Ein Plädoyer für das Grüne

Koloniale Arbeiterentspannung

Gartenarbeit dient der Essensversorgung, der Erholung und steht in einer guten Arbeitertradition. Also, ab ins Grüne! Spätestens nach der Kalten Sophie.

Dass es im April, ja sogar im Mai nochmal so richtig kalt werden kann, wissen sogar solche Mitmenschen, die gerne in Szenecafés sitzen, sich dort in Fleece-Decken einlümmeln, Latte schlürfen und Süddeutsche lesen. Kleingärtner hingegen wissen sogar, wann’s warm wird: Spätestens nach der Kalten Sophie nämlich, der letzten der Eisheiligen, datumstechnisch gelegen am 15. Mai. »Pflanze nie/vor der Kalten Sophie«, lautet eine populäre Zusammenfassung des Wissens, das Bauern und Gärtner über Jahrhunderte hinweg verbindet.
Seit etwas mehr als 100 Jahren sind auch die Kleingärtner hinzugekommen und seit drei Jahren ich, Pächter einer Parzelle auf dem Berliner Südgelände. Da haben wir einen Pflaumen-, einen Apfel- und einen Kirschbaum. Aus den Früchten des Pflaumenbaums machen wir Latwerge, ein Zwetschgenmus, das schmeckt wie das meiner Oma. Aus den Kirschen wird Kirschmarmelade gemacht, und beim Apfelbaum bekämpfen wir alljährlich wenig erfolgreich den Apfelwickler. Etwa 80 bis 90 Prozent unserer Apfelernte können wir jedes Jahr wegschmeißen, und der Rest schmeckt auch nicht so richtig dolle.

Aber der Versorgungsgedanke ist ohnehin nicht der wichtigste in der Datsche, auch wenn der Bundesgerichtshof erst 2004 festgestellt hat, dass wenigstens ein Drittel der Fläche zum Anbau von Gartenerzeugnissen für den Eigenbedarf zu nutzen ist. Das sind neben den Äpfeln, Pflaumen und Kirschen ja auch Kartoffeln, Salate, Tomaten, Kürbisse, Zucchini, Möhren, Zwiebeln, Kräuter und alle möglichen Erd- und sonstigen Beeren. Die ziehen wir, und die meisten schmecken auch sehr gut. Wenn es aber allein um die Eigenversorgung ginge, hätten nicht nur die ganzen Blümchen und Zierpflänzchen in unserem Garten keinen Sinn. Auch der Lidl-Markt, der recht nahe gelegen ist, hätte Umsatzeinbußen.
Auf dem Südgelände haben die Gartenkolonien solche Namen: Frohsinn, Heiterkeit, Sommerheim, Kaninchenfarm, Ziegenweide und Neue Zeit. Dagegen ist ja nichts zu sagen, möchte man meinen, aber auch die Kolonie Burenland ist dabei, neben der übrigens die Kolonie Samoa liegt. Im wirklichen imperialistischen Leben lagen die bekanntlich weiter auseinander.
Anders aber als diese Namen nahe legen, gehört die so manchem als spießig erscheinende Organisationsform Kleingartenverein zu den vielleicht großen, vielleicht auch nur mittleren Erfolgsgeschichten der deutschen Arbeiterbewegung. Ursprünglich standen die meisten Laubenkolonien nämlich auf Gelände, das Spekulanten erworben hatten, um es zwischenzeitlich als »Bauerwartungsland« zu nutzen. Die ersten Parzellen, die in Berlin entstanden, waren der Polizeivorschrift entsprechend einfache Bretterbuden, die verhindern sollten, dass sie als »Unterschlupf dunkler Elemente« dienten, wie der Polizeipräsident 1862 anordnete. Doch die proletarischen Kleingärtner muckten auf. Der Kulturwissenschaftler Horst W. Rohls schreibt: »Auf eigene Faust und ohne Rücksichtnahme auf behördliche Ordnungsprinzipien errichteten Arbeiter nach regelrechten Landbesetzungen auf unbebautem städtischen, kirchlichen oder privaten Gelände ihre Lauben und Gärten.« Occupy Gemüsebeet. (Etwas anders, aber doch vergleichbar mit der aktuellen Urban-Gardening-Bewegung, die sich in Berlin etwa auf dem Tempelhofer Feld präsentiert.)

1901 schloss sich in Berlin die sozialdemokratische »Vereinigung sämtlicher Pflanzervereine Berlins und Umgebung« auf genossenschaftlicher Basis zusammen. In der Folge wurden immer häufiger Generalpächter ausgeschaltet. Damit haben die Kleingärtner nicht nur der kapitalistischen Verwertung ihrer Datsche einen Riegel vorgeschoben. Gleichzeitig überwanden sie das Patronatsregime, das Einrichtungen wie das Rote Kreuz oder die Kirchen mit »Arbeitergärten« für bedürftige (aber auf keinen Fall sozialdemokratische!) Proletarier eingerichtet hatten. Bis zum heutigen Tag ist beim Pachten einer Laube der Markt ausgeschlossen: Schätzer des Kleingartenverbandes taxieren den Geldwert der Laube, und genau das wird gezahlt.
In den Kleingärten ging es von Anfang an um mehr als um Obst und Gemüse und auch um mehr als Geselligkeit. Im Garten lässt sich nämlich entspannen, unabhängig davon, ob man das gerne im Beet macht, Unkraut zupfend, Tomaten pflanzend (wie bald, nach der Kalten Sophie) oder in der Liege, wo sich angenehm schlafen oder lesen lässt. Auch Grillen ist etwas Schönes, und unser Garten erlaubt es, mehr Gäste einzuladen als die üblichen Balkons von Großstadtwohnungen.