Gespräch mit David Harris über den Wahlkampf in den USA und den Atomkonflikt mit dem Iran

»Wir wollen keine iranische Bombe«

Der Staat Israel feiert diese Woche seinen 64. Geburtstag. David Harris ist seit 1990 Leiter des weltweit tätigen American Jewish Committee (AJC). Die Jungle World sprach mit ihm über das Geheimnis der »Israel-Lobby«, den Wahlkampf und den demographischen Wandel in den USA sowie über den Atomkonflikt mit dem Iran.

Die Kritik, die auf die Veröffentlichung von Günter Grass’ Text »Was gesagt werden muss« folgte, bezeichnete ein Kommentator im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk als »Wutschnauben der jüdischen und deutsch-israelischen Lobby«. Ist das auch eine typische Reaktion auf Ihre Arbeit, vor allem seit John Mearsheimers und Stephen Walts 2006 erschienenem Buch »Die Israel-Lobby und die US-Außenpolitik«?
Erstens ist das Buch Unfug, schlecht argumentiert und recherchiert. Leider hat es in Teilen Europas ein längeres und respektvolleres Leben als in den USA. Zweitens ist »Lobby« in den USA kein Schimpfwort, und der Versuch, es mit Verschwörungen zusammenzubringen, ist komplett irreführend. Die Verfassung der USA lädt die Menschen ein, mit Anliegen an die Regierung heranzutreten, und viele tun das zu verschiedensten Themen. In diesem Sinne gibt es keine jüdische Lobby. Es gibt Gruppen wie das AJC, die pro-israelisch sind, aber selbst innerhalb derer gibt es viele Meinungsverschiedenheiten.
Die Rede von einer »jüdischen Lobby« spielt mit der Vorstellung einer organisierten Verschwörung, das gab es in der Geschichte des Antisemitismus mehr als einmal. Man könnte beispielsweise auch ein sehr interessantes Buch über die saudi-arabische Lobby schreiben, aber daran besteht offenbar kein Interesse. Ich bin stolz darauf, Teil der Israel-Lobby in den USA zu sein, und anders als die Autoren Walt und Mearsheimer kenne ich das Geheimnis dieser Lobby: Sie spiegelt die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung wieder. Es gibt keine Verschwörung einer kleinen Gruppe, um die mächtigste Regierung der Welt zu kontrollieren. Die Mehrheit der ame­rikanischen Bevölkerung identifiziert sich mit Israel und unterstützt die amerikanisch-israelischen Beziehungen, weil dies im Interesse der USA ist. Der einzige verlässliche Partner der USA im Nahen Osten, der einzige Repräsentant der für die US-Geschichte prägenden jüdisch-christlichen Zivilisation, und das einzige Land, das mit Technologie, Wissenschaft usw. zur Entwicklung beiträgt, ist Israel. Das ist das ganze Geheimnis.
In den USA findet gerade ein demographischer Wandel statt. Latinos werden zur größten ­Bevölkerungsgruppe. Wird sich dadurch das Verhältnis zu Israel ändern?
Die amerikanische Demographie war stets im Wandel begriffen und das wird auch noch lange so bleiben. Latinos gewinnen an Einfluss und das AJC hat zu ihnen schon seit Jahren partnerschaftliche Beziehungen geknüpft. Aber auch hier gibt es keine einzelne Latino-Community, die Menschen kommen aus vielen verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen kulturellen oder religiösen Hintergründen. Wir treffen bei vielen Latinos auf große Offenheit, auch weil das AJC nicht nur zum Nahen Osten arbeitet, sondern zum Beispiel auch zur Immigration, dem vielleicht wichtigsten Thema in den USA. Wir organisieren ständig Reisedelegationen zwischen den USA, Lateinamerika und Israel, um die jeweils andere Perspektive zu verstehen. Zudem haben wir das große Glück, dass unter den Latinos in den USA Zehntausende Juden sind, wichtige Führungskräfte des AJC kommen etwa aus Mexiko, Chile, Argentinien oder der Dominikanischen Republik. Sie sind Brückenbauer für uns. Und es sind Leute, die nicht in den dreißiger Jahren aus Polen mit den furchtbarsten Erinnerungen geflohen sind, sondern sie lieben ihre Herkunftsländer, die sie aus wirtschaftlichen Gründen verlassen haben. Ich bin deshalb sehr optimistisch, dass das Verständnis zwischen jüdischen und lateinamerikanischen Communities wächst. Die Ideologie eines Hugo Chávez oder Fidel Castro hat unter Latinos in den USA dagegen nur wenige Anhänger.
Welche Rolle werden die Themen Israel und Iran im gerade beginnenden Präsidentschaftswahlkampf spielen?
Zunächst muss ich betonen, dass das AJC überparteilich ist und mit jeder Regierung zusammenarbeitet, die von der amerikanischen Bevölkerung gewählt wird. Wir haben gerade eine neue Studie über die politischen Prioritäten der amerikanischen Juden veröffentlicht. Sie sind wie andere Amerikaner auch keine »Ein-Themen-Wähler«. Die letzte Studie vom Herbst ergab, dass die Wirtschaft das wichtigste Thema für sie war. Aber mit Blick auf andere Studien gibt es ein klares Kriterium, über das sich Wahlverhalten vorhersagen lässt: der Grad an Religiosität. Egal, ob jemand Christ, Jude oder andersgläubig ist, je religiöser eine Person ist, desto wahrscheinlicher wird sie die Republikaner wählen. Die Frage der Religion spaltet Amerika.
Lassen Sie uns über den Iran reden, das beherrschende Thema auch Ihrer Arbeit. Wie schätzen Sie die Lage nach der ersten Runde der neuen Atomverhandlungen ein?
Über Sieg oder Niederlage entscheidet für mich, ob der Iran die Kapazitäten zum Bau von Atomwaffen und Trägersystemen erlangt oder nicht. Wenn es dem Regime gelingt, haben wir verloren. Gerade befinden wir uns in einer entscheidenden Phase, aber für das AJC kam diese Frage schon vor 15 Jahren auf, während der ersten leisen Versuche der Regierung unter Bill Clinton, mit dem Iran Kontakt aufzunehmen. Dann kam der von Deutschland initiierte »Kritische Dialog« usw., aber der Punkt der Entscheidung rückt schnell näher. Was sich heute aus meiner Sicht verändert hat, ist erstens, dass die Welt besser verstanden hat, dass es Israel ernst meint und Netanyahu nicht blufft. Das hat eine ganz neue Dynamik der Diplomatie geschaffen. Zweitens gibt es die Erkenntnis, dass Sanktionen verstärkt werden müssen. Die EU-Sanktionen gegen die iranische Zentralbank und die Ölimporte vom 23. Januar waren wichtig, auch wenn viele sich eine schnellere Implementierung als zum 30. Juni gewünscht haben. Aber das Datum rückt näher. Wenn der Westen jetzt China und Indien überzeugen kann, kein billiges Öl aus dem Iran zu kaufen, kommen wir in eine noch bessere Position. Dann machte Obama am 30. März deutlich, dass containment keine Option darstellt und er eine iranische Bombe nicht akzeptieren wird. Die Phase der frustrierend langsamen Schritte ist vorbei.
Die Frage bleibt, ob die Atomgespräche mit ihrer zweiten Runde in Bagdad am 23. Mai nur eine clevere iranische Täuschung sind, um Zeit zu gewinnen und dem Westen die Illusion einer diplomatischen Entwicklung zu vermitteln, während sich die Zentrifugen weiter drehen und die unterirdische Anlage in Fordo weitergebaut wird. Die nächsten Monate werden für die Weltgeschichte von großer Bedeutung sein. Die westlichen Regierungen, die sich mit Worten dazu verpflichtet haben, den Iran zu stoppen, werden geprüft. Wir müssen beten – und ich meine das nicht im religiösen Sinne –, dass sie diesen Test bestehen, und wir müssen sie immer wieder an ihre Worte und Verpflichtungen erinnern.
Wie könnte ein Abkommen mit dem iranischen Regime überhaupt aussehen?
Ich habe Zweifel, ob ein Abkommen möglich ist, aber es müsste umfassende Kontrollen beinhalten. Wir treten nicht für Krieg ein, aber wir fordern eine glaubwürdige militärische Option, die den Iran von unserer Ernsthaftigkeit überzeugt. Ironischerweise ist meiner Meinung nach die einzige Chance, eine militärische Konfron­tation zu vermeiden, die Sanktionen zu intensivieren, die Staaten und Unternehmen, die die Sanktionen brechen, unter Druck zu setzen, und die iranische Führung mit dieser glaubhaften militärischen Option zu konfrontieren. Niemand hat das Verlangen nach mehr Krieg, aber noch viel weniger wollen wir eine iranische Bombe.