Die französische Rechte will im Wahlkampf Rechtsextreme abwerben

Buhlen um den Front National

Kurz vor den Parlamentswahlen in Frankreich bemüht sich die konservative UMP um die Stimmen der Anhänger des rechtsextremen Front National.

Unter Staatspräsident Jacques Chirac hatte sich Frankreichs bürgerliche Rechte meist deutlich von der extremen Rechten distanziert. 1996 bezeichnete Alain Juppé, Chiracs damaliger Premierminister, den Front National (FN) als »rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche Partei«, die außerhalb der Demokratie stehe. Einen ganz anderen Tonfall schlug in den vergangenen Wochen Nicolas Sarkozy an. Er wendete sich ausdrücklich an die Wählerinnen und Wähler des FN und befand: »Wenn die Demokratie Marine Le Pen das Recht gibt, zur Wahl anzutreten, dann ist Marine Le Pen mit der Demokratie vereinbar.«
Noch nie wurde den französischen Rechtsex­tremen seitens der Konservativen so deutlich signalisiert, dass ihre politische Existenz legitim und normal sei. Grund für diesen Strategiewechsel ist nicht nur das hohe Wahlergebnis des FN, dessen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen Ende April 18 Prozent der Stimmen erhielt, sondern auch eine politische Neuorientierung des konservativ-wirtschaftsliberalen Blocks. Erstmals, zumindest in dieser Deutlichkeit, bezeichnet die bis vor kurzem regierende UMP den rechtsextremen FN als gleichermaßen demokratische Partei.

Offensichtlich sind bei Frankreichs Konservativen einige Tabus gefallen. Dennoch möchten weder die UMP noch der FN derzeit mehrheitlich eine Koalition miteinander eingehen. Aus Sicht der Konservativen wäre damit ein zu hohes politisches Risiko verbunden, während der FN die eigene Partei zur stärksten Kraft der politischen Rechten aufbauen will.
Der harte Kern des FN spekulierte aus diesem Grund bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen auch auf eine Niederlage Sarkozys, von der man sich eine Schwächung der bisherigen Präsidentenpartei UMP erhoffte. Allerdings favorisieren nicht alle in der Partei, und noch weniger die Wähler des FN, diese Taktik. 51 Prozent der FN-Wähler votierten in der Stichwahl für Sarkozy, 15 Prozent für den Sozialdemokraten François Hollande. Der Rest stimmte ungültig, wie die Parteivorsitzende Marine Le Pen selbst, oder blieb der Wahl fern.
Innerparteilich plädierten vor allem die Anhänger des katholisch-fundamentalistischen und des nationalchristlichen Flügels für die Wahl Sarkozys, vom Sozialdemokraten Hollande befürchteten sie einen beschleunigten »Sittenverfall« durch die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe.

Auch die mehr oder minder parteinahe rechtsextreme Presse war gespalten. Die älteste, 1961 während des Algerienkriegs gegründete rechtsextreme Wochenzeitung Minute trat für Sarkozy ein. Vier Tage vor der Stichwahl publizierte sie ein Interview mit dessen Verteidigungsminister Gérard Longuet, der offen für ein Bündnis von Konservativen und Rechtsextremen warb. Longuet hatte 1973 selbst das erste Wirtschaftsprogramm des damals noch jungen FN verfasst, bevor er ins bürgerliche Lager wechselte. Dagegen sprach sich die altfaschistische und antisemitische Wochenzeitung Rivarol eher für eine Wahlenthaltung aus oder dafür, ungültig zu stimmen. Ihr Autor Alain Renault befand, Sarkozy sei »ein Jude, der notfalls auch einen Tag lang das Braunhemd überstreift, wenn es ihm im Wahlkampf nutzt«. Davon dürfe man sich nicht täuschen lassen. Dagegen sprach sich der nationalistische Publizist Philippe Ploncard d’Assac für eine taktisch motivierte Wahl François Hollandes aus, weil eine klare innenpolitische Feinderklärung besser sei als »falsche Freunde an der Macht, die einen einschläfern«.
Derzeit proben UMP und FN die »Einheit an der Basis« statt »die Einheit an der Spitze«. Sie erkennen an, dass sie im selben gesellschaftlichen Lager ihre Wählerschaft haben, nun bemühen sich beide darum, die Anhänger der jeweils anderen Partei für sich zu gewinnen. Auch versucht der FN, Mandatsträger, Parlamentskandidaten und Abgeordnete – zumindest unter den Hinterbänklern – abzuwerben. Bei den kommenden Parlamentswahlen, die am 10. und am 17. Juni stattfinden sollen, wird die entscheidende Frage sein, ob und wie viele konservative Kandidaten dazu bereit sein werden, erklärte oder unerklärte Bündnisse einzugehen, um ihren Sitz im Parlament zu retten.
Der FN kann nach geltendem Recht zwischen dem ersten Durchgang und den Stichwahlen seine Kandidaten überall dort weiterhin antreten lassen, wo sie von mindestens 12,5 Prozent der Wahlberechtigten gewählt wurden. Das könnte die Konservativen bei den Stichwahlen mehrere Dutzend Mandate kosten. Die Parteiführung des FN hat bereits angekündigt, ihre Kandidaten überall antreten zu lassen – es sei denn, interessante Kandidaten oder handfeste Zugeständnisse würden dafür sorgen, dass man es sich anders über­lege.

Vor allem im Raum Marseille und in Südostfrankreich deutet sich an, dass das konservative Lager zu offenen oder inoffiziellen Absprachen bereit sein wird. »Die Werte, die Marine Le Pen hat – ich habe sie schon immer vertreten«, verkündete kürzlich die Bürgermeisterin von Aix-en-Provence, Maryse Joissains-Masini. Darauf antwortete Le Pen: »Ich glaube, dass Madame Joissains es ehrlich meint.« Manche Beobachter äußern zwar ernsthafte Zweifel am Geisteszustand der UMP-Politikerin Joissains-Masini, die vorige Woche vor das französische Verfassungsgericht zog, um die Wahl von Präsident Hollande für »ungültig« erklären zu lassen. Sie bezeichnete Hollande als »Gefahr für Frankreich«, zudem sei er körperlich unansehnlich, und Sarkozy habe nur wegen »illegaler Propaganda« verloren, schließlich hätten die Zeitungen immer so negativ über ihn berichtet. Aber diese französische Variante einer Tea-Party-Fanatikerin ist in der UMP in Südostfrankreich kein Einzelfall. So sagte die Marseiller Parlamentsabgeordnete Valérie Boyer, es gebe »keinerlei Grund, die Nase zu rümpfen«, man müsse vielmehr mit allen reden – vor allem auch mit dem FN. Im fernen Paris sagte dagegen der Parteivorsitzende Jean-François Copé, Absprachen mit dem FN seien ein klarer »Verstoß gegen die Parteilinie«.
Auch beim FN gibt es Konflikte. So wurde der Parlamentskandidat Michel Thooris quasi strafversetzt. Der frühere hohe Polizeifunktionär und ehemalige Vorsitzende einer ultrarechten Polizeigewerkschaft war bislang Kandidat für die Auslandsfranzosen in dem Wahlkreis, der Israel, die Türkei und Italien umfasst. Er hatte nicht nur unumwunden erklärt, dass Marine Le Pen eine gute Kandidatin sei, weil sie gegen »Muslime und Kriminelle« kämpfe, sondern auch ohne Abstriche seine Unterstützung für die Siedlerbewegung im besetzten Westjordanland geäußert. Beim FN, wo nach wie vor Freunde der israelischen Rechten mit Antisemiten koexistieren, brachte dies das fragile Gleichgewicht ins Wanken. Thooris soll nun in Sarcelles in der Nähe von Paris für das französische Parlament kandidieren.