Nationalismus und Repression gegen Linke und Migranten

Schuld sind nur die anderen

Vor den Wahlen bedienen fast alle politischen Kräfte in Griechenland den ohnehin virulenten Nationalismus Stimmung. Betroffen davon sind vor allem Migranten und die antinationalistische linke Opposition.

Die Umfragen vor den Wahlen am 6. Mai machen deutlich, dass die Wirtschaftskrise die griechische Gesellschaft in den vergangenen Monaten noch tiefer gespalten hat. Die große Koalition aus Konservativen (ND) und Sozialdemokraten (Pasok) könnte zwar den letzten Zahlen zufolge 42 Prozent der Stimmen erreichen und damit regierungs­fähig sein, doch links von den Sozialdemokraten erhalten Linke bis Linksradikale, Kommunisten und Grüne über 30 Prozent, und auf der rechten Seite finden ultrarechte und faschistische Parteien fast 20 Prozent Zuspruch.
Nach der Verabschiedung des zweiten Memorandums im Februar hat das »Social Engineering«, mit dem laut Historiker Antonis Liakos versucht wird, durch Verweis auf Sachzwänge das Lebensniveau zu senken und das Sozialsystem auszuhöhlen, eine neue Dimension erreicht.

Manchmal werden Löhne monatelang nicht gezahlt. Auch deshalb befinden sich die Arbeiter des Stahlwerks Helliniki Halivourgia im Streik. »Ein Arbeiter im Stahlwerk verdiente vor der Krise von 740 bis 900 Euro brutto für diese extrem gefährliche Arbeit«, berichtet der Betriebsratsvorsitzende Giorgos Sifonios. Seit der Besitzer der Fabrik im Herbst 2011 Kurzarbeit einführen wollte, streiken die 380 Stahlarbeiter und Angestellten und leben von Solidaritätszahlungen aus aller Welt. Außerdem werden sie mit Gemüse und anderen Spenden aus der Region versorgt. »Im Februar senkte die Regierung mit ihrem zweiten Memorandum den ohnehin niedrigen gesetzlichen Mindestlohn«, klagt Sifonios. »Selbst wenn wir hier im Werk weiterhin Vollzeit arbeiten würden, kämen wir nur noch ungefähr auf 586 Euro brutto.« Angestellte unter 25 Jahren bekämen noch weniger. Und das bei im europäischen Vergleich sehr hohen Lebenshaltungskosten.
Und nun stehen Wahlen an. Nachdem der deutsche Finanzminister der griechischen Regierung dazu »geraten« hatte, die eigentlich für Anfang des Jahres vorgesehenen Wahlen zu verschieben, scheint der Termin im Mai unausweichlich, um wenigstens den Anschein eines demokratischen Europa zu wahren. Loukas Papadimos, der ehemaliger Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, steht schon seit Anfang November 2011 der immer wieder als »technokratisch« bezeichneten Regierung vor. Die Mehrheit der griechischen Bevölkerung nimmt sowohl die EU-Regierungen, die internationalen Institutionen sowie die griechischen Parteien als korrupt und inkompetent wahr. Die Wahlen werden von den Politikern als letzter Ausweg gesehen, ein bisschen demokra­tische Legitimität wiederherzustellen. Die Umfragewerte sagen den etablierten Parteien allerdings einen Verlust der Hälfte ihrer Stimmenanteile im Vergleich zur letzten Wahl im Oktober 2009 voraus. Dafür werden voraussichtlich fünf neue Parteien, unter anderem die Neonazi-Schlägertruppe Chrysi Avgi (»Goldene Morgendämmerung«), die Drei-Prozent-Hürde überspringen und damit den Einzug ins Parlament schaffen. Diese Renaissance des Nationalismus ist ein Produkt der Krise.

Besonders in den vergangenen Monaten kultivierten die meisten Parteien, einschließlich der Kommunistischen Partei, nationalistische Parolen. Dies dient vor allem der Ablenkung von der Verantwortung der griechischen Regierung für den finanziellen Zusammenbruch des Staates.
Die griechische Regierung projiziert die Schuld an der wirtschaftlichen Situation auf die EU, die wirtschaftliche Reformen als Gegenleistung für die Kredite fordert. Die Unsinnigkeit der von IWF und EU auferlegten Reformen wird durch die Talfahrt der Wirtschaft, die Konkursrate der Unternehmen und die Arbeitslosen- und Armutsrate belegt. Und die Regierung betont nur allzu gerne, sie folge nur dem Diktat der Kreditgeber. Die Idee, dass die Bedrohung Griechenlands ausschließlich von außen komme, täuscht über die Interessenunterschiede verschiedener Gruppen und die riesigen Klassendifferenzen in der griechischen Gesellschaft hinweg.
Und der Nationalismus verbleibt nicht auf der Diskursebene. Nicht nur ultrarechte Kräfte, auch Antonis Samaras von ND propagiert eine Null-Toleranz-Politik. Recht und Ordnung müssten wieder hergestellt werden. Personen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht den nationalistischen Idealen entsprechen, werden Repressionen aus­gesetzt.
So ist seit Wochen das Interesse von Politik und Medien auf illegalisierte Migrantinnen und Migranten gerichtet. »Die Öffentlichkeit wird manipuliert, so dass sie die eigentlichen Ursachen der sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes vergisst. Stattdessen benutzen Politiker uns Immigranten als Sündenböcke«, erklärt eine afrikanische Aktivistin, die nicht namentlich genannt werden will. In den Medien ist von 30 geplanten Internierungslagern die Rede, in denen die Regierung von ND und Pasok illegalisierte Migrantinnen und Migranten inhaftieren möchte.
Anfang April wurde zudem ein Gesetzentwurf diskutiert, der vorsieht, alle illegalisierten Einwanderer einem obligatorischen »Seuchentest« zu unterziehen. »Durch die verwendete Sprache wird unterstellt, dass die betroffenen Menschen Schädlinge, Ungeziefer seien, eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit«, kritisiert die philippinische Organisation Kasapi. Im Gesetzentwurf liest sich das so: »Sie leiden an Infektionskrankheiten und gehören zu Risikogruppen wie Drogenabhängigen, Sex-Arbeiterinnen und Leuten, deren Lebensumstände nicht den hygienischen Standards entsprechen.«

Auch linke, antiautoritäre und anarchistische Bewegungen werden kriminalisiert. Nachdem die Polizei während der Parlamentsabstimmung über das Memorandum II am 12. Februar auf dem Syntagma-Platz in Athen Tränengas eingesetzt hatte, wurden Dutzende Banken angesteckt und vor allem Edelgeschäfte »entglast«. Samaras wetterte am nächsten Tag über die »vermummten Bastarde« und versucht nun, der Bewegung ein wichtiges Organisationsinstrument zu nehmen. In einem Fernsehinterview erklärte er am 10. April, im Falle eines Wahlsieges die Server von Indymedia, dem Onlineforum der radikalen Linken, schon am Tag nach den Wahlen abzuschalten. Als Anlass galt die Veröffentlichung einer militanten Gruppe, die die offene und unmoderierte Plattform von Indymedia genutzt hatte, um das Bekennerschreiben für einen Anschlag zu publizieren. Indymedia ist einem Aktivisten vom Digital Liberation Network zufolge ein wichtiges Instrument linker Selbstorganisation und »eine der wenigen, wenn nicht die einzige Möglichkeit, sich über staatliche Gewalt und Propaganda in Griechenland zu informieren«.
Mit der Konfiszierung könnte die Regierung gleich mehrere Mittel des Widerstandes aushebeln. Denn die Server stehen hauptsächlich an öffentlichen Orten wie Universitäten. Bis zum vorigen Herbst galten diese als Rückzugsorte. Der Polizei war es seit dem Ende der Diktatur 1974 untersagt, deren Gelände zu betreten. Das ermöglichte es vielen alternativen Projekten, sich dort anzusiedeln. Aber nun wird Druck gemacht. Das Universitätsasyl wurde ausgesetzt und Generalbundesanwalt Ioannis Tentes gab Anweisungen, rechtlich gegen Universitätsangestellte vorzugehen, die Besetzungen und alternative Projekte auf ihrem Gelände tolerierten.
Auch im traditionell linken, von Anarchisten geprägten Athener Stadtteil Exarchia werden Exempel statuiert. Am Freitag voriger Woche riegelte ein großes Polizeiaufgebot den gesamten Stadtteil ab. Zwei selbstverwaltete und besetzte Sozialzentren wurden geräumt, beide im Herzen des Kiezes, am Exarchia-Platz. Doch die provokative Repression produziert zugleich regen Widerstand. Ein geräumtes Zentrum wurde gleich am nächsten Tag wiederbesetzt, als sich Hunderte von Menschen zu einem Solidaritätskonzert versammelten und es der Polizei so unmöglich machten, das Gebiet zu kontrollieren.
Auch Migranten und antirassistische Organisationen, Gewerkschaften und linksradikale Parteien haben für diese Woche zu massiven Protesten gegen Internierungslager und Polizeigewalt aufgerufen. Aber die Tatsache, dass die traditionellen linken Parteien nicht in der Lage oder auch nur bereit sind, die nationalistische und repressive Stimmung zu kritisieren, ist sehr problematisch. Die patriotische, antiimperialistische Tendenz der Linken wurzelt im Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Zweitem Weltkrieg und im Kampf gegen die von der USA unterstützte Militärdiktatur. Diese Geschichte verstärkte die antiimperialistischen Reflexe gegen die Sparprogramme, die nun von EU und IWF verordnet werden.
Allerdings können nur wirklich antinationale und libertäre Argumente sowie eine breite Zusammenarbeit über Grenzen, Nationalitäten und Herkünfte hinweg zwischen Linken, Anarchisten, Migranten und anderen Basisgruppen dazu beitragen, die nationalistische Hysterie zu bekämpfen und eine Wirtschaftspolitik zu kritisieren, die vor allem der Sicherung der Privilegien der Besitzenden innerhalb und außerhalb Griechenlands dient.