Das Urteil gegen die Extremismusklausel

Im Hobbykeller des Revisionismus

Das Verwaltungsgericht Dresden hat die »Extremismusklausel« für rechtswidrig erklärt, die zu unterzeichnen das Familienministerium von Antifa-Gruppen verlangt, wenn sie staatliche Fördergelder beantragen. Das Ministerium zeigt sich davon unbeeindruckt.

Der April war für Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) nicht gerade vergnüglich: Ihr Buch »Danke, emanzipiert sind wir selber!« wurde praktisch einhellig verrissen und im nicht unbedingt als radikalfeministisch geltenden NDR gar als Rücktrittserklärung bezeichnet. Gleich darauf musste Schröder – mit mangelndem Enthusiasmus, so viel muss man ihr lassen – das von fast allen außer der CSU kritisierte Betreuungsgeld verteidigen, und dann kam auch noch das Dresdner Verwaltungsgericht daher und erklärte die berüchtigte »Extremismusklausel« für rechtswidrig.
Geklagt hatte das Alternative Kultur- und Bildungszentrum (Akubiz) aus Pirna, das, wie alle Vereine und Organisationen, die für ihre antifaschistische Arbeit Fördergelder von Schröders Ministerium beantragen, die »Demokratieerklärung« unterzeichnen sollte. Damit sollen sich die Gruppen zur »freiheitlich-demokratischen Grundordnung« bekennen und sich verpflichten, auch ihre Kooperationspartner auf deren Treue zum Grundgesetz zu überprüfen. Das Akubiz weigerte sich jedoch und zog vor Gericht. Und bekam Recht. Die Richterin befand, dass die zweite Passage, also die Erklärung, dass man für seine Partner bürge, zu unbestimmt sei, da nicht hinreichend geklärt werde, wer »Partner« sei und welches Verhalten dem Verein konkret abverlangt werde.

Leider heißt das noch lange nicht, dass die Extremismusklausel bald der Vergangenheit angehören wird. Bislang ist das Urteil noch nicht rechtskräftig – ob das Bundesfamilienministerium in Revision gehen wird, bleibt abzuwarten; bis zum Redaktionsschluss lag lediglich die harsche Erklärung vor, man werde zunächst an der bisherigen Praxis festhalten.
Auch wenn das Urteil Bestand haben sollte, dürfte Schröder nicht so schnell aufgeben. Da Frauenförderung und ähnliche Zuständigkeiten ihres Ministeriums erklärtermaßen nicht zu ihren Vorlieben gehören, widmet sie sich schließlich seit ihrem Amtsantritt in erster Linie ihrem Lieblingshobby, dem Kampf gegen »Extremismus«. Und da im Gerichtsurteil nicht steht, dass die Klausel abgeschafft werden müsse, ist zu befürchten, dass das Ministerium es vielmehr als Aufforderung verstehen wird, die Erklärung zu präzisieren – will heißen: zu verschärfen. Vorstellbar wäre etwa, dass künftig als Richtlinie für die gegenseitige Gesinnungsschnüffelei explizit der Verfassungsschutzbericht herangezogen wird; und der stellt ja bekanntlich alles unter Generalverdacht, was unter Antifaschismus mehr versteht als Lichterketten oder gar einen Zusammenhang zwischen faschistischen Ideologien und dem herstellt, was in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung als völlig akzeptabel gilt – Bundeswehreinsätze zur Sicherung »unserer« Rohstoffe, sogenannte Israel-Kritik oder Abschiebeknäste, um nur einige Beispiele zu nennen.

Denn so etwas passt natürlich nicht in die herrschende Lehre vom »Extremismus von links und rechts«, die seit dem Ende des realexistierenden Feindbildes »Sozialismus« gleichsam zur Staatsideologie erhoben wurde. Dass diese Denkfigur ihren Ursprung im rechtskonservativen Milieu hat, ist dabei kein Zufall. Zur Erinnerung: 1986 trat Ernst Nolte den sogenannten Historikerstreit los, indem er in der FAZ gemäß der in Revisionistenkreisen beliebten Devise »Man wird ja wohl noch … « mit treuherzigem Augenaufschlag fragte: »War nicht der ›Archipel Gulag‹ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ›Klassenmord‹ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ›Rassenmords‹ der Nationalsozialisten?«, also, weniger geschwollen ausgedrückt, den Nationalsozialismus und seine Verbrechen zur Notwehr gegen den Bolschewismus erklärte.
Eine dermaßen offene Rechtfertigung des NS-Terrors blieb zwar nicht unwidersprochen, sonst hieße es ja nicht Historikerstreit; den Faschismus als kleineres Übel gegenüber dem Kommunismus darzustellen, ging vielen dann doch zu weit. Nolte und seinen nicht gerade wenigen Unterstützern aus dem FAZ-Milieu war es damit jedoch gelungen, die Totalitarismusthese, also die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Staatssozialismus, wieder salonfähig zu machen. Diese war für einige Jahrzehnte verschwunden, nachdem die Achtundsechziger-Generation sie als das entlarvt hatte, was sie ist: eine Rechtfertigungsideologie konservativer bis offen revisionistischer Kreise zur Relativierung des Nationalsozialismus. Der Boden war also bereitet, als der Realsozialismus zusammenbrach und die Sieger des Kalten Krieges begannen, die Geschichte neu zu schreiben. Die Resultate ließen nicht lange auf sich warten: das »Schwarzbuch des Kommunismus«, der neue deutsche Opferkult, die Rede von den »zwei deutschen Diktaturen« – womit dann doch immer wieder nur die DDR gemeint ist – und nicht zuletzt die Mär vom »Extremismus von links und rechts«, die mittlerweile Einzug in die Schulbücher gehalten hat.

Wohin so etwas führt, sieht man an der Piratenpartei, die eine Generation repräsentiert, die im Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterricht nie etwas anderes gehört hat. Da viele ihrer Mitglieder offenbar nicht gelernt haben, links und rechts auseinanderzuhalten, verwundert es nicht, dass so manche von ihnen Statements abgeben wie das Bundesvorstandsmitglied Matthias Schrade: »Wenn jemand aus antifaschistischen Gründen Häuser anzündet oder Steine wirft, dann verurteile ich den genauso wie jemanden, der das gegen Ausländer macht.« Und es passt in die Zeit, dass sich niemand an Äußerungen wie dieser stört: »Unübersehbar gibt es eine Tendenz der Entweltlichung des Holocaust. Das geschieht dann, wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist.« Das klingt zwar vornehmer als Martin Walsers »Auschwitzkeule«, meint aber letztlich dasselbe. Derjenige, der das abgesondert hat, ist mittlerweile Bundespräsident.
Angesichts dessen ist nicht zu erwarten, dass nach dem Dresdner Urteil zusammen mit der Extremismusklausel auch gleich die ihr zugrunde liegende Ideologie auf den Prüfstand gestellt wird. Wäre das Engagement gegen rechts nicht, wie alles im Kapitalismus, mit Kosten verbunden, müsste man den entsprechenden Gruppen daher eigentlich raten, das Geld aus dem Extremismusministerium rechts liegen zu lassen – vielleicht mit den Worten: Danke, antifaschistisch sind wir selber.