Berichtet von der »re:publica«

Ein besseres Netz ist möglich

Aus dem einstigen Blogger-Treffen »re:publica« ist eine internationale netz­politische Konferenz geworden. Dieses Jahr lag der Schwerpunkt auf die Notwendigkeit eines politischen Netzaktivismus.

Die Veranstaltung sei weniger politisch, sondern vorrangig zur Weiterbildung gedacht, sagt Mitorganisator Andreas Gebhard der Jungle World über die »re:publica«, die jährliche Internet-Konferenz, die in der vergangenen Woche in Berlin zum sechsten Mal stattfand. Allerdings bot nicht nur das vielfältige Programm deutlich mehr als reine Fortbildung für Insider, auch das Motto der diesjährigen Konferenz, »ACT!ON«, deutete zumindest auf politischen Aktivismus hin. »Der Slogan kann einerseits als ›action‹ gelesen werden und soll Teilnehmer dazu ermuntern, selbst aktiv zu werden. Man kann ihn aber auch als ›act on‹ verstehen, im Sinne von Verantwortung und Kontinuität«, erläutert Gebhard.
Zum ersten Mal fand die »re:publica« dieses Jahr in der »Station« statt, dem ehemaligen Kreuzberger Postbahnhof. In den vergangenen Jahren wurde die Konferenz zuerst in der Berliner Kalkscheune und im Friedrichstadtpalast veranstaltet, doch die Räumlichkeiten dort waren zu klein geworden. Aus dem 2007 zum ersten Mal organisierten Blogger-Treffen ist inzwischen eine internationale Großveranstaltung mit rund 4000 Besuchern geworden. Rednerinnen und Redner aus rund 30 Ländern diskutierten dieses Jahr in verschiedenen Panels über politische, kulturelle und soziale Themen mit Bezug auf die sogenannte digitale Gesellschaft.

Die Konferenz wurde mit einer gelungenen Keynote des US-Wissenschaftlers Eben Moglen zum Thema Überwachung und Kontrolle im Netz eröffnet. Das Internet sei nicht im Hinblick auf Anonymität entworfen worden, und das sei ein Fehler, der immer mehr Probleme bereite, so Moglen. Der allzu sorglose Umgang mit persönlichen Informationen im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken könne ungeahnte Folgen haben, weil niemand heute wisse, welche Auswertungen und Analysen in zehn Jahren mit den heute im Netz vorhandenen Daten möglich sein werden.
Auch Verschlüsselung schütze nur bedingt vor diesem Problem, denn kein verschlüsseltes Datenpaket gehe im Netz verloren. Eine heute noch sichere Verschlüsselung könnte es morgen nicht mehr sein, und man könnte plötzlich auf Daten zugreifen, die als längst vergessen galten.
Den Regierungen in vielen Ländern sei dies bewusst, so Moglen, weshalb das sogenannte data mining derzeit an Bedeutung gewinne, also die Technik, unstrukturierte Datenbestände und Datenbanken unter verschiedenen Aspekten zu analysieren, ohne dass im Vorhinein bekannt ist, wonach gesucht wird. Erst aus der Datenauswertung resultieren dann Fragen, »von denen man gar nicht wusste, dass man sie hat«, so Moglen. Auch Fotos können heute maschinell anders ausgewertet werden als noch vor wenigen Jahren. Etwa mit einer App, die aus Änderungen der Gesichtsfarbe einer Person Rückschlüsse auf deren Herzfrequenz ermöglicht.
Mit diesen und weiteren Beispielen verdeutlichte der New Yorker Professor, wie die Digitalisierung die Meinungsfreiheit gefährden könne. Meinungsfreiheit erfordere zum einen die Möglichkeit des unkontrollierten und unbeobachteten Lesens und zum anderen Pressefreiheit. Im digitalen Zeitalter beruhen aber beide Freiheiten auf einer Netztechnik, in die unzählige Überwachungsfunktionen eingebaut sind. Aus der Forderung nach Meinungs- und Pressefreiheit müsse daher die Forderung nach Freiheit der Technik abgeleitet werden. Solange Endgeräte wie I-Phones und Android-Telefone ihre Nutzerinnen und Nutzer unbemerkt überwachen können, seien nicht nur ein freies Netz, sondern auch freie Hardware und Software notwendig. »Wenn wir keine Regeln für freie Kommunikation haben, öffnen wir Tür und Tor für die Zensur«, so Moglen. Wie wichtig diese Forderung sei, machte er am Beispiel von Amazon deutlich. Dort würden immer wieder Fälle von Zensur bekannt, etwa indem bestimmte Buchtitel bei der Suche nicht gefunden werden. Von den 100 weltweit meistbesuchten Websites gebe es nur eine, die ihre Nutzerinnen und Nutzer nicht kontrolliert: Wikipedia. Moglen sprach in diesem Zusammenhang über die Verantwortung der Generation, die noch eine Kommunikation ohne das Internet kennt: »Wir sind die letzte Generation, die die Meinungsfreiheit retten kann, weil wir die Überwachung der Kommunikation in beiden Formen erlebt haben, der digitalen und der analogen.« Wir sollten uns nicht dem vorwurf aussetzen, unsere Rechte geopfert zu haben, weil die Kommunikation über Facebook so schön einfach gewesen sei.
Für seinen kämpferischen Vortrag erhielt Moglen großen Zuspruch. Mit ähnlicher Spannung wie Moglens Keynote am Anfang der »re:publica« wurde die Rede der EU-Kommissarin Neelie Kroes gegen Ende der Konferenz erwartet. Kroes lobte darin nicht nur die Protestbewegung gegen das dem Kampf gegen Produktpiraterie gewidmete Abkommen Acta, weil deren Aktionen in Brüssel als Weckruf gewirkt hätten, sie deutete auch an, das Abkommen sei nicht mehr konsensfähig.
In ihrer Rede ging sie auch auf die Probleme im Zusammenhang mit dem Urheberrecht ein und machte deutlich, dass eine Reform in diesem Bereich dringend geboten sei. Vor allem in Deutschland sei die Vergütung von Autoren und Künstlern so gering, dass diese oft nicht von ihrer Arbeit leben können. »There is something rotten in the state«, sagte Kroes. Verwertungsgesellschaften warf sie vor, dass diese nicht die Urheber schützten, sondern lediglich ihr eigenes System.
»Die Freiheiten des Internet« war der Titel des Vortrages der liberalen Kommissarin, die entsprechend ihren Freiheitsbegriff definierte – Freiheit im Internet bilde die Basis für wirtschaftlichen Aufschwung und Innovation – sowie ihre Haltung zur Netzneutralität, die zwar bewahrt, aber durch den Markt reguliert werden müsse.
Das Netz sei kein rechtsfreier Raum. »If there are no rules the game is over. So follow the rules.« Das gelte auch für Netzgiganten wie Google, Facebook und Apple. Es sei allerdings sehr schwierig, gegen diese vorzugehen, wenn die Nutzer immer wieder Google, Facebook und Apple den Konkurrenten vorziehen und sich Alternativen daher kaum durchsetzen können.
Die auf der »re:publica« versammelten netizens erinnerte Kroes außerdem daran, dass es nicht nur Onliner gebe. Beispielsweise hätten in Italien 41 Prozent der Bevölkerung keine Internet-Erfahrung.
Ebenso wie Moglen appellierte auch Jérémie Zimmermann in seinem Vortrag zum »War on Sharing« an die Verantwortung der jüngeren Generationen. Zimmermann ist einer der Gründer der französischen Netzaktivistengruppe La Quadrature du Net, die ihr Wirken inzwischen auf die EU-Ebene ausgedehnt hat und sehr engagiert im Kampf gegen Acta aufgetreten ist.
Die Verwertungskonzerne hätten inzwischen dem unkontrollierten Datenfluss den Krieg erklärt, führte Zimmermann aus. Dazu hätten sie eine enge Zusammenarbeit mit Internet-Service-Providern etabliert, um die automatische Filterung von Daten schon in den Vermittlungsknoten zu ermöglichen. Damit werde die Vollstreckung von Überwachungsmaßnahmen in das Zentrum des Netzes hineingetragen. Derzeit entstehen reihenweise neue Geschäftsmodelle, die darauf basieren, Überwachungs- und Filtermaßnahmen im Kern des Netzes zu verankern. Es sei an der Zeit, den Betreibern der Leitungen und Vermittlungsknoten klarzumachen, dass ihnen nicht das Internet gehöre. Das Internet bestehe nicht nur aus Kabeln und Geräten, es sei ein Gemeingut, das allen gehöre. Daraus entstehe aber zugleich eine Verantwortung unserer Generation für das Netz. Das Internet bestehe nicht nur aus Facebook, Google und Apple, es bestehe aus Abertausenden von Diensten, Blogs und Websites.

»Acta kannte vor einem Jahr niemand«, sagte Zimmermann in seinem Vortrag, »heute gibt es niemanden, der Acta nicht kennt.« Aber man solle sich nicht der Illusion hingeben, Acta sei vom Tisch. Selbst wenn das Abkommen in der jetzigen Form kaum eine Chance hat, umgesetzt zu werden, werde es alsbald ein Acta II geben und danach ein Acta III und so weiter. »Es ist daher dringend notwendig, die Freiheit einer ungehinderten Datenkommunikation im Netz in Gesetzen festzuschreiben.« Wenn in der Schule ein Film gezeigt wird, sei es absurd, dass man zuerst die Erlaubnis der Rechteinhaber einholen muss. Im gesamten Non-Profit-Bereich, so Zimmermann, dürften die Verwertungsinteressen keine Rolle spielen.
Im Gespräch mit der Jungle World ergänzte er: »Acta enthält keine Regeln oder Modelle für eine angemessene Vergütung der Urheber. Es ist an der Zeit, dem Kampf der Verwerter ein Ende zu setzen und Flatrate-Modelle einzuführen. Kulturgüter sind nicht vergleichbar mit anderen Produkten wie etwa Waschmittel. Die Menschen, die in Bibliotheken viele Bücher ausleihen, sind genau diejenigen, die viele Bücher besitzen und bereit sind, für Bücher Geld auszugeben.«
Diskutiert wurde auf der »re:publica« unter anderem über die Nutzung von Facebook in der Schule, Selfpublishing von E-Books, Finanzierungsmodellen für Start-up-Unternehmen, Medizin im Netz und ein neues Format der ARD-Serie »Tatort«.
Die Technikbegeisterung der überwiegend jungen Besucherinnen und Besucher war nicht zu übersehen: Smartphones und Tablet-Computer gehören zur Grundausstattung der urbanen digital natives. Infostände boten zwar Hilfe bei W-Lan-Problemen, aber solche Probleme gab es nicht, weil es dort keinen W-Lan-Empfang gab: Die Veranstalter schafften es auch dieses Jahr nicht, funktionierende Internetzugänge zur Verfügung zu stellen.