Steht nur auf seinen eigenen Bart

Rasiert euch, ihr Tröten!

Die Bärte der vermeintlichen Hipster sollen Unangepasstheit demonstrieren. Sie tun jedoch genau das Gegenteil.

Manche Dinge haben sich seit dem 12. Jahrhundert nicht geändert – die Ansicht über den Bart gehört unbedingt dazu. Damals schrieb Burchardus, ein Abt des Zisterzienserklosters Bellevaux, eine recht weitschweifige Abhandlung über Bärte, im Kern aber war es eine Art Gebrauchsanleitung. Für den Abt war der Bart eine Sache der ungebildeten Bauern – das Pack sollte sich ruhig die Haare im Gesicht wachsen lassen. Männern mit Anspruch, mit Ambitionen, wurde eine Rasur empfohlen.
Diese Empfehlung gilt bis heute, interessanterweise aus ganz ähnlichen Gründen. Denn wieder ist es das Pack, das sich einen Bart stehen lässt, und man muss schon eine halbgebildete Redakteurin des Kulturabschaffungsmagazins »Aspekte« im ZDF sein, um dieses Pack »Hipster« zu nennen. Die Tröten nämlich, die im Moment für den Niedergang des Stadtbildes sorgen, sind natürlich keine Hipster – es handelt sich um ein großes Missverständnis, im Mittelpunkt steht dabei der Bart, der gerade wieder eine Rolle spielt, die er nicht verdient. Es geht dabei um das Aussehen der Männer um die 30, die in diesem Jahr schon »Schmerzensmänner« hießen, oder eben »Hipster«, die wir hier aber der Wahrheit zuliebe Tröten nennen wollen.

Die Tröten haben sich in Treu und Glauben dem Korpsgeist unterworfen. Alles ist uniformiert, die Kleidung ebenso wie die Gedanken und die Meinungen und die Haltungen. Die Uniform der Tröten besteht aus zu engen Jeanshosen, aus Turnschuhen, die man Sneakers nannte, aus T-Shirts, deren V-Ausschnitt sich beachtlich dem Schritt nähert. Als Jacke dienen entweder sogenannte College-Jacken, schlecht sitzende Sakkos oder Parkas, die ironischerweise die Uniformiertheit der Tröten unterstreichen. Obligatorisch ist eine Brille mit dickem schwarzen Rahmen, und zwar auch für die, die keine Sehschwäche haben. Abgerundet wird das Ganze schließlich durch einen Jutebeutel, auf dem bestenfalls irgendwas Versautes steht. In diesem Jutebeutel beförderten die Tröten dann gerne irgendwelche Deppenmaga­zine, die es in Läden zu kaufen gibt mit Namen wie »Do you read me«. Die Deppenmagazine zeichnen sich dadurch aus, dass die Macher das Kunststück fertig bringen, nicht einen einzigen lesenswerten Text innerhalb der 300 Seiten zu platzieren, dafür aber Kunst- und Modestrecken mit belangloser Kunst und belangloser Mode. Auf eine Frisur im herkömmlichen Sinne verzichten die Tröten, nicht jedoch auf den Bart. Er soll die Unangepasstheit demonstrieren – und tut doch genau das Gegenteil. Die Werbeabteilung der Versicherungsgruppe Ergo sah vor kurzem darin einen Vorteil und bastelte eine Kampagne, bei der ein Schmerzenmann abgebildet ist – herausragende Eigenschaft: der Bart. Gefühlvolles versichern soll das wohl bedeuten, aber es wirkt, als ob man sich gegen dummes Zeug versichern könne. Spätestens jetzt war die barttragende Tröte im Mainstream angekommen. Hipster? Unsinn!

Zu definieren, wer oder was ein Hipster ist, muss nicht Aufgabe dieses Textes sein, diese Aufgabe hat Norman Mailer bereits erledigt, 1957 erschien im Magazin Dissent sein Essay »The White Negro«, der die schöne Unterzeile hatte »Oberflächliche Betrachtungen über den Hipster«. In dem Text steht alles drin, schön blöd also, wer sich ge­rade das Suhrkampbüchlein »Hipster: Eine transatlantische Diskussion« gekauft hat. Da steht nämlich gar nix drin. Mailer schreibt über den Hipster, dass es sich dabei um weiße Jungs handelt, die den Stil, die Kleidung, die Musik, die Sprache der Schwarzen übernommen haben – um sich so von der Gesellschaft zu distanzieren. Es geht um eine Jugend, die desillusioniert ist von zwei Weltkriegen und deren Sinnsuche sie zu Hedonisten macht, die Befriedigung vor allem im Sex findet. Gleichzeitig lehnen die Hipster jede Art von Konformismus ab – sie sind Rebellen, sie sind gegen das System, und Mailers Text stand am Anfang einer linken Bewegung in den USA, einer Gegenkultur, wie es sie nie zuvor gab. ­Keinen dieser echten Hipster hat man jemals mit einem Bart gesehen.
Mich übrigens schon. Seit mehr als sechs Jahren habe ich einen Bart. Der Grund dafür ist simpel: Ich sehe mit Bart besser aus als ohne Bart. Der Bart steht mir. Er passt zu mir. Er macht Sinn. Ich habe meinen Bart weder aus politischen noch aus religiösen Gründen. Er symbolisiert nicht meine Sicht auf die Welt, er transportiert keine Haltung. Ich trage meinen Bart mit absoluter Gleichgültigkeit, manchmal denke ich: mit Verachtung.

Matthias Kalles Bart kann man sich live angucken: Am 26. April um 20 Uhr liest er aus seinem neuen Buch »Normal hält das – Vom Hausbau und anderen Katastrophen« im Prince Charles, Moritzplatz 1, Berlin-Kreuzberg.