenten Davide Boni wegen Schmiergeldzahlungen ermittelt. Francesco Belsito, dem inzwischen zurückgetretenen Schatzmeister der Lega Nord, werden neben Veruntreuung von Parteigeldern auch Betrug und Geldwäsche vorgeworfen. Nachweislich hatte er Kontakt zu Geschäftsleuten, die im Verdacht stehen, in Norditalien für die ’Ndrangheta tätig zu sein.
Den skandalösen Enthüllungen zum Trotz demonstrierten vorige Woche Tausende Anhänger der Lega Nord in Bergamo. Sie waren mit ihrem »padanischen Stolz« und Kehrbesen angereist, um in gewohnt populistischer Manier ihren Willen zur »Säuberung« der Partei zu manifestieren. Die aufgebrachte Menge wählte sich Bossis engste politische Mitarbeiterin, Rosy Mauro, zum Sühneopfer. Nachdem sie sich geweigert hatte, ihr Amt als stellvertretende Präsidentin des italienischen Senats niederzulegen, obwohl auch ihr Schwarzgeld der Partei zugeflossen sein soll, wurde sie aus der Lega ausgeschlossen. Außerdem kündigten die parlamentarischen Fraktionsspitzen an, dass die Partei auf die nächste Ausschüttung der staatlichen Wahlkampfrückerstattung verzichten wolle. Die demonstrative »Selbstreinigung« macht den Skandal nicht ungeschehen.

Die Krise der Partei währt schon länger. Bossis Rücktritt erfolgte nur wenige Monate nach Silvio Berlusconis erzwungenem Abgang. Beide Männer hatten sich Anfang der neunziger Jahre, nach dem Ende der »Ersten Republik« mit der Aufdeckung des unter dem Namen Tangentopoli bekannten Systems aus Korruption und illegaler Parteienfinanzierung, als »Saubermänner« einer neuen Politik präsentiert. 20 Jahre später endet auch die sogenannte Zweite Republik mit Korruptionsskandalen. Der Abgang von Berlusconi und Bossi markiert zwar das Ende einer politischen Ära, doch ihre rechtspopulistische Wählerschaft bleibt, denn die politische Kultur, die beide Männer verkörpern, hat die italienische Gesellschaft nachhaltig verändert.
Der »Nordest«, die nordöstlichen Regionen, galt lange als wirtschaftliches Zentrum Italiens. Die Lega Nord vertrat die Interessen der Kleinunternehmer und der mittelständischen Familienbetriebe aus den vermeintlichen Vorzeigeregionen des »emsigen Nordens«. Als sie die separatistische Propaganda durch die Forderung nach ­einem föderalen Steuersystem ersetzte, wurde die Lega zur Massenpartei. Dass der Reichtum Norditaliens auf der Ausbeutung illegalisierter Arbeitskräfte und mafiösen Geschäftspraktiken basiert, wurde von der Lega stets geleugnet. Ihre Wählerschaft störte sich offensichtlich nicht daran, dass sich der provinzielle Lokalpatriotismus der Partei mit dem offenen Rassismus gegen die als »Bingo-Bongo« verunglimpften afrikanischen Einwanderer und gegen die verachteten osteuropäischen Arbeitsmigranten verband. Bei den Re­gionalwahlen 2010 konnte die Lega Nord weit über die imaginierten Grenzen »Padaniens« hinaus einen Stimmenzuwachs verbuchen. In Venetien und im Piemont stellt sie den Regionalpräsidenten.
Die Oppositionsparteien haben sich in den vergangenen Jahren nie entschieden gegen die Lega Nord gestellt, sondern sie sogar immer wieder als mögliche Bündnispartnerin in Betracht gezogen. Immer noch ist die Einschätzung weit verbreitet, die Lega kanalisiere »Ängste« und sublimiere mit ihren Hetzreden die Wut der vermeintlichen Globalisierungsverlierer. Dabei hat die Partei mit ihren rassistischen Parolen dazu beigetragen, dass gewalttätige Übergriffe auf »Fremde« nicht nur möglich sind, sondern offen praktiziert und toleriert werden.

Nachfolger Bossis soll nun ausgerechnet Roberto Maroni werden, der einstige Innenminister, der unter anderem die Kriminalisierung von Flüchtlingen sowie die polizeiliche Zwangserfassung von Sinti und Roma angeordnet hat. Er steht für eine Kontinuität, die als Neuanfang verkauft wird. Gleichzeitig will der »venetianische Flügel« der Partei einen neuen Weg einschlagen: Die Partei soll endgültig mit der unflätigen xenophoben Rhetorik aufhören, um damit zur einzigen »Mehrheitspartei« Norditaliens zu werden. Als Vorbild für diese neue Parteilinie dient der Bürgermeister von Verona, Flavio Tosi. Er kann bei den Kommunalwahlen Anfang Mai auf ein Bündnis aus traditionellen Lega-Anhängern, enttäuschten Berlusconi-Parteigängern, bürgerlichen Katholiken, neofaschistischen Splitterparteien und rechtsradikalen Fußballfans zählen. Sollte er im ersten Wahlgang im Amt bestätigt werden, wird die Lega Nord gestärkt aus der aktuellen Krise hervorgehen. Der Skandal könnte nämlich die überfällige Loslösung von Bossi und den damit verbundenen Generationenwechsel in der Partei beschleunigen.