Der Führungsstreit in der Linkspartei

Die Frauen sollen’s richten

Traditionalisten oder Reformer? West oder Ost? Im Führungsstreit der von Wahlniederlagen heimgesuchten Linkspartei suchen jüngere Mitglieder nach alternativen Lösungen.

Oskar Lafontaine hat sich böse verschätzt. Sein Versuch, durch offene Erpressung Parteivorsitzender der Linkspartei zu werden, ist fehlgeschlagen. Er hat am Dienstag seine Ankündigung einer eventuellen Kandidatur zurückgezogen. Damit geht eine Posse zu Ende, die eine Woche zuvor im Berliner Karl-Liebknecht-Haus begonnen hatte: Nach den herben Wahlniederlagen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-West­falen kamen die obersten Funktionäre der »Linken« in der Parteizentrale zusammen. Viele Beobachter erwarteten eine Klärung der Frage, wer künftig der Partei vorstehen werde: der frühere Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, der den ostdeutschen Reformerflügel vertritt und schon vor Monaten seine Absicht erklärt hatte, neuer Bundesvorsitzender zu werden? Oder doch Oskar Lafontaine, der das Amt bereits von 2007 bis 2010 innehatte und über seine künftigen Ambitionen lange schwieg? Doch am Abend sagte der derzeitige Parteivorsitzende Klaus Ernst lediglich, die Debatte werde weitergeführt. Mit anderen Worten: Es gab immer noch kein Ergebnis.

»Das habe ich auch nicht erwartet«, sagt Halina Wawzyniak im Gespräch mit der Jungle World. Einen Tag vor der Zusammenkunft des geschäftsführenden Parteivorstands und der Landesvorsitzenden hatte die stellvertretende Bundesvorsitzende der Linkspartei, die dem Reformerflügel angehört, ihre erneute Kandidatur als eine von vier stellvertretenden Parteivorsitzenden angekündigt. Nun gebe es eben für eines der beiden Spitzenämter eine Kandidatur, nämlich die von Bartsch, und eine angekündigte Kandidatur Lafontaines, sagt Wawzyniak.
Tatsächlich war der Auftritt Lafontaines an dem Tag geradezu bizarr. Wochenlang hatte er selbst nichts Bedeutsames zur Situation der Partei und zu seinen Absichten gesagt. Seine Statthalter im Karl-Liebknecht-Haus, allen voran Klaus Ernst, der seit dem Rücktritt Gesine Lötzschs Mitte April alleiniger Parteivorsitzender ist, riefen vor den Landtagswahlen immer wieder dazu auf, zusammenzustehen und keine Personaldebatten zu führen. Nun kündigte der frühere SPD-Vorsitzende nicht etwa unumwunden an, gegen Bartsch anzutreten. Er bot der Partei vielmehr an, sich als Kandidat für den Parteivorsitz zur Verfügung zu stellen – aber nur, wenn kein anderer – und gemeint ist damit vor allem Bartsch – für das Amt kandidiere.
»Es ist klar, dass eine Kampfkandidatur ausscheidet«, sagte Lafontaine vor den Fernsehkameras. Das hat er nicht immer so gesehen: 1995, damals noch als SPD-Politiker, stürzte er in einer Kampfabstimmung Rudolf Scharping als Bundesvorsitzenden der Sozialdemokraten. Und auch in diesem Fall durfte seine bloße Ankündigung, sich eventuell vom Parteitag wählen zu lassen, getrost als Kampfkandidatur verstanden werden. Denn das Ziel dabei war offensichtlich, Dietmar Bartsch als Vorsitzenden zu verhindern. Das wurde auch bei einer »Strategiekonferenz« des traditionalistischen Flügels am Sonntag in Berlin deutlich, bei der vor allem Stimmung gegen Bartsch geschürt wurde. Lafontaines Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht forderte, man dürfe die Partei »nicht jenen überlassen, die aus ihr eine Light-Version machen wollen«. Bartsch solle seine Kandidatur zurückziehen.
Ein Krisengespräch zwischen Klaus Ernst, Lafontaine und Bartsch am Sonntagabend verlief ergebnislos. Vielleicht auch, weil Ernst kein Vermittler in diesem Richtungsstreit sein kann. In manchen Parteikreisen wird er als »Handpuppe« Lafontaines verspottet. Der derzeitige Vorsitzende pries den ehemaligen Vorsitzenden bereits als »sehr guten« künftigen Vorsitzenden und behauptete, auch bei einer Urwahl durch die Mitglieder würde Lafontaine eine klare Mehrheit bekommen.

Wulf Gallert, dem Fraktionsvorsitzenden der »Linken« in Sachsen-Anhalt, ging das eindeutig zu weit. »Das ist eine so bodenlose Frechheit, dass es mir die Sprache verschlägt«, schrieb er auf seiner Facebook-Seite. »Wenn die Partei jetzt kein Stoppzeichen setzt, dann ist die katholische Kirche im Vergleich zu uns eine basisdemokratische Bürgerbewegung.« Gallert hatte einen Grund für seinen Zorn: Schließlich war es Ernst, der im Januar einen von Vertretern des Reformerflügels beantragten Mitgliederentscheid über den Parteivorsitz stark behindert und letztlich verhindert hatte. Erst kürzlich stellte die Bundesschiedskommission fest, dass die Verhinderung der Urwahl ein satzungswidriger Beschluss gewesen sei, der die Mitgliederrechte in unzulässiger Weise beschnitten habe. Vor allem aber hätte eine solche Urwahl die Stimmung unter den Mitgliedern verbessern und den Wählern vor den Landtagswahlen ein besseres Bild der Partei vermitteln können.
Jedenfalls habe es »genügend Möglichkeiten« gegeben, die Personalfragen vor Monaten zu klären, sagt Wawzyniak. Die Bundestagsabgeordnete erkennt derzeit aber gar nicht so sehr ein »Gegeneinander von Strömungen«. Ähnliches äußern die Vertreter der verschiedenen Parteiflügel zwar häufig, um nicht den Eindruck interner Zerstrittenheit zu wecken. Doch Wawzyniaks Aussage könnte tatsächlich nicht nur der Sorge um das öffentliche Ansehen geschuldet sein. Denn offensichtlich hat sich Lafontaine mit seiner Taktik verkalkuliert. Zwar hatten in Westdeutschland mehrere Landesverbände bereits ihre Unterstützung für seine Kandidatur erklärt. Doch auch ehemals loyale Mitglieder wendeten sich von ihm ab. Und als Gregor Gysi am Montag von Lafontaine abrückte, musste dieser wohl oder übel klein beigeben.
Besonders in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind viele Funktionäre nicht gut auf den ehemaligen Bundesvorsitzenden zu sprechen. Bezeichnend war in diesem Zusammenhang die Pressekonferenz der Linkspartei nach der Niederlage in Nordrhein-Westfalen. Während Ernst die Hauptschuld am schlechten Abschneiden der Partei in altbewährter Manier den Medien gab, welche die Linkspartei in ihrer Berichterstattung nicht ausreichend berücksichtigt hätten, dankte Katharina Schwabedissen ihnen ausdrücklich. Der nordrhein-westfälischen Landessprecherin der Partei und Spitzenkandidatin bei der Wahl hatten nicht nur viele Zeitungen, sondern selbst politische Gegner eine gute Arbeit bescheinigt. Als ehemalige Funktionärin der »Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit« (WASG), welche die organisatorische und personelle Basis der Linkspartei in Westdeutschland stellte, und Mitglied der Strömung »Antikapitalistische Linke« galt sie bislang als Vertreterin des traditionalistischen Flügels. Doch die Landtagsfraktion der Linkspartei in NRW erwies sich als erstaunlich pragmatisch, wenn es darum ging, die Arbeit der rot-grünen Minderheitsregierung zu tolerieren.
Möglicherweise kommt Schwabedissen nun trotz der Wahlniederlage ihres Landesverbands – die »Linke« zog mit nur 2,5 Prozent der Stimmen nicht wieder in den Landtag ein – eine Schlüsselrolle dabei zu, die parteiinterne Konflikte zu lösen. Die stellvertretende Bundesvorsitzende Katja Kipping und andere aus dem Reformerlager schlugen nämlich angesichts der verfahrenen Lage eine dritte Möglichkeit vor. Da es mit der Klärung der Frage »Bartsch oder Lafontaine?« ohnehin nicht getan ist, weil die »Linke« gemäß ihrer Satzung von einer Doppelspitze geführt werden soll, die zur Hälfte weiblich sein muss, brachten sie die Idee auf: Warum nicht statt einer Frau gleich zwei und am besten welche aus der jüngeren Generation zu Parteivorsitzenden machen?

Lena Kreck, Redakteurin des parteinahen Theoriemagazins Prager Frühling, ging noch einen Schritt weiter: »Ich schlage für den Parteivorstand zumindest für die kommende Legislatur einen reinen Frauenvorstand vor.« Dass die Idee von den Grünen der achtziger Jahre stammt, räumt Kreck offen ein. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass sich überhaupt so viele Frauen finden. Doch Kreck ist sich sicher: »Ein Frauenvorstand verhindert zentrale altgediente Protagonisten, die bis auf we­nige Ausnahmen männlich sind, und ist also ein Instrument, um die verfahrene Situation jenseits eines komplexen Ost-West-Mann-Frau-Manövers aufzulösen.«
Vor allem könnte eine weibliche Doppelspitze, die im Gegensatz zu einer rein männlichen satzungskonform wäre, tatsächlich bei der Lösung des internen Streits helfen. Und sie würde zugleich die Parteiführung erheblich verjüngen. »Es gibt genügend Parteimitglieder, die bereits seit Jahren in der zweiten Reihe für ihre Partei Politik machen, den Laden im Grunde aber nach außen viel besser repräsentieren können als jene Menschen, die sich seit Jahr(zehnten) nur noch mit dem Fahrdienst durch die Weltgeschichte transportieren lassen«, argumentiert Kreck. Und nicht nur sie nennt als eine mögliche Parteivorsitzende immer wieder Katharina Schwabedissen.