Streik von iranischen Flüchtlingen in Würzburg

Streiken im Idyll

Die Unterbringung in bayerischen Flüchtlingslagern soll gemäß der Asyldurchführungsverordnung »die Bereitschaft zur Rück­kehr in das Heimatland fördern«. Seit über einem Monat protestieren zehn iranische Flüchtlinge in Würzburg gegen diese Politik. Sie campieren in der Innenstadt und fordern ihre Anerkennung als politische Flüchtlinge und die Verbesserung der Lebensbedingungen für Asylsuchende. Mit einem Hungerstreik haben sie den Behörden erste Zugeständnisse abgerungen.

Die Würzburger Innenstadt ist ein herausgeputztes Idyll für Einkäufer und Touristen, voller rustikaler Wirtshäuser, in die zurzeit Urlauber und Leute vom Lande einkehren, um Spargel zu essen und Frankenwein zu trinken. Das Elend von Flüchtlingen passt nicht in dieses pittoreske Bild. Deshalb sind sie am Rand der bayerischen Stadt untergebracht, zwischen einer Schnellstraße und Indus­triebauten, in einem mit Stacheldraht umzäunten, isolierten Flüchtlingslager, das im offiziellen Sprachgebrauch euphemistisch »Gemeinschaftsunterkunft« genannt wird, und unter Bedingungen, die »die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern«, wie es in der bayerischen Asyldurchführungsverordnung vorgeschrieben ist. Am tristen Stadtrand leben die Flüchtlinge, unsichtbar für die Öffentlichkeit.

Zurzeit sind sie aber unübersehbar. Denn vor dem großen Modehaus in der Innenstadt steht ein Flüchtlingszelt. Die Bilder, die an der Außenwand angebracht sind, zeigen Hinrichtungen und Folteropfer, und machen deutlich, warum die zehn Iraner, die in dem Zelt kampieren und zeitweise in einen Hungerstreik traten, keinesfalls in die »Islamische Republik Iran« zurückkehren wollen. Mit Flüchtlingen, die sich nicht einfach als Objekt der Asylpolitik schikanieren lassen wollen und deshalb politisch handeln, hat nicht nur die Stadtverwaltung Probleme. Sie hatte erfolglos versucht, den Hungerstreik zu unterbinden. Auch die institutionalisierten Helfer hielten den Streik für fragwürdig. Anfangs fand sich weder ein Arzt, der die Hungerstreikenden betreuen, noch eine Organisation, die Decken spenden wollte, weshalb die Flüchtlinge und ihre wenigen Unterstützer auf sich allein gestellt waren, als sie Mitte März mit ihrem öffentlichen Protest begannen.
Am Zelt hängt auch ein Porträt von Moham­mad Rahsepar. Er nahm sich Ende Januar im Würzburger Flüchtlingslager das Leben. Gegenüber Ärzten hatte Rahsepar bereits im Dezember Suizidgedanken geäußert. Sie hatten den zuständigen Behörden empfohlen, die Umstände seiner Unterbringung zu verbessern. Doch es änderte sich nichts. Als Reaktion auf seinen Tod begannen Flüchtlinge damit, die Annahme der behördlich verordneten Essenspakete zu verweigern. Um die Isolation zu durchbrechen, wurde der Streik ausgeweitet und öffentlich gemacht.
Die Iraner begannen ihren Protest mit einem Hungerstreik. In ihrer ersten Pressemitteilung hieß es: »Wenn ein deutscher Staat derlei menschenverachtende Lebenssituationen billigend in Kauf nimmt, werden wir es fortan bevorzugen, unseren Weg in den Tod in aller Öffentlichkeit zu gehen.« Sie forderten Verhandlungen mit der bayerischen Regierung, die für die Umstände in den Flüchtlingslagern verantwortlich ist, und mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das die Asylanträge bearbeitet.
Anfangs reagierten die Zuständigen jedoch kaum. Zwar erhielten die Flüchtlinge dank der überregionalen Berichterstattung öffentliche Unterstützung, sie wurden bald medizinisch betreut, das Rote Kreuz spendete sogar ein komfortableres Zelt. Doch die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) weigerte sich, mit den Iranern zu verhandeln. Als diese nach zwei Wochen Hungerstreik unter Schwächeanfällen litten, entdeckten aber auch die Verantwortlichen im Sozialministerium ihr Herz für Flüchtlinge. Anfang April fand ein Treffen im Würzburger Rathaus statt. Auch ein Verantwortlicher des Sozialministeriums erschien, ebenso wie der Vizepräsident des BAMF, Michael Griesbeck. Die Zusage des BAMF, die Asylanträge in wenigen Wochen zu bearbeiten, werteten die Flüchtlinge als Teilerfolg, schließlich dauern die Verfahren häufig Jahre. Der Hungerstreik wurde ausgesetzt, nicht jedoch der öffentliche Streik. Die Iraner beharren auch weiterhin auf den Forderungen nach ihrer Anerkennung als politische Flüchtlinge und einer Schließung der sogenannten Gemeinschaftsunterkünfte.
Die Behörden machen es ihnen weiterhin nicht leicht. Nach dem Ende des Hungerstreiks sollten die Flüchtlinge beispielsweise am Rand der Innenstadt protestieren, womit sie wieder aus der gut besuchten Einkaufsmeile verschwunden wären. Dank juristischer Unterstützung konnten die meisten Gängeleien vor Gericht unterbunden werden. Auch bei ihren Asylanträgen erhalten die Streikenden mittlerweile anwaltliche Unterstützung.

Besucht man die Iraner dieser Tage, ist die Stimmung beinahe heiter. Sie sitzen im Kreis, jemand spielt Gitarre. Auch Soheil Hatamikia hat sich niedergelassen, sein grünes Baseballcap hat er lässig nach hinten gedreht. Gerade hat er ein Werk ins Farsi übersetzt, dessen Besitz ihn im Iran in große Schwierigkeiten gebracht hätte: Max Nettlaus »Geschichte der Anarchie«. Im Iran war Hatamikia Student. Er würde gerne weiterstudieren. Gerade planen die Flüchtlinge, die sich ausdrücklich als Regimegegner verstehen, eine Petition mit Forderungen an den bayerischen Landtag zu richten. Obwohl sie noch immer auf eine Antwort des BAMF warten, wie es um ihre Asylanträge steht, wirken sie derzeit hoffnungsvoll.
Der Verlauf des Streiks zeigt zwar, dass Flüchtlinge die staatlich erzeugte Isolation durchbrechen und sich Möglichkeiten verschaffen können, politisch zu handeln. Doch noch hat sich wenig verändert. Die unwürdigen Bedingungen in den Flüchtlingslagern bestehen fort. Vor wenigen Tagen versuchte ein weiterer iranischer Flüchtling in Würzburg, sich das Leben zu nehmen. Auch deshalb setzen die Iraner ihren Streik gut sichtbar in der Innenstadt fort.