Humor und Politik in den USA

Ausgelacht

Über Humor und Politik in Amerika.

Merkwürdig, dass die Wohltäter der Menschheit amüsante Menschen sein sollen«, bemerkt der Erzähler in Saul Bellows Roman »Ravelstein«. »Zumindest in Amerika ist das oft der Fall. Jeder, der dieses Land regieren möchte, muss es unterhalten.« Dass zur poli­tischen Macht auch das Entertainment gehört und das Zuckerbrot die Peitsche komplementiert, ist längst kein Geheimnis mehr und noch nicht einmal ein Phänomen der Neuzeit. Einzig wie sehr Politik und Show inzwischen miteinander verschlungen sind, mag noch überraschen. Die Rede von »Brot und Spielen« bezeichnet nicht mehr nur ein manipulatives Verhältnis der sogenannten Herrschenden zu ihren Subjekten, das die Menschen infantilisiert und von Zeit zu Zeit durch harmlose Unterhaltung ablenkt. Herrschaft und Show oder – wie es die Situationisten zu nennen pflegten – Politik und Spektakel gehen vielmehr ständig ineinander über und werden tendenziell ununterscheidbar. Nicht nur bezeugt die »rücksichtslose Einheit der Kulturindustrie (…) die heraufziehende der Politik«, wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der »Dialektik der Aufklärung« schreiben, sondern beide werden eines.
Die Verachtung, mit der hierzulande der Verschmelzung von Politik und Show in den USA begegnet wird, gehört in das Arsenal antiamerikanischen Ressentiments wie der Hass auf Glanz und Glamour, die als Symptome von Uneigentlichkeit und Oberflächlichkeit verabscheut werden. Fasziniert und despektierlich blickt man auf Hollywood und in die unzähligen »Promi-Magazine«, weil man die Beharrlichkeit, mit der dort wenigstens auf der Oberfläche die Idee eines guten Lebens festgehalten wird, ebenso unerträglich wie unverständlich findet. Die spektakuläre Show als Ausblick darauf, wie das Leben sein sollte, offenbart negativ, wie jämmerlich der Alltag der Mehrheit sich darstellt. Doch diese Verachtung wäre keine Ideologie, sondern bloßer Wahn, wenn es für sie keine Anhaltspunkte in der Wirklichkeit gäbe. Nirgendwo wird das deutlicher als im derzeitigen Wahlkampf in den Vereinigten Staaten. Dass es sich dabei um eine aufwendige, alle Mittel des Showbusiness nutzende Veranstaltung handelt, die sich verzweifelt bemüht, die unverhältnismäßig lange Zeit der Primaries, der amerikanischen Vorwahlen, auch nur einigermaßen interessant zu gestalten, ist oft bemerkt worden. Ebenfalls registriert wurde, dass die illustere Schar an möglichen Gegenkandidaten Barack Obamas – vom Multimilliardär Donald Trump über Sarah Palin bis hin zum derzeit als Spitzenkandidat geltenden Republikaner Mitt Romney – selbst Material genug für eine Realsatire hergibt. Dass das amerikanische Politikbusiness und der anhängige Medienbetrieb ebenso verkommen sind wie anderswo, dass in den Streitigkeiten zwischen Demokraten und Republikanern kaum noch sogenannte Inhalte zur Geltung kommen und dass sich ein Heer von Journalisten noch für die lächerlichste Kolportage nicht zu schade ist, dafür gibt es vor allem zwei Kronzeugen, die auch in Europa recht bekannt sind: die beiden Komiker Jon Stewart, den Moderator der »Daily Show«, und Stephen Colbert, einen ehemaligen Mitarbeiter Stewarts, der inzwischen Protagonist seines eigenen Formats, des »Colbert Report«, ist. Die meisten Zeitungen sind sich darin einig, dass beide »kritische Stimmen« seien, die auf ihre je eigene Weise Politik und Gesellschaft in den USA kommentierten.
Diese Einschätzung hat damit zu tun, dass sich beide nicht auf den satirischen Kommentar beschränken, sondern versuchen, direkten Einfluss auf die Tagespolitik auszuüben. 2008 kandidierte Stephen Colbert im Bundesstaat South Carolina für das Amt des Präsidenten und stellte sich damit in eine Reihe mit Komikern wie Pat Paulsen oder Kinky Friedman, die die Politik nicht nur als Gegenstand der Satire betrachteten, sondern selbst als Satiriker Politik machten. Im November 2010 organisierten Stewart und Colbert eine Großveranstaltung in Washington, D.C., mit dem Titel »Rally to Restore Sanity and/or Fear«, der es erklärtermaßen um die Verbesserung der amerikanischen »Debattenkultur« ging. Im Juni 2011 gründete Colbert sein eigenes »Super PAC« – eine besondere Form des »Political Action Committee«, das anders als gewöhnliche politische Lobbygruppen finanzielle Zuwendungen auch von Unternehmen in unbegrenzter Höhe erhalten darf – mit dem Namen »Americans for a Better Tomorrow, Tomorrow«. Solcherlei Lobbygruppen werden in Amerika eingesetzt, um Geld zu sammeln und Abgeordnete und Kandidaten zu unterstützen oder deren Gegner zu attackieren. Stewart und Colbert werden denn auch über die USA hinaus keineswegs nur als Satiriker, sondern als Politiker wahrgenommen. Jon Stewart, so urteilte der Spiegel im Dezember 2011, sei eine »ernstzunehmende Stimme in der Politik«. »Stephen Colbert mischt den US-Wahlkampf gerade mächtig auf«, hieß es auch in der SZ. Und sogar Konkret bekräftigte, dass die »beiden Satireshows (…) inzwischen zu den einflussreichsten Nachrichtenorganen des Landes« zählten. Einhellig wird gelacht über die beiden Komiker, und ihre Funktion als kritisches Korrektiv in der amerikanischen Öffentlichkeit wird für das Bild eines »guten« Amerika in Dienst genommen, über das man sich bei aller Abneigung wenigstens amüsieren könne. Doch bei näherem Hinsehen liegen die Dinge anders. Komik und Satire, die einmal als Residuen von Kritik galten, bleiben von der Verschmelzung von Politik und Kulturindustrie nicht unberührt, sondern fügen sich in ein umfassendes Regime des Konformismus. Während Humor historisch meist das Lachen um seiner selbst willen meinte, war vor allem die Satire einst eine Erscheinungsform der ästhetisch vermittelten Kritik. Die Satire von Jon Stewart und Stephen Colbert – so unterschiedlich beider Formate auch sind – steht in dieser Tradition, wirkt aber dennoch längst weit eher sta­bilisierend als destruierend. Das Lachen der Satire, das einmal seinen Gegenstand zerstören wollte, wird tendenziell ein Appell zum Mitmachen. Am Stand der Satire heute bewahrheitet sich, was Adorno zur Kunst notierte: »Was einmal Komik war, stumpft unwiederbringlich sich ab; die spätere ist verderbt zum schmatzend einverstandenen Behagen.« (1)

Das verordnete Lachen

Sigmund Freud hatte schon 1905 dargelegt, dass der Witz psychologisch die Funktion eines Spannungsausgleichs verbunden mit Lustgewinn erfülle: »Die Psychogenese des Witzes hat uns belehrt, dass die Lust des Witzes aus dem Spiel mit Worten oder aus der Entfesselung des Unsinns stammt, und dass der Sinn des Witzes nur dazu bestimmt ist, diese Lust gegen die Aufhebung durch Kritik zu schützen.« (2) Die Pointe von Freuds Analyse liegt darin, dass der Witz als »seelische Tätigkeit« eine Lust verschaffe, die »eigentlich erst durch die Entwicklung dieser Tätigkeit« – also durch die Mühen von Hemmung, Verdrängung, kurz, durch das Unbehagen in der Kultur – »verlorengegangen ist«. (3) Mit dem Witz also entschädigt sich die Kultur für etwas, um das sie sich selbst gebracht hat. Der Karneval ist nur eine der kulturellen Institutionen, die von der gesellschaftlichen Notwendigkeit des periodischen Lachens zum Zwecke des Spannungsausgleichs Zeugnis ablegen. Die Politik und jene Klasse von Journalisten, deren Aufgabe es ist, der Bevölkerung die Herrschaft in allen ihren Erscheinungsweisen schmackhaft zu machen, finden dafür ihre eigenen Formen. Auch sie sollen einmal über sich selbst lachen dürfen und lachen müssen. Seit 1920, jedes Jahr am letzten Samstag im April, lädt die Vereinigung der Korrespondenten des Weißen Hauses zu einer opulenten Veranstaltung in das Hilton Hotel in Washington, D.C. Schon immer wurden Prominente aus Film und Fernsehen eingeladen, um einem aufreibenden Business eine zusätzliche Portion Charme und Eleganz zu verleihen. Traditionell sind auch der Präsident und der Vizepräsident samt ihrer Familien anwesend. Was anfangs ein bemüht glamou­röser Abend mit leichter Unterhaltung war – bis 1962 handelte es sich um eine reine Männerveranstaltung –, entwickelte sich mit der Zeit zu einer jährlichen masochistischen Selbstreinigung aller Beteiligten und einer stillen Rache der Medien am Gegenstand ihrer Arbeit. Denn inzwischen gehört zu diesem »White House Correspondents Dinner« der Auftritt eines Komikers, dessen Aufgabe es ist, Politik und Medien in Anwesenheit ihrer ranghohen Repräsentanten auf die Schippe zu nehmen. Der Auftritt des Komikers folgt dem Format eines »Roast«, das heißt einer meist auf den Präsidenten sowie zahlreiche Prominente aus Politik und Medien zielenden, rücksichtslosen Satire. Das Spielen mit und das Kommentieren von Gerüchten, der gnadenlose Spott ad hominem, der vom Privat­leben über die Physis bis zur professionellen Selbstdarstellung des jeweiligen Objektes nichts auslässt, gehören zu dieser Spielart von Komik.
In diesem Jahr war es der Komiker Jimmy Kimmel, der bei dem verordneten und sanktionierten Lachen die Regie übernehmen durfte. 1997 und 2006, noch bevor das deutsche Feuilleton die beiden entdeckte, traten bei derselben Veranstaltung Jon Stewart und Stephen Colbert auf. Stewart, der die Moderation der »Daily Show« erst 1999 übernehmen sollte, war damals keineswegs die erste Wahl gewesen. »Läuft es nicht immer so, hier in Washington«, kommentierte Stewart, »die wirklich Geeigneten werden ausgemustert, bis man bei denen ankom­mt, die wirklich verfügbar sind?« Stewarts Performance, die aus einer lose miteinander verbundene Abfolge von lakonischen Dreizeilern bestand, folgte weitgehend dem Stil eines traditionellen Stand-up-Auftritts. Obgleich das »Correspondents Dinner« damals schon live im Fernsehen übertragen wurde, es sich also um eine Veranstaltung für ein größeres Publikum handelte, war der Inside-Joke das vorherrschende Element von Stewarts Nummern; den damaligen Präsidenten Bill Clinton sparte der Komiker bei seinen Witzen meist aus. Viele seiner Kommentare zielten auf Gerüchte über und Charaktereigenschaften von verschiedenen Abgeordneten sowie Vertretern der Presse. Sobald eine Pointe gefallen war, schwenkte die Kamera ins Publikum zur betreffenden Person, die sich pflichtbewusst köstlich amüsierte. Seine spätere Rolle bei ungleich größerer Berühmtheit vorwegnehmend, fügte sich Jon Stewart damit in eine Cliquen-Veranstaltung, die das Lachen toleriert, solange alle Beteiligten wissen, dass jeder und jede am folgenden Tag genau das tun, was sie die anderen Tage auch getan haben. Schon damals kultivierte Stewart das Understatement und inszenierte sich als jemand, der gerade nicht Teil jenes Geschäfts ist, das er kommentiert. Und schon damals konnte er an manchen Stellen nicht in der Rolle des Komikers verbleiben, sondern stellte nach der satirischen Verspottung klar, wenn er einen Abgeordneten »eigentlich« ganz gut fand.
1997 nahm Jon Stewart vorweg, was er später in seiner »Daily Show« perfektionieren sollte. Spätestens 2004, als George W. Bush und Dick Cheney sich für eine zweite Amtszeit gegen John Kerry durchsetzten, hatte die »Daily Show« ihren Durchbruch. Das Format bezeichnet sich selbst als »Fake News Show«. Wie in einer traditionellen Nachrichtensendung werden Clips eingespielt, die Jon Stewart satirisch kommentiert, ab und an gibt es Sonderberichte mit Interviews, die so gefilmt werden, dass sich reale Antworten auf nicht (oder nicht in dieser Weise) gestellte Fragen ergeben und umgekehrt. Dem Format gemäß gibt es am Ende jeder Sendung ein Interview mit einem Prominenten, einem Autor oder Politiker sowie den Auftritt einer Band. Die Mehrzahl der Gespräche bestreitet Jon Stewart betont unambitioniert. Wenn ihm allerdings konservative Politiker gegenübersitzen, diskutiert er ernst und entschieden kritisch, oft über die offizielle Sendezeit hinaus. Es gehört zu Stewarts Selbstverständnis, dass die Show nichts anderes als »funny« und »entertaining« sein möchte. Das ist freilich Koketterie, die nicht nur durch Stewarts Auftreten in Diskussionen, sondern auch durch die Inhalte des Formats selbst konterkariert wird. Bereits das Motto für die Berichterstattung zu den Wahlen 2012 – »To Make Politics Interesting« – verrät, dass es Stewart um mehr geht. Er versteht sich nämlich vor allem als Medienkritiker. Die tendenziöse bis unredliche Berichterstattung des Lieblingsfeindes aller amerikanischen Demokraten – des Fernsehsenders Fox News – nimmt spätestens seit der Präsidentschaft Barack Obamas einen großen Teil von Stewarts Programm ein; dass sich die liberaldemokratischen Sendeanstalten in ihrer zweifelhaften Berichterstattung von Fox News oft kaum unterscheiden, kommt selten zur Sprache.

Moralismus und Imitation

Die Kritik des politischen Journalismus zählt zu Stewarts Stärken. Doch es dauerte nicht lange, bis Politiker selbst die »Daily Show« für sich zu nutzen begannen. 2011 lagen Jon Stewarts Einschaltquoten höher als die des gesamten Fox News Programms zusammen. Einzig der konservative Moderator Bill O’Reilly – der das Vorbild für Stephen Colberts Rolle abgeben sollte – überbot den Komiker. Zu 80 Prozent besteht Stewarts Publikum aus Menschen zwischen 18 und 49 Jahren. Das Durchschnittsalter der Zuschauer von Fox News lag dagegen einer Erhebung von 2010 zufolge bei 65 Jahren. Obgleich sowohl die »Daily Show« als auch der »Colbert Report« auf dem Sender Comedy Central aus­gestrahlt werden, besteht für die Mehrzahl der Zuschauer kaum ein Unterschied zwischen diesen Formaten und traditionellen Nachrichtensendungen. Nachweislich wird die »Daily Show« nicht nur wegen ihrer satirischen Elemente, sondern vor allem wegen des Informationsgehalts angeschaut. Der Medienbetrieb hat inzwischen den Neologismus »Infotainment« für derartige Formate geprägt. Es ist kaum überraschend, dass vor allem Vertreter der Demokraten bald den Kontakt zu Jon Stewarts Zielgruppe suchten. Von Barack Obama über Bill und Hillary Clinton, Joe Biden, Jimmy Carter und Henry Kissinger bis hin zu Staatsmännern anderer Länder wie Tony Blair und Gordon Brown – alle waren sie Gäste in der »Daily Show«. Jon Kerry nutzte 2004 sogar seinen Auftritt in der »Daily Show«, um seine Kandidatur gegen George W. Bush bekanntzugeben.
Dass die politischen Gäste ein instrumentelles Verhältnis zum Publikum der »Daily Show« unterhalten, überrascht nicht. Doch auch Jon Stewart wurde zu Recht immer wieder dafür kritisiert, aus der Rolle des Komikers herauszutreten, seine Satire für moralische Bekundungen zu nutzen und liberaldemokratische Vertreter der Politik von seinem Spott auszunehmen. Umso eindrücklicher ist das bekannteste Spin-off-Produkt der »Daily Show«, Stephen Colberts »Colbert Report«. Seit 2005 auf Sendung und inzwischen mit höheren Einschaltquoten als die »Daily Show«, beruht Stephen Colberts Performance gerade auf der Maxime, niemals die Rolle des erzkonservativen, republikanischen, nach dem bereits erwähnten Bill O’Reilly geformten Talkshow-Moderators zu verlassen. Während Stewart sich als besorgter Bürger gibt, der mit seinen gar nicht so bescheidenen Mitteln versucht, Gutes zu tun, betreibt Colbert die Persiflage des antiintellektuellen, waffenliebenden, demokratenhassenden Republikaners. Fragen nach seinen eigenen politischen Ansichten geht er konsequent aus dem Weg. Imitation und Übertreibung sind zwei wichtige ästhetische Prinzipien der Satire, die Colbert auf die Spitze treibt. Indem er dem republikanischen Establishment den Spiegel vorhält, trifft sein Spott wesentlich direkter als der moralisch aufgeladene Hohn des guten Bürgers Jon Stewart. Deutlich wurde das, als Colbert 2006, während der zweiten Amtszeit George W. Bushs, zum »White House Correspondents Dinner« eingeladen wurde. Dass die Wahl, der ein umfangreicher Bestätigungsprozess vorangeht, auf Stephen Colbert fiel, muss selbst ein Politikum gewesen sein und unterstreicht die Frustration über den damaligen amerikanischen Präsidenten in den Medien. Colbert begann mit einer Reverenz an George W. Bush und bekundete, welch eine Ehre es sei, am selben Tisch mit ihm zu sitzen. Er müsse wohl träumen, vielleicht könnte ihn jemand zwicken … Nein, vielleicht könne ihm jemand besser ins Gesicht schießen? Ein paar Monate zuvor hatte Dick Cheney bei einem Jagdausflug versehentlich einen Kollegen mit einer Schrotflinte angeschossen. Anders als Stewart sprach Colbert den Präsidenten auch direkt an. Er und Bush seien sich ähnlich, sagte Colbert, beide würden eher mit dem Bauch als mit dem Kopf denken und verabscheuten Bücher wegen der vielen Fakten. Für den fragwürdigen Umgang der Regierung unter Bush mit der Wahrheit hatte Colbert bereits früher das unübersetzbare Wort »truthiness« geprägt. Verkniffen lächelnd saß Bush auf seinem Stuhl, das Lachen im Raum war zögerlich, unterbrochen von vereinzelten »Ohs«, wenn das Publikum spürte, dass hier mehr als eine Grenze überschritten wurde. Während der Rede verließen Mitarbeiter des Präsidenten den Raum, die First Lady verweigerte Colbert mit kühler Miene den Handschlag. Wenn Satire ästhetisch sublimierte Aggression ist, dann erreichte sie an diesem Abend ohne Zweifel ihr Ziel.

Freilich waren Satire und Spott über den Präsidenten 2006 keineswegs tabuisiert, sondern Common Sense. Dennoch war Colbert mit der Schärfe seiner Performance an diesem Ort etwas Besonderes gelungen. Nicht nur hatte er sowohl den Präsidenten als auch den Vizepräsidenten verspottet, er hatte auch die implizite Erwartung enttäuscht, dass sowohl das Weiße Haus als auch die Presse gleichermaßen ins Visier genommen werden sollten, und sich stattdessen fast ausschließlich auf die Politik konzentriert. Das verordnete Lachen aber kann seine stabilisierende Wirkung nur entfalten, wenn es sich egalitär und unparteiisch gibt. Obgleich es sich also um einen einfachen und naheliegenden Gegenstand gehandelt haben mag, zeigte Colberts Auftritt, was Kritik erreichen kann, sofern sie – zwar ästhetisch vermittelt und indirekt, also nicht in Form plumper Beleidigung – ad hominem zielt, sich ihrer eigenen Unbotmäßigkeit überlässt, ihr implizites Normsystem, gleichsam ihre Struktur, anders als Jon Stewart nicht offenlegt und stattdessen konzentriert bei sich selbst bleibt.

Elemente und Ursprünge der Realsatire

Doch so sehr es dem Spott punktuell gelingen mag, dass den Lachenden das Lachen im Halse stecken bleibt, so wenig ist die Satire von Colbert und seinesgleichen gefeit vor dem historischen Schicksal der Integration. Adorno schrieb in den »Minima Moralia«, es sei »schwer eine Satire zu schreiben. Nicht bloß weil der Zustand, der ihrer mehr bedürfte als je einer, allen Spottes spottet.« (4) Was vermag die Satire noch zu sagen zu Newt Gingrich, der während der Vorwahlen damit warb, bis 2020 eine Kolonie auf dem Mond zu errichten, der kürzlich davon sprach, das Recht, Waffen zu tragen, auf die ganze Welt auszudehnen, und der selbst bei rapide fallenden Umfragewerten in konsequenter Realitätsverkennung an seinen Sieg glaubte? Was lässt sich noch sagen zu dem ehemaligen republikanischen Kandidaten Rick Perry, der sich während einer Fernsehdebatte nicht an das dritte Ministerium der Regierung erinnern konnte, das er im Falle seines Wahlsieges abzuschaffen plante, und dessen Familie sich in einem Jagdressort mit dem Namen »Niggerhead« einmietete? Ganz zu schweigen von Sarah Palin, die davon halluzinierte, sie könne von Alaska aus Russland sehen. Keine Frage, der republikanische Vorwahlkampf ist eine Realsatire eigenen Standes.
Derartige Absurditäten allein auf das Klischee des ungebildeten Amerikaners zu reduzieren, wie es in Deutschland oft geschieht, wäre jedoch billig, würde so doch die Dialektik verkannt, die sich aus einer mit der Ökonomie eins gewordenen Politik und einer sie zugleich stützenden und vorantreibenden Kulturindustrie ergibt. Stephen Colberts Gründung eines eigenen »Super PAC« war eine Reaktion auf die Rolle, die derartige Wahlhilfevereine und Lobbygruppen im derzeitigen wie in früheren Wahlkämpfen gespielt haben. Zudem hatte der Oberste Gerichtshof im Januar 2010 Unternehmen die gleichen Persönlichkeitsrechte wie Individuen zugesprochen. Insofern das unbegrenzte Einsammeln von Spenden mit der Formel »Free Speech« legitimiert wurde, ging damit gleichsam die Rechung »Money = Speech« auf. Die Trennung der politischen Sphäre von der Politik schlägt dergestalt auf diese zurück, dass mit den entsprechenden Mitteln tatsächlich jeder und jede als Präsident oder für andere Ämter kandidieren kann. Stephen Colbert, der sich 2008 selbst zur Wahl stellte, scheiterte diesmal, unterstützte allerdings mit einer großen Kampagne den ­republikanischen Tea-Party-Aktivisten Herman Cain – und zwar bei der Vorwahl in South Carolina, als Cain seine Bewerbung für die Präsidentschaftskanditatur bereits zurückgezogen hatte. Zwar war das Ideal einer Meritokratie – der Herrschaft der Besten – schon immer falsch, die jüngste Realität hat es aber wohl vollständig abgeschafft.
Der politische Journalismus, der einmal die vierte Gewalt genannt wurde und durch kritische Investigation und Information die drei anderen Gewalten nicht aus den Augen lassen sollte, geht derweil immer mehr in der Kulturindustrie auf. Freilich gab es immer wieder Residuen von Kritik, in denen auch die Komik mehr vermochte, als nur selbstzweckhafte Unterhaltung zu sein. Als der Karikaturist Garry Trudeau 1974 einen Comic-Strip über den Watergate-Skandal in seiner berühmten Doonesbury-Serie publizierte, wurde er zensiert, boykottiert und öffentlich diffamiert. Heute sind die kleinen und großen Skandale, Patzer und Streitereien das tägliche Brot des Medienbetriebs und bittere Notwendigkeit, um ein so verwöhntes wie übersättigtes Publikum bei der Stange zu halten. Das ist verständlich angesichts der Tatsache, dass die sogenannten Primaries fast die Hälfte der vierjährigen Amtszeit einnehmen. Doch auch hier verschafft sich die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft par excellence in der Gegenwart Geltung. Auf der Flucht vor dem Autoritarismus europäischer Gesellschaften waren die Primaries für die Gründerväter ein Mittel gewesen, die Wahl der Kandidaten nicht den Parteivorsitzenden zu überlassen. Basisdemokratie – vom republikanischen Kommunalismus, den Town-Hall-Meetings, dem Port-Huron-Statement der New Left, bis hin zum Konsenswahn der »Occupy«-Bewegung – ist eine genuin amerikanische Idee, und die fatale Dialektik, die aus dem Impuls heraus, Staat und Subjekt zu trennen, jedes Individuum in einen Staat im Kleinen erwandelt, wohnte ihr stets inne. Das zwiespältige Selbstbewusstsein des sich selbst als Ein-Mann-Staat verstehenden Individuums macht sich bis heute im Pochen auf das unbedingte Recht geltend, Waffen zu tragen. (5) Die schiere Größe der Vereinigten Staaten, das aus den gewaltigen geographischen Distanzen resultierende Zurückgeworfensein der Einzelnen auf die lokalen Gemeinschaften, mag die Bedeutung des Unterhaltungsfaktors in der Politik gesteigert haben. Johan Huizinga bemerkt in seinen Amerika-Studien: »Da an­dere Unterhaltungsmöglichkeiten dünn gesät waren, musste die Politik in den Vereinigten Staaten in der Tat meist sofort die Funktion einer Volksbelustigung erfüllen.« (6) Huizingas Kommentar bezog sich auf das 19. Jahrhundert. Heute erscheint er als Vorwegnahme der histo­rischen Tendenz, Politik und Massenbelustigung zu verschmelzen. Ihr adäquates Medium ist weder die Unterhaltung noch der Journalismus, sondern das »Infotainment«.

Die (Selbst-)Integration der Satire

Dass die Vergnügungsindustrie das Lachen unablässig verordnet und ihm so das Vergnügliche nimmt, gilt nicht nur für die professionellen Komiker, sondern auch für die sogenannten Herrschenden selbst. Barack Obama kam beim »White House Correspondents Dinner« 2011 dem Spott des Redners Seth Meyers zuvor und kommentierte sarkastisch die Diskussionen über seine Geburtsurkunde, indem er, um alle Zweifel zu zerstreuen, mit einem »Video« seiner Geburt aufwartete – einem Ausschnitt aus dem Film »Der König der Löwen«. Selbst George W. Bush hatte vor dem Auftritt Stephen Colberts mit einem Imitator seiner selbst die Bühne betreten. Und kaum jemand verkörperte die Einheit von Show und Politik besser als der ehemalige Schauspieler und spätere Präsident Ronald Reagan. Heute enthält jede Rede eines politischen Würdenträgers obligatorische, mehr oder minder lustige Witze. Kürzlich mussten sich sowohl Barack und Michelle Obama als auch der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney fragen lassen, wie »funny« sie denn eigentlich seien. Nicht bloß zielt die inszenierte Komik auf die Milderung des Spotts. Gleichzeitig soll die Distanz, die notwendig zwischen Herrschern und Beherrschten existiert, rückgängig gemacht und der jeweilige Politiker als »einer wie du und ich« präsentiert werden.
Doch während der manipulative Charakter dieser integrierten Satire kaum zu übersehen ist, hat die konformistische Integration der Komiker ihren Grund auch in der Struktur der Satire selbst. Die Strafe, die sie dem Objekt des Spottes auferlegt, entfaltet ihre Wirkung nur über die Allianz mit dem lachenden Dritten, dem Publikum. Das Publikum repräsentiert darum auch das Normsystem, auf das sich der Komiker notwendigerweise beziehen muss, wenn seine Witze funktionieren sollen. Anders gesagt, die Satire setzt »die Idee des Selbstverständlichen, ursprünglich der gesellschaftlichen Resonanz voraus. (…) Der bedarf des Beweises nicht, welcher die Lacher auf seiner Seite hat.« (7) Satire ist damit von vornherein nicht autonom, sondern muss, um ihren Gegenstand zu zerstören – über den antiken Satiriker Archilochus hieß es einst, seine Verse würden »töten« – einen Bund mit den Stärkeren eingehen. Es ist daher kein Zufall, dass die institutionalisierte Form der Komik vom 14. Jahrhundert bis ins Zeitalter des Absolutismus hinein das Amt des Hofnarren war. Als sanktionierter Spötter war er keineswegs ein bloßer Unterhalter, sondern ein Vermittler zwischen Herrscher und vox populi. Allmählich von der Autorität gelöst hat sich die Satire erst während der Aufklärung, die ihr allerdings gleichzeitig jenen moralischen Unterton verlieh, der sich noch heute bei Komikern wie Jon Stewart Geltung verschafft. Und wo nicht Moral die Appellationsinstanz des Komikers ist, da kann leicht auf andere verlässliche Bestandteile des Common Sense zurückgegriffen werden, beispielsweise auf den Fäkalhumor, der bei rechtem Timing die Wirkung seiner Anspielung auf Triebhaftes nicht verfehlt. (8) Es ist auffällig, dass es in der »Daily Show« deutlich mehr Zoten gibt – freilich oft zensiert durch ein nervtötendes Piepen (9) – als im »Colbert Report«.
Doch am Ende zielen beide Formate nicht nur auf die Bloßstellung ihres Objekts – Stewart durch moralische Satire, Colbert durch ironische Imitation, die das Gegenteil dessen sagt, was sie meint –, sondern auch auf das Einverständnis des Publikums, wenn es im Gelächter gleichzeitig erleichtert signalisiert, dass es verstanden hat und dass es ein Teil der Allianz zwischen Satirikern, Politikern und Bevölkerung ist. Den »laughing track«, das eingespielte Gelächter aus Comedy-Serien, brauchen beide Shows nicht nur deshalb nicht, weil sie direkt vor Publikum aufgezeichnet werden. Während die beleidigend unlustigen Sketchsendungen deutscher Prägung schon deshalb mit einem »laughing track« arbeiten müssen, weil niemand sonst wüsste, wann überhaupt gelacht werden soll, wissen sich Stewart und Colbert immer schon in komplizenhafter Einigkeit mit der lachenden Mehrheit. Nur so entsteht das Selbstbewusstsein, dessen es für politische Großveranstaltungen wie die »Rally to Restore Sanity and/or Fear« bedarf. Und wenn Stephen Colbert, wie es regelmäßig geschieht, hohe Militärangehörige einlädt, ja selbst in den Irak fliegt und sich aus Solidarität mit der Armee einen militärischen Kurzhaarschnitt verpassen lässt, ist die Persiflage übergegangen in die Wirklichkeit und jede ironische Brechung getilgt. Nur ab und an spielt Colbert mit seiner Rolle als Führerfigur, deren Studiopublikum Wachs in ihren Händen ist, die autoritätshörig frenetischen Beifall und Lacher an den richtigen Stellen erhält. Die frühere Stand-up-Comedy ging noch anders mit dem Audito­rium in den stickigen Clubs um. Nicht nur gehörte es zu einem Auftritt, dass das Publikum dazwischenrief, der originelle Umgang mit Störern – den sogenannten »Hecklers« –, galt sogar als Inbegriff der Komik, die nicht einen abwesenden Dritten, sondern den anwesenden Zweiten zu verlachen hatte. Die Satire im Handgemenge, wenn Wut und Aggression sich in Witz kleiden, enthält noch Reste jener Zeit, als Komik »tödlich« sein konnte. Ein leises Echo davon ist noch in Becketts »Endspiel« zu vernehmen, das Adorno nicht als Komödie, sondern als Infragestellung des Komischen selbst in einer Zeit verstand, in der sich, wie es in Becketts Stück einmal heißt, nichts und niemand mehr totlachen kann und lässt.
Dass in Amerika das Amüsement universell ist und dass selbst im Stand der Unfreiheit gelacht werden soll, ist freilich nicht bloß zynisch. In der Gesellschaft, die als einzige das Streben nach Glück kodifizierte, ist es zugleich eine Erinnerung an die Tatsache, dass zum Glück das befreite Lachen gehört. In diesem Sinne ist die Politik in der Neuen Welt tatsächlich unterhaltsamer als das von Zwangshandlungen und moralischem Rigorismus bestimmte Politikgeschäft in Deutschland. Vielleicht liegt darin auch der Grund, warum deutsche Comedy – die Axel Steins, Karl Barths und Oliver Pochers dieses Landes – bis auf wenige Ausnahmen gegenüber den amerikanischen Formaten als eine einzige Bierzeltzote erscheint. Vielleicht kann Satire dabei helfen, nicht vollends dem Wahn zu verfallen, doch sie selbst bleibt »blind gegen die Kräfte, die im Zerfall freiwerden.« (9)

Anmerkungen
(1) Theodor W. Adorno, Ist die Kunst heiter?, in: ders.: Gesammelte Schriften, Frankfurt/Main 1970 ff., Bd. 11, S. 603
(2) Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 9, Leipzig/Wien/Zürich 1925, S. 127
(3) Ebd., 269
(4) Theodor W. Adorno, Minima Moralia, Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 237
(5) Als kürzlich der Nachbarschaftswächter George Zimmerman den afroamerikanischen Jugendlichen Trayvon Martin erschoss, musste Zimmerman nach der Tat freigelassen werden, weil der Bundesstaat Florida über ein weitreichendes Selbstverteidigungsrecht, das »Stand-Your-Ground Law«, verfügt. Es erlaubt den Einsatz tödlicher Gewalt, um sich gegen einen Einbruch oder Angriff zu wehren. Erst nach Protesten und einer ausführlichen Ermittlung kam es zur Anklage.
(6) Johan Huizinga, Mensch und Masse in Amerika, München 2011, S. 50
(7) Adorno, Minima Moralia, S. 273
(8) Ähnlich plump mit dem Volksbewusstsein gemein machte sich die »Titanic«, als sie Angela Merkel mit dem sächlichen Artikel »das« als entsexualisiertes Etwas dif­famierte. Leichter lässt sich beim Publikum kaum punkten, das, wenn schon Frauen in der Politik eine Rolle spielen, diese bitte auch hübsch, jung und sexy haben möchte.
(9) Auch Fäkalhumor kann kritisch sein, zum Beispiel in George Carlins Sketch »The Seven Words« aus den siebziger Jahren über die sieben Schimpfworte, die das amerikanische Fernsehen damals zensierte.
(9) Adorno, Minima Moralia, S. 239