Ein früherer Nazi betreibt ein Aussteigerprogramm

Vom Nazi zum Referenten

Felix Benneckenstein, ehemals als Liedermacher »Flex« bekannt, ist aus der Naziszene ausgestiegen. Er betreibt nun selbst ein Aussteigerprogramm. Die Arbeit solcher Programme ist jedoch teilweise durchaus fragwürdig.

Bis vor zwei Jahren hatte Felix Benneckenstein eine klare Antwort auf die Frage, was die bisher größte Enttäuschung in seinem Leben gewesen sei. Dem rechtsextremen Internetsender »Widerstand-Radio« sagte er damals, er denke da an einen ehemaligen Kameraden, von dem er »vor ein paar Tagen erst erfuhr, dass er gerade in einem Aussteigerprogramm ist«. Benneckenstein war zu dem Zeitpunkt kein Unbekannter in der Naziszene. Als Liedermacher »Flex« zog er mit seiner Gitarre durch die Republik und sang für seine Kameraden. Umso überraschender war vor wenigen Wochen die Nachricht von Benneckensteins Ausstieg. Er soll ihm mit Hilfe des Aussteigerprogramms »Exit« nach einem Haftaufenthalt im Jahr 2010 gelungen sein. Der heute 25jährige hat nun die »Aussteigerhilfe Bayern« gegründet, mit der er Nazis dabei unterstützen möchte, die Szene zu verlassen. Zahlreiche überregionale Medien, darunter die Süddeutsche Zeitung, feierten ihn als positives Beispiel. Bereitwillig ließ er sich fotografieren und interviewen.

Bayerische Antifaschisten wiesen im Internet darauf hin, dass Benneckenstein die Aufmerksamkeit durchaus suche. Dies ist für Aussteiger nicht ungewöhnlich. In der Regel folgt auf Auftritte in den Medien ein eigenes Buch. In den vergangenen 20 Jahren ist eine große Menge an Aussteiger­literatur auf dem Markt erschienen. Die Naziszene wird in diesen Büchern meist in reißerischer Aufmachung als eine ideologieferne Erlebniswelt beschrieben, auch der Selbstdarstellung der ehemaligen Nazis wird häufig viel Platz eingeräumt.
Der ehemalige sächsische Rechtsterrorist Nick Greger hat bereits zwei Bücher veröffentlicht, in denen der mittlerweile 34jährige sich als »einer der militantesten Neonazis in Deutschland« in Szene setzt. Inzwischen soll sogar ein Film über ihn in Planung sein. In der Februarausgabe des Jugendmagazins Neon wurde er porträtiert. Greger, der keinen Hehl daraus macht, dass er Muslime immer noch verachtet, lebt zurzeit in Gambia und hat seine »Leidenschaft für schwarze Frauen« entdeckt. Im Interview mit Neon sagte er: »Zwei Frauen sind gerade von mir schwanger, vielleicht auch drei, die wollen unbedingt ein weißes Baby, die erwarten kein Geld, warum sollte ich mich verweigern?«
Neben den Aussteigern sind es aber manchmal auch die Aussteigerprogramme selbst, die Zweifel wecken. Michael Ankele aus Ostsachsen leitet ein solches Programm, den Verein »Projekt 21 II«. Der 52jährige hat nach eigenen Angaben in den vergangenen sechs Jahren etwa 90 Menschen »erfolgreich« beim Ausstieg aus der Naziszene begleitet. Ende vergangenen Jahres sah sich Ankele der Kritik der »Demokratie AG Ostsachsen« ausgesetzt. Diese bemängelte unter anderem seine »Distanzlosigkeit« zu den Klienten und die mehrfachen Auftritte »von ungefestigten Aussteigern in Schulprojekten und in Klassen«.

Ein Beispiel hierfür ist Martin F., der zahlreiche Vorstrafen unter anderem wegen unerlaubten Waffenbesitzes, Körperverletzung, Beleidigung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen hat. Er war 2008 an einem Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Oppach beteiligt. Im Februar 2010 verletzte er zudem einen Anhänger der linken Szene in Pirna bei einem Angriff schwer. Kurz nachdem die Polizei ihn deshalb als Tatverdächtigen gestellt hatte, meldete er sich bei Ankele. Berichten von Lehrern und zivilgesellschaftlichen Organisationen aus der Region zufolge soll Martin F. bereits wenige Monate nach diesem Überfall, und noch bevor das Verfahren gegen ihn eröffnet wurde, als Aussteiger vor Schulklassen in Sachsen aufgetreten sein. Mit derartigen Vorträgen vor Publikum, insbeson­dere in Schulen, deckt der Verein einen Teil seiner Kosten. Dabei gilt: Je kleiner die zeitliche Differenz zwischen Auftritt und Ausstieg ist, desto größer sind die Vermarktungschancen des Aussteigers.
2011 wurde das Gerichtsverfahren gegen F. eröffnet. Ankele trat als Zeuge auf und sagte aus, dass sein »Referent« eine »sehr positive Entwicklung« genommen und sich »bereits mit seinen Straftaten auseinandergesetzt« habe. Eine Gefängnisstrafe würde ihn daher »kaputtmachen«. F. wurde dennoch zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt. Nach Auskunft örtlicher Antifaschisten ist F. in der Aussteigerarbeit von Ankele kein Einzelfall.
Wenn Ankele in der Vergangenheit öffentlich kritisiert wurde, sprang ihm regelmäßig Bernd Wagner, der Leiter von »Exit«, als Fürsprecher bei. Die Arbeit mit ausstiegswilligen Nazis in der Bundesrepublik ist untrennbar mit seinem Namen verbunden. Zusammen mit dem ehemaligen Nazi Ingo Hasselbach gründete Wagner zur Jahrtausendwende den Verein »Exit«. Da er ein ehemaliger Kriminalpolizist ist, überrascht es nicht, dass er bei seiner Arbeit eine staatsnahe Position vertritt und sein Programm den Ausstieg aus allen Formen des »Extremismus« fördern soll. In einem Ende 2011 veröffentlichten Bericht der FAZ wird deutlich, dass es Wagner entgegen den Verlautbarungen auf der Homepage von »Exit« offenbar nicht vorrangig darum geht, dass Nazis ihre menschenfeindliche Ideologie ablegen: »Wichtig ist, dass die Leute in der Szene nicht mehr mitspielen. Denn dann werden sie nicht mehr straffällig. Ganz einfach.« Diese Maxime beschreibt anschaulich die Grundsätze der meisten Aussteigerprogramme: Delinquentes Verhalten in Form von Straftaten soll abgestellt werden. Eine Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ideologie der Ausstiegswilligen findet dagegen nur in den wenigsten Fällen statt.

»Exit« macht sich ebenso wie vergleichbare Programme die Sensationslust der Medien und der politischen Öffentlichkeit, aber auch der Zuhörer in Schulen und Jugendclubs zunutze. Ein großer Stab ehemaliger Nazis wird als Referentinnen und Referenten herumgereicht, um über das Leben in der Naziszene zu berichten. Der Erkenntnisgewinn aus den Erzählungen aus erster Hand ist jedoch zweifelhaft. Zum einen fehlt in den Vorträgen die Perspektive der Opfer der ehemaligen Nazis. Zum anderen kann die vermeintliche Authentizität eine Analyse der nazistischen Ideo­logie nicht ersetzen.