Die Salafisten als rechtsextreme islamistische Bewegung

Nicht ohne meine Shisha

Die Salafisten bilden eine rechtsextreme Alternativbewegung, die sich nicht nur gegen den Säkularismus, sondern auch gegen die traditionelle Glaubenspraxis richtet.

Allein können die Islamisten den Tahrir-Platz in Kairo derzeit nicht füllen. Zu der letzten Freitagsdemonstration im April hatten vor allem salafis­tische Gruppen aufgerufen und es erschienen nur wenige tausend Demonstranten. Überfüllt war der Platz am Freitag zuvor, als sämtliche Oppositionsgruppen aufmarschiert waren und oftmals lautstark gegeneinander agitierten.
Bei solchen Gelegenheiten kommt es zu hitzigen Diskussionen, doch es gilt eine Art Waffenstillstand zwischen Säkularisten und Islamisten. Säkulare Gruppen solidarisierten sich in der vergangenen Woche sogar mit den Salafisten, die bei einem Sit-in vor dem Verteidigungsministerium angegriffen wurden. In Tunesien hingegen versuchen die Salafisten mit Gewalt, »unislamisches« Verhalten zu unterbinden. Dies hat zu einer Konfrontation mit säkularen Gruppen geführt (Jungle World 18/12).
Auch die ägyptischen Salafisten sprechen sich offen für Zwangsmaßnahmen zur »Islamisierung« der Gesellschaft aus. Die Regierung müsse »dafür sorgen, dass die islamischen Vorschriften respektiert werden«, sagte Abu Ismael, ihr nicht zugelassener Präsidentschaftskandidat. Es dürfe nicht gestattet werden, dass »ein Mann in einem Kaffeehaus Shisha raucht, während alle anderen beten«, und auch nichtmuslimische Frauen müssten den Schleier tragen.

Was genau ein Salafist ist und was ihn von anderen Islamisten unterscheidet, lässt sich nur schwer bestimmen. Der Bezug auf die Vorfahren (Salaf), mit denen vor allem die angeblich besonders frommen Muslime der Zeit des Propheten und der ersten vier Kalifen gemeint sind, gehört zur islamischen Tradition. Das Bestehen auf strikter Nachahmung dieser »Vorfahren«, einer wortgetreuen Anwendung koranischer Vorschriften und der Geltung der Sharia für alle Lebensbereiche ist kennzeichnend für alle islamistischen Gruppen. So gibt es in der tunesischen Partei al-Nahda eine explizit salafistische Fraktion, aber auch viele ägyptische Muslimbrüder sympathisieren mit der puritanischen Strenge der Salafisten.
Die etablierten Organisationen bekunden jedoch die Bereitschaft, von Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung ihrer Ansichten abzusehen. Am ehesten fassbar wird der Salafismus als Gegenbewegung zu solchen Tendenzen, die als Verrat an unveränderlichen religiösen Prinzipien verurteilt werden. Die meisten Salafisten orientieren sich am Wahhabismus, der extrem strikten und intoleranten saudi-arabischen Staatsdoktrin. Doch auch die Ideen des 1966 hingerichteten islamistischen Theoretikers Sayyid Qutb spielen eine wichtige Rolle. Qutb hatte den nicht den Regeln der Sharia folgenden Herrschern is­lamischer Länder die Legitimation abgesprochen und den bewaffneten Kampf gegen sie gerechtfertigt.
Es gibt auch quietistische Salafisten (siehe Seite 5), doch den politisch Aktiven gilt Gewaltanwendung grundsätzlich als legitim. Anders als al-Qaida sind sie jedoch nicht auf Gewalt und Terror fixiert. Die Salafisten bilden eine rechtsextreme Alternativbewegung, die sich von der Gesellschaft absondert. Äußerlich sichtbar gemacht wird dies durch den meist in Kombination mit einer Gallabiya, einem weiten Umhang, und einer weißen Häkelmütze getragenen Vollbart der Männer, und den Niqab, den nur einen Augenschlitz freilassenden Schleier der Frauen, die ebenfalls einen weiten Umhang tragen. Diese Uniformierung ist keine explizite Vorschrift, und sie ist auch kein eindeutiges Zeichen der Zugehörigkeit zur salafistischen Bewegung. Doch vor allem der Niqab soll die Bewegung bewusst auch von Musliminnen abgrenzen, die ein farbenfrohes Kopftuch zu körperbetonter Kleidung tragen.

Der Salafismus wirkt anziehend auf viele Arme, die sich einen »westlichen« Lebensstil nicht leisten können, aber auch auf Jugendliche aus reichen Familien, die der statusorientierte Stumpfsinn abstößt, der die Konsumkultur der Oberschicht prägt. »Salafisten leben rein, um Gott zu gefallen«, erläuterte die 31jährige Aisha al-Shabrawy der Tageszeitung al-Masry al-Youm. »Ich war jung, ich wollte anders sein.« Wie die meisten Salafistinnen legte sie freiwillig den Niqab an.
Der Salafismus ist auch ein Aufstand gegen die Elterngeneration, eine konformistische Rebellion, die es ermöglicht, religiös korrekt den von der Familie vorgezeichneten Lebensweg zu verlassen. So gibt es einen eigenen Heiratsmarkt, der es erlaubt, sich der von den Eltern arrangierten Ehe zu entziehen, ohne sich dem Vorwurf der Sittenlosigkeit auszusetzen. »Damals suchten wir den perfekten Mann nach der Länge des Bartes aus«, erinnert sich Shabrawy. Eine freie Partnerwahl gibt es beim salafistischen Dating nicht, der Ehepartner muss aus der Bewegung kommen und die Treffen werden von Anstandsdamen und -herren streng überwacht. Doch es ist möglich, einen unerwünschten Partner abzulehnen.
Die salafistische Bewegung hat viele Kennzeichen einer Sekte, und bis zum Beginn der Revolten in Ägypten und Tunesien enthielt sie sich oppositioneller Tätigkeit. Nach dem Vorbild der etablierten islamistischen Organisationen widmete sie sich der Klientelbildung. Mit sozialen Hilfsleistungen und Bildungsangeboten können auch nicht von ihrer Ideologie überzeugte Angehörige der Unterschichten an die Bewegung gebunden werden.
Aktuelle soziologische Daten gibt es nicht, doch dürfte für die Salafisten Ähnliches gelten wie für ihre Vorgänger, die Jama’at Islamiyya und andere extremistische Gruppen, die sich in den siebziger Jahren von der Muslimbruderschaft trennten. Führer und Kader dieser Gruppen stammten überwiegend aus der Mittelschicht. Sie waren Amateurtheologen, ausgebildet meist in angewandten Naturwissenschaften und Gebieten wie der Rechtslehre, wo es ebenfalls klare Regeln gibt, und im Vergleich zu den Gerontokraten der alten Oligarchie recht jung.
Der ägyptische Soziologe Saad Eddin Ibrahim machte bereits im Jahr 1980 status incongruity, die Kluft zwischen den Ansprüchen ehrgeiziger junger Männer aus der Mittelschicht und ihren Chancen auf sozialen Aufstieg sowie politische Teilhabe, als Motiv der Islamisten aus. In den drei Jahrzehnten der Herrschaft Hosni Mubaraks ist diese Kluft noch gewachsen. Nun steht den Salafisten jedoch eine säkulare Bewegung gegenüber, die aus den gleichen sozialen Widersprüchen hervorgegangen ist, die Lösung aber nicht in einer Erneuerung patriarchaler Verhältnisse und der Maßregelung der Gesellschaft sieht.

Nicht nur deshalb ist die Wahrscheinlichkeit einer salafistischen Machtübernahme gering. Auch konservative Ägypter werden sich von den Sala­fisten nicht die Shisha wegnehmen lassen. Die Salafisten beziehen sich auf eine imaginäre Tra­dition, die im Widerspruch zur althergebrachten Glaubenspraxis steht. In Tunesien griffen sie auch Einrichtungen der Sufi-Orden an, der mit Abstand mitgliederstärksten islamischen Or­ganisationen. Sie werden jedoch von den Golfmonarchien großzügig finanziert, und sie spielen eine wichtige Rolle in der Strategie der Spannung, mit der Anhänger des alten Regimes und in Ägypten das Militär die säkularen Revolutionäre einschüchtern und eine autoritäre Herrschaft als Alternative zum Islamismus darstellen wollen.
Noch steht in Ägypten der Kampf gegen Repression und Militärherrschaft im Vordergrund, doch ist die Solidarisierung mit den Salafisten umstritten, zumal ihnen Gewalttaten gegen Anwohner vorgeworfen werden. Langfristig dürften ähnliche Auseinandersetzungen wie in Tunesien auch in Ägypten unvermeidlich sein, denn die salafistischen Forderungen sind mit der Demokratisierung unvereinbar.