Argentiniens neue Gender-Gesetzgebung ist einzigartig

Geschlecht nach eigenem Willen

Als erstes Land weltweit ermöglicht Argentinien Transsexuellen, Transvestiten und Transgendern demnächst, offiziell ihr selbstgewähltes Geschlecht anerkennen zu lassen – ohne Gutachten oder vorangegangene Operationen.

In Zukunft wird es volljährigen Personen in Argentinien möglich sein, das Foto, den Vornamen und das eingetragene Geschlecht in ihren Ausweispapieren ändern zu lassen, wenn eine solche Änderung dem eigenen Empfinden und Willen entspricht. Weder sind vorherige chirurgische Eingriffe nötig noch Hormontherapien, ebenso wenig Psychotherapien oder psychiatrische Gutachten. Die Reform wurde am 9. Mai mit der Mehrheit der Senatsstimmen, keiner Gegenstimme und nur einer Enthaltung verabschiedet. Die Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, ohne deren Unterschrift es nicht in Kraft treten kann, hat ihre Unterstützung für das Gesetz bereits bekräftigt und dabei stolz darauf hingewiesen, dass Argentinien auch das erste lateinamerikanische Land war, das vor zwei Jahren die gleich­geschlechtliche Ehe legalisiert hat.

Neben der legalen Anerkennung der Geschlechts­identität wird auch das Prozedere für körperliche Veränderungen vereinfacht. Private und öffent­liche Gesundheitsanbieter müssen künftig Hormontherapien und chirurgische Eingriffe bei Erwachsenen allein auf deren Verlangen kostenlos durchführen, und zwar in der von den Personen gewünschten Reihenfolge und bis zu dem jeweils angestrebtem Ergebnis. Das neue Gesetz weist zudem die Definition von Intersexualität als Krankheit zurück und verbietet jede psychiatrische oder chirurgische Intervention gegen den Willen der Betroffenen, egal welchen Alters. Auch Kinder und Jugendliche können ihr Geschlecht anpassen lassen, sowohl in ihren Papieren als auch körperlich. Erheben die Erziehungsberechtigten Einspruch, bekommen Minderjährige einen »Kinderanwalt« zur Seite gestellt, der ihre Interessen in einem Gerichtsverfahren vertreten soll. Begründet werden diese Änderungen mit dem Menschenrecht auf sexuelle Selbstbestimmung und dem Recht auf Gesundheit.
Die Tragweite dieser Gesetzesreform wird deutlich, wenn man die teuren, langwierigen und erniedrigenden Prozeduren bedenkt, die bisher in Argentinien und anderswo nötig sind, um den eigenen Körper und Personenstand der selbstgewählten Geschlechts­identität anzupassen. Die Selbstdefinition zur alleinigen Bedingung sowohl für die administrative als auch die medizinische Geschlechtsanpassung zu machen, bricht mit dem paternalistischen und pathologisierenden Umgang mit Trans-Personen, der ansonsten politisch vorherrscht.

In Deutschland beispielsweise sind für eine Personenstandsänderung weiterhin zwei vonein­ander unabhängige Gutachten nötig, die bestätigen, dass die antragstellende Person »seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben«. Aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2011 wurden die Vorgaben bezüglich der Fortpflanzungsunfähigkeit und eines vorangegangenen, die äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriffs vorläufig ausgesetzt.
Der argentinische Gesetzestext basiert auf ­einem Entwurf, den die Nationale Front für das Gesetz der Geschlechtsidentität (FNLIG) ausge­arbeitet hat. Dem Druck, den dieses breite Bündnis aus verschiedenen LGTBI-Organisationen aufbauen konnte, ist es unter anderem zu verdanken, dass das Gesetz in dieser präzedenzlosen Form tatsächlich verabschiedet werden konnte. Diana Sacayán von der FNLIG bezeichnete dies als »historischen Moment«, mit dem Argentinien seine »Vergangenheit der Verfolgung, des Ausschlusses und des Vergessens hinter sich lässt«.
Kirchner scheint sich als progressive Präsidentin profilieren zu wollen. Die Teilverstaatlichung des Erdölkonzerns YPF (Jungle World 18/12) mag ein populistischer Coup gewesen sein, ansonsten betreibt sie aber eine fortschrittliche Menschrechtspolitik. Sie hat Revisionen und »Modernisierungen« einer ganzen Reihe von Gesetzen angekündigt, unter anderem in den Bereichen Scheidung, Schwangerschaftsabbruch und Adoption.