Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich

Bienvenu à Hollande

Nach dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Frankreich liegt der sozialdemokratische Kandidat knapp vorne. Für die kommende Stichwahl bemüht sich der Amtsinhaber Nicolas Sarkozy auch um die Stimmen der erfolgreichen Rechten.

Eine Satiresendung des französischen Fernsehsenders Canal+ zeigt, wie François Hollande mit Füßen getreten wird. In dem Puppenspiel steht die Marionette, die ihn darstellt, an der Grenze zu Belgien, »um die Reichen davon abzuhalten, mit ihren Guthaben außer Landes zu fliehen«. Doch der sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat wird von den Millionären einfach in Panik niedergetrampelt.
Hollande dürfte der nächste französische Präsident werden. Auch wenn die Wahl­ergebnisse weniger deutlich zu seinen Gunsten ausfielen, als es die weit verbreitete Abneigung gegen den Amtsinhaber Nicolas Sarkozy hätte vermuten lassen. Mit 27 Prozent der Stimmen liegt Sarkozy im ersten Wahlgang vom Sonntag nur anderthalb Prozent hinter Hollande. Die inhaltliche Unschärfe des Programms seines Herausforderers hat wohl dazu beigetragen, dass der Abstand nicht so groß wurde wie prognostiziert. So dürfte auch die von Hollande angekündigte »Millionärssteuer« die Kapitaleigentümer kaum beunruhigt haben.

Wie sehr Hollande als Repräsentant eines Minimalkonsenses angesehen wird, mit dem sich die politische Mitte arrangieren kann, belegt etwa das vor den Wahlen angekündigte Abstimmungsverhalten wichtiger Vertreter des bürgerlichen Lagers. Nahezu die gesamte Familie des ehemaligen Präsidenten Jacques Chirac, Sarkozys bürgerlichem Amtsvorgänger, kündigte an, für Hollande zu stimmen. Nur seine Ehefrau Bernadette Chirac sei eine glühende Anhängerin Sarkozys, hieß es. Ähnlich wie Jacques Chirac hielten es auch frühere Mitarbeiter und ehemalige Minister unter Chirac und Sarkozy. In ihren Augen wäre Hollande als Präsident nicht so polarisierend wie Sarkozy, dessen Zurschaustellung seines Reichtums und oft autoritärer Führungsstil als Hindernisse für die Realisierung »notwendiger Reformen« betrachtet werden.
Hollande wird für die Stichwahl am 6. Mai allerdings noch weiter links Stimmen gewinnen müssen, auch wenn der Linkssozialist Jean-Luc Mélenchon mit elf Prozent der Stimmen nicht so gut abschnitt, wie es Umfragen mehrere Wochen lang prognostiziert hatten. Er vertritt ein eindeutig keynesianisches Programm. Der gesetzliche Mindestlohn solle um rund 300 Euro angehoben werden, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen ökologisch verträgliches Wachstum und Arbeitsplätze schaffen und 600 000 erschwingliche Wohnungen sollten gebaut werden. Dass Mélenchon den Keynesianismus in seinem Programm so hervorhebt, verdeutlicht außerdem, welch geringen Stellenwert dieser bei Hollande hat.
Am Wahlabend rief Mélenchon dazu auf, »ohne jegliche Gegenleistung« am 6. Mai »gegen Nicolas Sarkozy« zu stimmen. Es wird also voraussichtlich keine Verhandlungen zwischen ihm und Hollande geben. Am Montagmorgen verneinte auch Mélenchons Mitarbeiterin Clémentine Autin gegenüber Radio France Inter, dass ein Treffen zwischen beiden Kandidaten für Absprachen geplant sei. Mélenchons Aufruf, »ohne Wenn und Aber« für Hollande zu stimmen, passt deutlich zu seiner Strategie, unter den jetzigen Bedingungen nicht oder zumindest nicht sofort eine Regierungsbeteiligung anzustreben.
Die letzten Koalitionsbeteiligungen von linken Parteien, insbesondere die der französischen KP zwischen 1997 und 2002, waren aus Sicht dieser Parteien meist unbefriedigend. Im Nachhinein musste die KP jeweils große Stimmverluste hinnehmen. Unter den Bedingungen der derzeitigen Krisenverwaltung rechnet das Linksbündnis offenbar mit noch weniger Möglichkeiten für politische Maßnahmen gegen den »Druck der Märkte« oder für Umverteilung. Derzeit will es offenbar lieber sozialdemokratische Regierungen im Parlament tolerieren, als sich an der Kabinettsbildung zu beteiligen.
Eva Joly, die Kandidatin der Grünen, erhielt knapp 2,5 Prozent der Stimmen. Philippe Poutou und Nathalie Arthaud von der eher trotzkistischen radikalen Linken kamen nur auf 1,1 Prozent und 0,6 Prozent der Stimmen. In diesem Milieu sind keine stärkeren »Stimmenreserven« zu erwarten. Hollande wird sich in den nächsten zwei Wochen anstrengen müssen, die Herausforderung zu meistern.

Überraschend viele Wahlberechtigte stimmten für Marine Le Pen. Mit einem Anteil von 18 Prozent der Stimmen lag sie um mindestens einen Prozentpunkt höher, als in den für sie günstigen Umfragen vorausgesagt worden war. Bereits in der Vergangenheit hatte sich oft herausgestellt, dass die extreme Rechte in Vorwahlbefragungen weniger Stimmen bekam, denn viele Wählerinnen und Wähler bekennen sich nicht offen zu ihrer Gesinnung.
Im Laufe des Wahlkampfs hatte sich die Stimmung zugunsten der extremen Rechten gewandelt. Die Abschlussveranstaltung Le Pens am 17. April in Paris vor über 6 000 Menschen war ein voller Erfolg für die Rassistin und ihre Anhängerinnen und Anhänger. Das begeisterte Publikum war erheblich jünger als zu Zeiten Jean-Marie Le Pens, ihres Vaters und Vorgängers als Vorsitzender des Front National (FN). Damals verhielt sich das Publikum eher wie in einer Oper. In diesem Jahr glich die Atmosphäre der in einem Fußballstadion.
Die jungen Fans spendeten tosenden Beifall, schwenkten Fahnen und skandierten Slogans wie »On est chez nous! On est chez nous!« (sinngemäß: »Wir sind die Herren im Haus.«) Ein junger Mann rief den ganzen Abend über Parolen wie: »Pinochet hat es richtig gemacht! Die Linken – ab ins Stadion!« Eine Anspielung auf das als Konzentrationslager dienende Fußballstadion von Santiago de Chile 1973.
Das Regierungslager unter Sarkozy und seiner konservativ-wirtschaftsliberalen Partei UMP hatte in den letzten zwei Monaten vor dem Wahltermin den Wahlkampf der extremen Rechten teilweise mit bestritten. Zuletzt behauptete Sarkozy beispielsweise, die sozialdemokratische Parteivorsitzende Martine Aubry, seit 2001 Bürgermeisterin von Lille, habe dort »getrennte Schwimmzeiten für Männer und Frauen« eingeführt und sich dadurch muslimischen Fundamentalisten unterworfen. Damit bediente er rassistische Ängste vor »Überfremdung« und einer Islamisierung Frankreichs.
Tatsächlich hatte Aubrys Amtsvorgänger 1999/­2000 in einem einzelnen Schwimmbad der Stadt die Möglichkeit getrennter Schwimmzeiten gewährt, nachdem dies von einigen Frauen gefordert worden war. Nur hatte dies keinerlei religiöse Gründe: Manche ältere oder fülligere Frauen hatten sich einfach den von ihnen als störend empfundenen Männerblicken beim Schwimmen entziehen wollen. Inzwischen ist dieses Recht auf gesonderte Schwimmzeiten auf Antrag wieder abgeschafft worden. Ein Drittel der Frauen aus der damals gebildeten Schwimmgruppe hat seitdem auf die Bädernutzung verzichtet. In den vergangen Wochen hatte der Appell ans Ressentiment jedoch längst seine Wirkung getan, bevor die Widerlegung durch einzelne Zeitungsberichte erfolgte. Auch Marine Le Pen dürfte dies erheblich genutzt haben.

Sarkozy wird versuchen, im rechtsextremen Lager Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Dies begann bereits am Sonntagabend, als ausnahmslos alle Vertreterinnen und Vertreter Sarkozys in den Fernsehstudios vor allem mit dem »Ausländer­thema« polarisierten. Unter sozialdemokratischer Regierung handelten sich »die Franzosen, die das nicht wollen, das Ausländerwahlrecht« ein. Außerdem würden die sans papiers, illegalisierte Einwanderer, unter Hollande »in Massen legalisiert«. Überdies stellten sie eine Revision des Schengen-Abkommens zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen zwischen den einzelnen EU-Ländern in Aussicht, was tatsächlich in Sarkozys Programm steht.
Aber auch beim christdemokratisch und liberal geprägten Modem (Mouvement démocrate), der bislang oppositionellen Mitte-Rechts-Partei von François Bayrou, wird Sarkozy versuchen, Stimmen zu gewinnen. Bayrou erhielt als Präsidentschaftskandidat gut neun Prozent der Stimmen. Er grenzt sich bei »humanistischen Themen« oft als vermeintlich moderater Bewerber gegen Sarkozy und dessen Stimmungsmache gegen Migrantinnen und Migranten ab. Gleichzeitig vertritt Bayrou auf sozial- und wirtschaftspolitischem Gebiet offiziell eine noch härtere Linie. So tritt er etwa für ein Nullwachstum aller offiziellen Ausgaben in den kommenden zwei bis drei Jahren ohne Inflationsbereinigung ein. Das betrifft auch die Sozialhaushalte und bedeutet netto eine Reduzierung der Ausgaben.
Da Bayrou von vielen Stimmberechtigten vor allem als Verlegenheitskandidat gewählt wurde, der ideologisch weder eindeutig »links« noch »rechts« ist, und gleichzeitig gegen die großen Parteien sowie »ihre Vorherrschaft und ihre Dominanz über die Medien« wettert, ist seine Wählerschaft sehr heterogen. Umfragen am Tag nach der Wahl zufolge würde jeweils ein Drittel seiner Wählerschaft in der Stichwahl ihre Stimme für Sarkozy, Hollande oder überhaupt nicht abgeben. Unter den Wählerinnen und Wählern Le Pens würden hingegen 60 Prozent für Sarkozy und 18 Prozent für Hollande stimmen. Der Parteiführung des FN wäre aber eher eine saftige Niederlage Sarkozys recht, um danach die Rechte um die eigene Partei herum neu aufzubauen.