Über den Wolken

Berlin Beatet Bestes. Folge 145. Kai Winding: Comin’ Home Baby (1962).

In den letzten Wochen haben mir zwei Bekannte unabhängig voneinander begeistert die Vorzüge von Spotify beschrieben. Nicht gerade zufällig, denn beide arbeiten in der Musikbranche. Natürlich gefällt ihnen, als Befürwortern der Verschärfung des Urheberrechts, diese erste legale Musikplattform im Internet. Vor allem versuchten sie mir den Umstand anzupreisen, dass ich bei Spotify Musik nicht nur unbegrenzt legal, sondern auch von mir angefertigte Playlists für einen geringen Monatsbeitrag offline anhören könne. Keine Ahnung, wie das funktioniert, aber tatsächlich revolutioniert diese Praxis den Tonträgermarkt. Wenn ich meine Lieblingslieder auf meinem I-Pod jederzeit verfügbar habe, wieso soll ich dann überhaupt noch MP3 kaufen, geschweige denn CDs.
Spotify wird gestreamt, das heißt, die Dateien befinden sich nicht mehr tatsächlich auf meinem Rechner. Das wird in Zukunft auch gar nicht mehr nötig sein. Ich bezweifle, dass die Mehrheit der Musikhörer auf den tatsächlichen »Besitz« von digitalen Dateien irgendeinen Wert legt. Streaming wird die gängige Art sein, wie wir Musik hören. DJs werden rund um die Welt reisen, und einfach ihre Playlists »auflegen«. Neugierig habe ich mich nach einiger Zeit auch bei Spotify angemeldet. Zuerst habe ich die Playlists meines Bekannten gecheckt und mir dies und das angehört, bis plötzlich ein Kommentar ebenjenes Bekannten auf Facebook erschien, der meine eben gehörten Titel auflistete: »Na, Andi, auch endlich bei Spotify! Sehr schön!« Spotify funktioniert nur in Verbindung mit einem Facebook-Konto, die Funktion der Geheimschaltung hatte ich noch nicht aktiviert. Ich fühlte mich irgendwie ertappt, obwohl Spotify ja gerade mit dieser Transparenz wirbt: Deine Freunde können sehen, was du so hörst.
Ein großer Nachteil von Spotify ist allerdings, dass es, trotz der Millionen von Musiktiteln, nur legale Titel präsentiert. Ein Großteil dessen, was wirklich veröffentlicht wird und wurde, bleibt unberücksichtigt. Gangstarap aus dem Wedding zum Beispiel, der nur auf Youtube veröffentlicht wird, kommt auf Spotify nicht vor. Überhaupt alles, was Leute privat und in kleinen Auflagen herausbringen.
Aber ich wäre nicht Mister Kleine-Vinylplatte, wenn das das Einzige wäre, was mich stören würde. Natürlich hat Spotify keine der Platten, die ich seit Jahren auf meinem Blog präsentiere. Es ist ja überhaupt der Sinn meines Blogs, an Musik und Künstler zu erinnern, die in Vergessenheit geraten sind. Aber auch Songs von bedeutenderen Künstlern des Musikgeschäfts hat Spotify nicht. »More«, die bekannteste Aufnahme des amerikanischen Jazzposaunisten Kai Winding, Titelmelodie des italienischen Dokumentarfims »Mondo Cane«, hat Spotify. Die viel fetzigere B-Seite der Originalsingle, eine treibende Version von Herbie Manns Hit »Comin’ Home Baby«, ist bis heute nicht wiederveröffentlicht. Bigbandswing goes Modbeat! Spotify, spotte das mal!