War während der serbischen Wahlen im Nordkosovo

Frieden sieht anders aus

Die befürchtete Eskalation der Gewalt im Kosovo während der serbischen Wahlen blieb aus. Die internationalen Militärtruppen werden erneut verstärkt, denn im jüngsten Staat Europas gibt es nach wie vor große Spannungen zwischen Serben und Albanern. Ein Besuch in der serbischen Enklave von Mitrovica im Nordkosovo.

Auf den ersten Blick scheint der Kosovo zur Ruhe gekommen zu sein. Priština erscheint als eine junge, dynamische Stadt, in der viele Studenten und Geschäftsleute unterwegs sind. In den Straßen reihen sich Cafés, Hotels und kleine Geschäfte aneinander. In den von der serbischen Minderheit bewohnten Regionen sieht die Lage ganz anders aus. Dort sind die Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen nach wie vor virulent. Die Untergrundbewegungen bewaffnen sich erneut, weshalb die von der Nato geleitete Kosovo-Truppe Kfor (Kosovo Force) wieder stärker ihre Präsenz zeigt.
Durch die Stadt Mitrovica im Nordkosovo fließt der Ibar. Der Fluss bildet die Grenze zwischen dem südlichen, vorwiegend von Albanern bewohnten und dem nördlichen Teil der Stadt, wo mehrere tausend Serben leben.

Die Hauptbrücke über den Fluss ist durch eine von Serben errichtete Barrikade blockiert. Seit vergangenem Sommer hat die serbische Minderheit im Kosovo immer wieder Barrikaden um Gebiete errichtet, die sie für sich reklamieren. Damit sollen nicht nur die Truppen der europäischen Rechtsstaatlichkeitsmission (Eulex) behindert, sondern auch kosovarische Polizeikräfte vom Betreten der Gebiete abgehalten werden. Noch immer gibt es gut ein Dutzend Barrikaden im Norden des Kosovo, wobei die Absprerrung auf der Brücke in Mitrovica die größte ist: Neben Betonpfeilern, Schutt und Stacheldrahtrollen wurde auch das Holz der naheliegenden Sitzbänke für die Errichtung der gut drei Meter hohen Barrikade benutzt. In einem Zelt direkt hinter der Absperrung übernachten serbische »Wachmannschaften«.
Insbesondere in dem Stadtteil, der »Hügel der Bergwerker« gennant wird, gibt es zahlreiche Konflikte. Einzelne kosovo-albanische Familien, die auch während des Kosovo-Krieges geblieben sind, leben hier inmitten der serbischen Enklave. Beschimpfungen und Gewaltausbrüche sind für sie an der Tagesordnung. So wurde am 8. April in einem der Hochhäuser am Ibar eine Bombe gezündet, ein Kosovo-Albaner wurde dabei getötet. Das war der letzte einer Reihe gewalttätiger Vorfälle. Im November 2011 wurde der Serbe Savo Mojsic bei einer Schießerei getötet, zwei weitere Serben wurden verletzt – der vermeintlich albanische Täter wurde bisher nicht gefunden. Im vergangenen Jahr wurde der Albaner Haki Mehmeti mit 13 Schüssen getötet. Er sei hingerichtet worden, denken viele: »Wir wissen genau, wer den Mord organisiert hat, und wir haben auch bei der Polizei Anzeige erstattet«, erzählt Fadil Mehmeti, der Bruder von Haki. »Doch bis jetzt ist nichts geschehen und die Mörder laufen noch immer frei herum.« Haki Mehmeti sei vermutlich wegen seiner Mitgliedschaft in der UÇK (Befreiungsarmee des Kosovo) getötet worden, die im Kosovo-Krieg für Anschläge auf serbische Polizisten, aber auch Zivilisten, verantwortlich war. »Seit dem Anschlag organisieren wir wieder Nachtpatrouillen durch unser Viertel. Wir tragen Waffen und werden uns gegen jeden serbischen Angriff verteidigen«, sagt Mehmeti. Die Situation ist komplizierter, als seine Beschreibung es erscheinen lässt. Albaner und Serben bezichtigen sich gegenseitig der Gewaltanwendung und Bedrohung. »Nuki«, so nennt sich ein weiteres Mitglied der Patrouillen, berichtet, in den Garten einer kosovo-albanischen Familie seien Handgranaten geworfen worden. »Die Regierung in Belgrad hat uns sogar bis zu 300 000 Euro für unsere Häuser angeboten, wenn wir von hier wegziehen. Wir werden aber unsere Heimat nicht den Serben überlassen. Ich habe meine Frau und unsere Kinder in den Süden des Kosovo geschickt und bewache seitdem unser Haus mit der Waffe in der Hand.«

Am 6. Mai wurde in ganz Serbien und in den serbischen Enklaven im Kosovo gewählt. Offiziell durften sich die Wahlberechtigten in den Enklaven nur an den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen beteiligt, doch an vielen Orten – auch im nördlichen Teil von Mitrovica – wurden illegale serbische Lokalwahlen abgehalten.
Damit versucht die Regierung in Belgrad, die vorhandenen serbischen Parallelstrukturen innerhalb des Kosovo weiter zu festigen. Die Einheiten der Eulex und der Kfor, die in der Region stationiert sind, scheinen dagegen hilflos zu sein, wie auch ein italienischer Carabiniere bei einem Wahllokal im Norden von Mitrovica bestätigt: »Wir sind hier nur zur Beobachtung. Wir werden in keiner Weise eingreifen.« Und wie würden sich Soldaten im Falle eines serbischen Angriffs verhalten? Der Carabiniere antwortet mit einem Wort: »Rückzug«. Dennoch sehen viele Anwohner die Einheiten der Kfor als Garanten für den Frieden. Die Präsenz von schwerbewaffneten Kfor-Truppen hat wenigstens dazu beigetragen, eine Eskalation am Wahltag zu verhindern.
»Du musst wissen, dass wir Albaner einen bestimmten Begriff der Ehre haben«, sagt Haki nach seiner Nachtpatrouille durch den nördlichen Stadtteil von Mitrovica. »Ich weiß, wer meinen Bruder umgebracht hat. Ich werde vielleicht nicht heute zuschlagen, auch nicht morgen. Aber wenn der Staat seine Aufgabe nicht erfüllt, werde ich eines Tages die Täter selbst hinrichten.«
Und auch die serbische Seite stellt klar, dass es kein Zurückweichen geben werde. Vladan Mirkoviç ist einer der wenigen Serben, die sich bereit erklären, offen über die politische Situation zu sprechen. Der 32jährige arbeitet als Mitglied einer NGO im nördlichen Teil der Stadt: »Die Lokalwahlen sind nicht illegal. Ganz im Gegenteil, wir üben damit nur unser natürliches Recht aus. Wir haben hier schon immer gelebt und werden diese Stadt nicht einfach so aufgeben. Da können uns die albanischen Terroristen noch so sehr einschüchtern. Wir werden uns zu verteidigen wissen – und Belgrad wird uns dabei immer unterstützen.« Der Zukunft dieser Region blickt er eher pessimistisch entgegen: »Keine der beiden Seiten wird ihre Ansprüche aufgeben. Am Ende wird es wohl wieder zu einem Krieg kommen. Danach wird sich zeigen, wer der Stärkere war.«

Die Region Preševo liegt im Süden Serbiens, an der Grenze zu Mazedonien, und war nach dem offiziellen Ende des Kosovo-Krieges für mehrere Monate Schauplatz von Kämpfen zwischen albanischen Paramilitärs und serbischen Militäreinheiten. Die überwiegende Mehrheit der Bewohner in der Region ist albanisch. Hier ist die Lage noch komplizierter als im Nordkosovo, denn hier sind es albanisch-islamistische Paramilitärs, die gegen die christliche Regierung in Belgrad kämpfen. Diese Gruppen haben Verbindungen zu wahhabitischen Terroristen.
Bei einer großen Razzia im Jahr 2007 wurden in dieser Gegend unvorstellbare Mengen an Waffen beschlagnahmt: Neben Maschinengewehren und Handgranaten auch Granatwerfer und Flugabwehrraketen. Einer der Rädelsführer, Lirim Jakupi – Spitzname »Nazikommandeur« – konnte damals fliehen. Der Konflikt galt in den vergangenen Jahren als nahezu beigelegt. Doch seit geraumer Zeit wird er wieder gewaltätig ausgetragen.
Anfang Mai wurde das Dorf Ternoc im Bezirk Bujanoc im Morgengrauen von serbischen Spezial­einheiten der Polizei umstellt. Straßensperren wurden errichtet und Dutzende Häuser gestürmt. Die Polizei ging brutal gegen die Bewohner vor, Einrichtungsgegenstände wurden mutwillig zerstört. Acht Albaner wurden wegen »Unterstützung einer terroristischen Vereinigung« verhaftet und nach Belgrad gebracht.
Einer der Verhafteten ist Elhami Saliu. Sein Vater, der noch immer unter Schock steht, berichtet von der Verhaftung: »Plötzlich stürmten maskierte und schwerbewaffnete serbische Polizisten unser Haus. Die Vordertür wurde eingetreten und sie haben uns mit gezückter Waffe, zusammengetrieben. Mein Sohn Elhami wurde an die Wand geschubst und blutig geschlagen. Dann haben sie ihn verhaftet und weggeschleift.« Elhami Saliu wird vorgeworfen, zwischen 2000 und 2001 an Kämpfen gegen die serbische Regierung beteiligt gewesen zu sein und noch immer einer bewaffneten Gruppe anzugehören. Jedoch hat die serbische Regierung bisher keine substantiellen Beweise vorgelegt. »Uns interessiert nicht, welches Land uns regiert. Wir wollen nur Frieden, die Verteidigung unserer Menschenrechte und als normale Bürger ein sicheres Leben führen«, sagt Elhamis Vater.

Die Angst in der Region ist nach diesem Überfall so groß, dass erneut offen Selbstbewaffnung und Angriffe auf serbische Einheiten gefordert werden. Der Bruder von Elhami führt weiter aus: »Wenn sie meinen Bruder in Belgrad foltern, wenn sie ihm etwas antun, dann sehe ich keine andere Möglichkeit, als meine Familie mit Gewalt zu verteidigen. Hier im Dorf sind wir uns alle darüber einig. Wir werden unser Blut für unsere Freiheit geben.«
Von serbischer Seite wird die Bevölkerung in der Preševo-Region als undankbar angesehen. So hat die serbische Regierung seit dem Ende des bewaffneten Konflikts im Jahr 2001 weitreichende Reformen durchgeführt. Die Wirtschaft erholt sich langsam, es gibt multiethnische Polizeieinheiten wie auch eine multiethnische Regionalregierung. Seit 2007 werden die Albaner sogar von einer eigenen Partei im serbischen Parlament vertreten. Durch das aggressive Vorgehen der serbischen Polizei in den letzten Monaten und die Eskalation des Konfliktes im benachbarten Mazedonien ist die Stimmung aber erneut umgeschlagen. Gewalttätige Demonstrationen und vereinzelte Anschläge wie auch Übergriffe durch serbische Paramilitärs verschärfen die bestehenden Konflikte. In der neutralen Zone zwischen Serbien und dem Kosovo hat die serbische Regierung erneut militärische Spezialeinheiten stationiert, die seit einiger Zeit illegale Autokontrollen durchführen und albanische Bewohner bedrohen.
Derzeit scheint es wieder so, als könnten die Konflikte in der Balkanregion und im Kosovo jederzeit eskalieren. Und wie ein Sprecher der deutschen Kfor-Einheiten anmerkt, wird das Problem durch eine dauerhafte Stationierung internationaler Truppen kaum gelöst. Um einen neuen Krieg abzuwenden, müssten Serbien, der Kosovo und die umliegenden Staaten wieder miteinander verhandeln, um eine von allen Seiten als verbindlich anerkannte Gesetzgebung für die Region zu erarbeiten.