Filomeno Vieira Lopes im Gespräch über die politische Situation in Angola vor den Wahlen

»Wir wollen Betrug verhindern«

Seit 1979 regiert José Eduardo dos Santos von der Partei MPLA, die aus der ehemaligen Befreiungsbewegung hervorging, in Angola. Die Regierung profitiert vom Ölreichtum, gilt als korrupt und geht repressiv gegen Oppositionelle vor. Im September dieses Jahres sollen Wahlen stattfinden. Bei einer Demonstration gegen die Politik der Regierung am 10. März, bei der die Teilnehmenden sofort auseinandergetrieben wurden, wurde der Oppositionspolitiker Filomeno Vieira Lopes von bewaffneten Milizen lebensgefährlich verletzt. Er kam zur Behandlung in ein Berliner Krankenhaus und ist inzwischen außer Lebensgefahr. Der Volkswissenschaftler ist Generalsekretär der angolanischen Oppositionspartei »Bloco Democrático« und Angestellter bei der staatlichen Mineralölfirma Sonangol. Mit der Jungle World sprach er über die Situation in Angola.

Um welche Forderungen ging es auf der Demonstration, bei der Sie verletzt wurden?
Mehrere Jugendorganisationen hatten zu einer Demonstration aufgerufen und dazu auch Führer verschiedener politischer Gruppen eingeladen. Der Protest richtete sich gegen die Ernennung der Anwältin Suzana Inglês, die außerdem eine Führungsperson der Frauenorganisation der Regierungspartei MPLA ist, zur Vorsitzenden des nationalen Wahlausschusses durch den Staatspräsidenten José Eduardo dos Santos. Laut Verfassung darf dieser Posten nur von einem Justizbeamten besetzt werden. Die Besetzung dieser wichtigen Position wenige Monate vor den Wahlen war ein Affront. Als demokratische Partei haben wir selbstverständlich die Demonstration unterstützt.
Welche anderen Möglichkeiten der Kritik gibt es in Angola? Wie sieht es aus mit kritischen Medien?
Fast alle Medien – Fernsehsender, Tageszeitungen, Radio – gehören dem Staat oder werden von Personen kontrolliert, die der Regierung nahestehen. Die einzige Ausnahme ist Radio Ecclesia, das es aber nur in der Hauptstadt Luanda gibt und das an die katholische Kirche angegliedert ist, und wenige Wochenzeitungen. Einige der Wochenzeitungen, die unabhängig arbeiten wollen, wurden erst kürzlich von Parteimitgliedern aufgekauft, die seitdem die Linie der Zeitung bestimmen. Die anderen werden in ihrer Arbeit stark behindert. Viele Journalisten fordern unabhängige Presseorgane und Nachbarschaftsradios, aber die Regierung hat diese bis heute nicht zugelassen. Die regierende Partei hat praktisch eine absolute Kontrolle über die Presse.
Ich als Führer einer Oppositionspartei kann nicht zur Presse gehen und sagen: Da läuft etwas falsch. Kritik am Präsidenten gilt als Diffamierung, der Journalist kommt dann vor Gericht und muss hohe Strafen zahlen.
Im September finden in Angola Wahlen statt. Wie schätzen Sie die Stimmung im Land ein?
In Angola hatten wir bis heute erst zwei Wahlen. Die Wahl 1992 stand noch ganz im Zeichen des Krieges. Man hatte eigentlich nur die Wahl zwischen den beiden Kriegsparteien. Die MPLA gewann die absolute Mehrheit, die Unita hat die Wahl angefochten und der Krieg ging weiter. Diese Wahl war also nicht aussagekräftig.
Dann kam die Wahl 2008. Damals war in der Bevölkerung die Abneigung gegen die regierende Partei groß. Deren Antwort war ein enormer Wahlbetrug. Die MPLA gewann offiziell mit 82 Prozent der Stimmen, eine Untersuchung der EU zeigt aber deutlich, dass es Unregelmäßigkeiten gab. Eigentlich hätten die Wahlen wiederholt werden müssen. Da wir aber aus einem gewalttätigen Krieg kamen, der erst 2002 beendet wurde, einigten sich die Oppositionsparteien darauf, das Ergebnis nicht anzufechten, und tolerierten es.
Heute zeichnet sich schon wieder ein Wahlbetrug ab. Aber anders als damals gibt es im Land keine Bereitschaft, einen weiteren Betrug zu tolerieren. Wir wissen nicht, wie die sozialen Kräfte reagieren würden. Deswegen wollen wir Betrug verhindern, um eine unkontrollierbare Situation in unserem Land zu vermeiden.
Wie sehen die Maßnahmen der Regierung hinsichtlich Ihren Bemühungen aus?
Anfangs hat die MPLA versucht, die eigenen Mitglieder dazu zu bringen, gegen oppositionelle Demonstranten vorzugehen. Aber einige Parteimitglieder weigerten sich, diese Rolle zu übernehmen. Das politische Bewusstsein in Angola hat sich also sehr positiv entwickelt. Die MPLA greift daher auf Milizen zurück, auf Banditen – unterstützt von der Polizei.
Wenn eine Person wie ich, ein Funktionär der Opposition, an einem öffentlichen Ort von Verbrechern, die von der Polizei gedeckt werden, angegriffen wird, werden alle eingeschüchtert. Die Botschaft an die Bevölkerung lautet: Ihr dürft euch nicht mit der Opposition einlassen! Eine politische Debatte und der politische Kampf werden somit erschwert. Wir sind heute davon überzeugt, dass dieses Verhalten eine Folge davon ist, dass die Regierung kontinuierlich an Rückhalt in der Bevölkerung verliert. Die Menschen haben begriffen, dass Wahlkämpfe mit Versprechen geführt werden, die niemals eingelöst werden. Ohne Wahlbetrug würde die MPLA die Wahlen verlieren, daran habe ich keinen Zweifel.
Wir sprechen hier von der Situation in der Hauptstadt Luanda. Wie ist die Situation auf dem Land?
Auf dem Land sieht es tatsächlich etwas anders aus. Es wird stark von traditionellen regionalen Autoritäten kontrolliert, den sobas. (Je nach Region wird der Posten gewählt oder an Neffen, portugiesisch sobrinho, vererbt, D. S.) Und die MPLA kontrolliert diese Personen. Hinzu kommt, dass die sobas dort jeden Einzelnen persönlich kennen und die Möglichkeit haben, Land zu verteilen. Diejenigen, die öffentlich eine andere Partei unterstützen, müssen mit den Konsequenzen leben. Die einzige Partei, die dort der MPLA gefährlich werden kann, ist die Unita.
Angola hat schon seit Jahren das größte Wirtschaftswachstum Afrikas in Höhe von zwölf Prozent. Es hat aber auch einen der schlechtesten Werte hinsichtlich des Gini-Koeffizienten, der die Ungleichheit der Vermögensverteilung innerhalb der Bevölkerung misst. Was sind die Ursachen dafür?
Während der Zeit der Einheitspartei, von 1975 bis zur Wahl 1992, war die Wirtschaft im Staat konzentriert. 1992, im Zuge der Transformation unseres Staatssystems zum Kapitalismus, wurde auch der staatliche Besitz in individuellen Besitz umgewandelt. Die einzige Funktion der Politik war es, zu definieren, wem dieser Besitz gegeben werden soll. Dort liegt die Wurzel der Korruption.
Mittlerweile ist offensichtlich, dass jene, die damals die Einheitspartei dominierten, heute Zugang zu Privatbesitz haben. Wir haben keinen liberalen Kapitalismus in Angola, Diskriminierung ist allgegenwärtig. In der Kolonialzeit wurden die Schwarzafrikaner beim Zugang zu Besitz diskriminiert, heute ergeht es denen so, die nicht dieselbe »politische Farbe« wie das Regime haben.
Es gibt ein entscheidendes Missverständnis bei der internationalen Analyse. Es wird angenommen, der Krieg von 1992 wurde wegen des Wahlausgangs geführt. Das war aber ein Krieg, der festlegen sollte, wer die wirtschaftliche Macht in Angola haben sollte.
Folgt nach dem sogenannten arabischen Frühling jetzt ein Frühling in der Subsahara?
Es gibt immer Einflüsse von außen. Schon während der Zeit des bewaffneten Kampfes in der Subsahara gab es Einflüsse aus dem arabischen Raum. Es ist kein Zufall, dass die Angolaner viel Unterstützung aus Tunesien, Algerien, Ägypten und Marokko hatten. Das war, bevor einige dieser Länder ihre Revolution gemacht haben.
Es ist nur natürlich, dass die Jugend die momentane Stimmung aufnimmt, weil sie neue Möglichkeiten zur Veränderung eröffnet. Ebenso ist es nur natürlich, dass die Opposition in Afrika diese Stimmung gerne aufnimmt. Wir sagen nicht, dass die Resultate die gleichen sein werden. Bestimmt nicht, wir gehen von unterschiedlichsten Voraussetzungen aus. Es weht aber mit Sicherheit ein frischer Wind.