Griechische Wirtschaftsflüchtlinge in Berlin

Akropolis adieu

Immer mehr junge Griechinnen und Griechen suchen als Wirtschaftsflüchtlinge Arbeit im Ausland, zum Beispiel in Deutschland.

Die griechische Einwanderung hat sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland Tradition. Seit den fünfziger Jahren kamen Griechen als sogenannte Gastarbeiter in die ehemalige Bundesrepublik und als Bürgerkriegsflüchtlinge in die DDR. Ihren Höhepunkt erreichte die Einwanderung während der Zeit der Militärdiktatur 1967 bis 1973. Ausgelöst durch die seit drei Jahren andauernde Rezession zeichnet sich derzeit eine neue Einwanderungswelle aus Griechenland ab.
Die Arbeitslosigkeit in Griechenland ist im vorigen Jahr offiziell von 14 auf 22 Prozent gestiegen, bei Menschen unter 24 Jahren liegt sie inzwischen sogar bei 50 Prozent. Diejenigen, die noch Arbeit haben, müssen mitunter drastische Lohnkürzungen hinnehmen, anderen werden ihre Gehälter nur teilweise oder gar nicht ausgezahlt. Auch unter Akademikern liegt die Arbeitslosenrate über zehn Prozent; ein Drittel der Hochschulabsolventen bleibt nach dem Abschluss ohne Stelle. Laut der im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie »Jugend in Bewegung« ist über ein Drittel aller jungen Griechen bereit, dauerhaft in einem anderen europäischen Land zu arbeiten. In Deutschland denkt inzwischen sogar die Bundesarbeitsministerin laut darüber nach, junge Arbeitslose aus den südeuropäischen Krisenländern nach Deutschland zu holen, um dem Fachkräftemangel der vergleichsweise florierenden deutschen Wirtschaft abzuhelfen. Im Jahr 2011 meldeten sich rund 25 000 griechische Staatsangehörige in Deutschland neu an, doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Da sich aber längst nicht alle Neueinwanderer behördlich anmelden, gehen Schätzungen von bis zu 60 000 neuen Einwanderern aus Griechenland im vergangenen Jahr aus.

Im Gegensatz zu den Gastarbeitern der fünfziger Jahre sind die neuen Zuwanderer häufig gut ausgebildet. Viele von ihnen haben einen Hochschulabschluss, verfügen über Auslandserfahrung und sprechen mehrere Sprachen. Die wenigsten von ihnen kommen jedoch mit einem festen Jobangebot, wie etwa jene jungen Ärzte, die die Brandenburg-Klinik in Bernau bei Berlin seit inzwischen drei Jahren systematisch anwirbt, um dem Ärztemangel zu begegnen.
Viele haben zunächst Schwierigkeiten, ohne Arbeit und ohne Anspruch auf Sozialleistungen eine Wohnung zu finden. Die Bürgschaften ihrer griechischen Eltern, die junge Einwanderer oft als einzige Referenz vorweisen können, werden von vielen Vermietern angesichts der aktuellen Nachrichtenlage als nicht sicher genug abgewiesen. Daher teilen sich mitunter mehrere Neuankömmlinge ein Zimmer oder eine Wohnung, weshalb sie sich nicht behördlich anmelden können, was ihnen wiederum die Jobsuche erschwert.
Um diesen Schwierigkeiten auszuweichen, betreibt Antonia A. ihre Übersiedlung von Thessaloniki aus. Sie ist teilweise in Deutschland aufgewachsen und spricht fließend Deutsch. An der Hochschule der Künste in Berlin hat sie Musik studiert und in Wien einen Master in Kulturmanagement gemacht. Für ihre Arbeit am staatlichen Konservatorium in Thessaloniki hat sie – ebenso wie ihre Kollegen – seit anderthalb Jahren kein Gehalt mehr bekommen, für ihren Lebensunterhalt arbeitet sie zusätzlich als Musiklehrerin an einer deutschen Schule und gibt private Klavierstunden. Seit über einem Jahr sucht sie einen Job in Berlin, wofür sie immer wieder kurzzeitig nach Deutschland kommt. »Ich mag Berlin. Ich fühle mich wohl hier und ich möchte hier leben. Die Stimmung in Griechenland ist schlecht und ich sehe dort keine Perspektive für mich.«

Für viele Krisenflüchtlinge ist Berlin die erste Anlaufstelle in Deutschland, möglicherweise auch deshalb, weil »Berlin nicht Deutschland ist«, wie viele Alteingesessene Neuankömmlingen gerne versichern. Das Leben hier ist vergleichsweise preiswert und es gibt eine gut organisierte griechische Community mit einem Kulturzentrum und zahlreichen informellen Treffpunkten. Auf Facebook existiert seit über einem Jahr die Gruppe »Greek Berliners«, in der sich inzwischen über 1 600 Mitglieder, neue und alte Berliner Griechinnen und Griechen, über ihre Einwanderungsabsichten und ‑erfahrungen austauschen, Wohnungsgesuche und Jobangebote posten, Veranstaltungen ankündigen und über Alltags- und Geschmacksfragen diskutieren.
Hier hat sich auch Christos X., der seit November in Berlin ist, Hilfe geholt. »Deutsch zu lernen, ist das wichtigste«, weiß er inzwischen. »Ohne Deutschkenntnisse lassen sie dich hier noch nicht einmal Kartoffeln schälen.« Antonis P. hat ein Wirtschafts- und Informatikstudium in Athen und Piräus absolviert und nach seinem Studium in einem Computerladen gearbeitet, bis dieser schließen musste. In Deutschland, so hatte er gehört, finde man leicht eine Arbeit. Jetzt jobbt er für sechs Euro pro Stunde in der Küche eines griechischen Restaurants und macht nebenbei einen Deutschkurs an einer privaten Schule. Er ist optimistisch, dass er bald einen Job finden wird, der seinen Qualifikationen entspricht. Bleiben will er, bis es Griechenland wieder besser geht. Wann das jedoch sein soll, kann er sich nicht vorstellen.