Gegen den deutschen »Rechtsterrorismus« wurde schon immer falsch ermittelt

Blinde Gewalten und ihre Geschichte

Verdrängen und Vertuschen: Vom Anschlag aufs Oktoberfest bis zu den Morden des »Nationalsozialistischen Untergrunds« ähneln sich die Muster der Ermittlungen.

Es ist ein schlichter Satz von berufener Stelle, der verdeutlicht, warum der NSU in Deutschland über Jahre unentdeckt bleiben konnte. Er stammt aus dem Verfassungsschutzbericht 2010 und lautet: »Auch 2010 waren in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen erkennbar.«
811 Waffen wurden nach offiziellen Angaben in den Jahren 2009 und 2010 bei militanten Neonazis gefunden. In der Rubrik »Politisch motivierte Kriminalität – rechts« verzeichnet der oben zitierte Bericht 762 Gewalttaten, darunter sechs versuchte Tötungsdelikte. Rechtsterroristische Strukturen waren jedoch nicht erkennbar.
Seit November 2011 gab es bis hinein in die Leitartikel der bürgerlichen Zeitungen scharfe Kritik an den staatlichen Institutionen. Und in der Tat: Die »Döner-Morde« und die Tätigkeit der »Soko Bosporus« sind Symptome für das strukturell begründete Versagen dieser Institutionen. Doch rund ein halbes Jahr nach Bekanntwerden der »Zwickauer Terrorzelle« steht die konsequente Aufarbeitung noch aus. Die systematische Analyse der institutionellen Blindheit von Polizei, Politik und Presse, in der die Opfer des NSU zur »anonymisierten Dönerfleischmasse« – so der Migrationsforscher Kien Nghi Ha – mutierten, findet nur vereinzelt statt. Das Versagen jener, die sich gerne als »vierte Gewalt« inszenieren, wird dabei allenfalls nebenher beklagt.
Stattdessen wird vorzugsweise über das System der V-Leute und deren staatliche Alimentierung berichtet, die nicht nur im Falle des neonazistischen »Thüringer Heimatschutzes« einer Aufbauhilfe gleichkam. Viel wurde zudem geschrieben, spekuliert und gemutmaßt, warum für den Verfassungsschutz Personen arbeiten dürfen, die in ihrem Milieu »Klein-Adolf« genannt werden. Danach verschwand die Personalie aus den Schlagzeilen. Viel konnte die Öffentlichkeit auch über Profiler lesen, die »nah dran« waren, oder über Polizeistellen, die vom Verfassungsschutz (VS) an ihrer Arbeit gehindert wurden. Und vice versa. Derzeit dominiert – wie in der Berichterstattung über den jüngst vorgelegten »Schäfer-Bericht« – die bekannte Klage über Pleiten, Pech und Pannen in den zuständigen Behörden. Ein Grundfehler des Berichts wird dabei übersehen: Dieser trägt meist nur Fakten zusammen, die bereits in der Presse veröffentlicht wurden. Durch seine Fixierung auf die Zeit nach 1998 fehlen jedoch die entscheidenden Jahre, in denen sich diese rechten Strukturen herausbilden konnten.

Direkte Konsequenzen hat der Skandal um den NSU kaum. Nur Helmut Roewer, der ehemalige Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, hat einen Ruf verloren, der zuvor schon nicht mehr vorhanden war. Ansonsten ist vor allem von »Reibungsverlusten« im föderalen System mit seinen 16 Landesämtern für Verfassungsschutz die Rede sowie von staatlichen Stellen, die sich vom Fehlen eines Bekennerschreibens hätten irreführen lassen. Derart gerät die Frage nach der Ursache der Blindheit der entsprechenden Organe lediglich zur Frage nach der Optimierung bürokratischer Abläufe. Letztlich entsteht der Eindruck, als wäre in den entsprechenden Großraumbüros das Ablagesystem ineffizient organisiert gewesen.
Es zählt zu den deutschen Kontinuitäten, dass der Terror von rechts verdrängt oder primär den Folgen des »staatlich verordneten« Antifaschismus der DDR zugeschlagen wird. Doch die jüngere bundesdeutsche Geschichte kennt nicht nur Hoyerswerda, Rostock oder die Magdeburger Herrentage. Die Orte München und Hamburg fehlen zu Unrecht meist in dieser Chronik. Der Anschlag auf das Münchner Oktoberfest, dem am 26. September 1980 13 Menschen zum Opfer fielen, veranlasst heute noch zu Spekulationen über die Rolle des VS in der »Wehrsportgruppe Hoffmann«. Der Rechtsanwalt Manfred Roeder, dessen »Deutsche Aktionsgruppen« ebenfalls im Jahre 1980 Anschläge auf Flüchtlingsheime verübten, bei denen zwei Vietnamesen ums Leben kamen, wurde zwar 1982 zu 13 Jahren Haft verurteilt. Danach konnte er wieder Werbung für sein »Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk« machen. 1995 lud ihn sogar die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg als Referenten ein.
Der VS, dessen Mitarbeiter über Jahrzehnte für den Kampf gegen »Moskau« ausgebildet wurden, hat im Fall der »Zwickauer Terrorzelle« ein bezeichnendes Desaster zu beklagen. Nicht nur in den Reihen der Antifa wurde der Verdacht geäußert, dass die rechten Kämpfer manchen staatlichen Stellen als feindliche Brüder gelten. Dennoch wurde diese Kritik, die unmittelbar nach Bekanntwerden des NSU selbst von linksliberaler Seite geübt wurde, bis heute nicht zugespitzt. »Die durch die Orte stampfenden Rechten sind mitunter höchst gefährliche Staatsfreunde, aber eben doch Staatsfreunde«, schrieb die Süddeutsche Zeitung in bemerkenswerter Klarheit und sprach sogar von einer »stillen Übereinkunft zwischen Staatsmacht und gewaltbereiter Eigenmacht, die den rechten Einfluss so gefährlich macht«. Inzwischen hat man dort wohl Angst vor der eigenen Courage und berichtet lieber detailversessen über jene »Versäumnisse«, die Liebhaber von Berichten aus der Welt der »Schlapphüte« zwar faszinieren dürften, zur politischen Aufklärung aber nur wenig beitragen.

Welches konkrete Interesse jedoch bei weiten Teilen von Presse und Politik an dieser defizitären Aufarbeitung besteht, ist unklar. Die institutionellen Mängel und die stereotype Berichterstattung ergänzen sich auf fatale Weise. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb im Juni 2004 beispielsweise unter der Überschrift »Keine Anzeichen für einen terroristischen Hintergrund« über »geschlossene Gesellschaften«, die für deutsche Sicherheitsbehörden kaum zugänglich seien«. Fehleinschätzungen dieser Art sind also kein Privileg der Polizei. Die »schwer durchdringbare Pa­rallel­welt der Türken schützt die Killer«, hieß es noch 2006 im Spiegel.
Derzeit schütteln die Kommentatoren den Kopf über die Ergebnisse des »Schäfer-Berichts«. Eine Sichtung der eigenen Archive käme aber zu keinem günstigeren Urteil. Und wo sind in dieser meinungsfreudigen Zunft die Texte, Tagungen und Symposien, die sich mit dem eigenen Blick auf »Ausländer« als die üblichen Verdächtigen in der Berichterstattung befassen? Eine konsequente Aufarbeitung findet erst dann stand, wenn die Gründe für die partielle Kumpanei mit den »Staatsfreunden« von rechts ebenso offen zur Debatte stehen wie jene Ressentiments, die auch die »vierte Gewalt« an der Aufklärung gehindert haben.